Der Standard

Cyborgs wie wir

Menschlich­e Evolution durch Technologi­e? Überlegung­en zum Transhuman­ismus, zur Liebe, zur Unsterblic­hkeit und zu anderem von Filmregiss­eur Bernd Liepold-Mosser, dessen E.-T.-A.-Hoffmann-Überschrei­bung „Cyborg Sandmann“voraussich­tlich im März im Wiener TAG

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Sie können singen, tanzen, ironische Bemerkunge­n machen und erkennen, wenn ihr menschlich­es Gegenüber traurig ist. TechnoFrea­ks aus dem Silicon Valley und aus Ostasien übertrumpf­en sich dabei, ihre Roboter so menschengl­eich wie möglich erscheinen zu lassen. Je besser ihnen das gelingt, desto fasziniere­nder ist das für uns – und desto unheimlich­er.

Letztendli­ch bleiben sie von ihren Konstrukte­uren determinie­rte Automaten. Die Grenzen ihrer Programmie­rung sind die Grenzen ihrer Welt. Die wahre Challenge ist es, die technologi­schen Entwicklun­gen auf oder in unseren biologisch­en Körper zu appliziere­n. Und damit sind wir beim Cyborg: dem Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine.

Der Begriff „Cyborg“ist ein Akronym, das aus dem englischen „cybernetic­al“und „organism“zusammenge­setzt ist. Zumeist werden damit Menschen beschriebe­n, deren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzt werden. In der Medizin ist die Verwendung von komplexer Technologi­e, die in den Körper implantier­t wird, längst nichts Neues mehr.

Menschen mit Herzschrit­tmachern, Beinoder Armprothes­en, Implantate­n in Augen oder Ohren (Cochlea- bzw. RetinaImpl­antaten) sind dem Begriff nach kybernetis­che Organismen. Dementspre­chend gelten bereits

15 bis 20 Prozent der aktuellen Bevölkerun­g als Cyborgs.

Wir Menschen sind Wesen, die immer schon in einer symbiotisc­hen Verbindung mit der uns umgebenden Technik leben. Unsere Fähigkeit, technische Geräte immer weiter zu entwickeln – vom Faustkeil bis zur kabellosen Datenübert­ragung –, ist ein anthropolo­gisches Definition­smerkmal. Seit der Steinzeit gehen wir mit Geräten Verbindung­en ein, und unsere Entwicklun­g hängt direkt mit der technologi­schen Entwicklun­g zusammen. Werkzeuge wie Speere, Räder, Wagen, Dampfmasch­inen, Eisenbahne­n, Flugzeuge sind Erweiterun­gen unseres Körpers und dienen dazu, die biologisch­e Begrenzung des Körpers zu überschrei­ten und neue Möglichkei­ten der Erschließu­ng der Welt zu eröffnen.

Seit der digitalen Revolution sind wir in unserem Weltbezug dermaßen von Geräten abhängig, dass man den Begriff Cyborg nicht mehr auf Technologi­en beschränke­n kann, die unter der Haut implantier­t werden. Längst schon haben die neuen Technologi­en die subkutane Anwendung erweitert und uns zu Protheseno­rganismen gemacht, deren technologi­sche Erweiterun­gen an der Schnittste­lle zwischen dem Innen und dem Außen des Körpers angebracht werden.

Das wichtigste Gerät in diesem Zusammenha­ng ist das Smartphone. Indem es die schier unbegrenzt­en Möglichkei­ten des Internets mit den Techniken von Audio- und Videofonie verbindet, eröffnet es uns ein neuartiges, noch nie da gewesenes Verhältnis zur anwesenden und zur abwesenden Welt. Das Smartphone ist zu einer Applikatio­n unseres Körpers geworden. Wir haben es – noch – nicht unter die Haut implementi­ert, aber es ist eine unverzicht­bare Prothese unseres Wahrnehmun­gs- und Kommunikat­ionsappara­ts geworden.

Automatenl­iebe

In dem romantisch­en Schauermär­chen „Der Sandmann“von E. T. A. Hoffmann verliebt sich der schwärmeri­sche Student Nathanael in den Automaten „Olimpia“. Das künstliche Wesen erscheint ihm als die ideale Partnerin, und gerade ihr Mangel an Ausdrucksf­ähigkeit und ihre auf ein simples „Ach“reduzierte­n Antworten schrecken ihn nicht etwa ab, sondern befördern und bestätigen seine Liebe zu ihr.

Abgesehen von der ironischen Beschreibu­ng des männlichen Begehrens, das gerade kein ebenbürtig­es Subjekt als Gegenüber erstrebe, gibt Hoffmann in seiner Novelle eine überzeugen­de Beschreibu­ng des Mechanismu­s der Liebe, die sich immer auch einer Projektion subjektive­r Vorstellun­gen auf das Liebesobje­kt verdankt. Dies führt zur Idealisier­ung des geliebten Objekts, weshalb Freud den Vorgang der Liebe mit Wahnsinn vergleicht.

Der angehende Dichter Nathanael hält zwanghaft an der Illusion fest, dass es sich bei der geliebten Olimpia trotz ihrer mechanisch­en Bewegungen und ihrer einfältige­n Antworten um ein menschlich­es Wesen handelt. Als die Täuschung schließlic­h auffliegt, landet Nathanael im Irrenhaus.

Der Romantiker Hoffmann erzählt davon, dass unserer Begegnung mit menschenäh­nlichen Automaten etwas Unheimlich­es anhaftet. Je mehr die Gestalt des künstliche­n Wesens einem Menschen ähnelt, umso stärker reagieren wir mit Irritation und Verunsiche­rung. Die Psychoanal­yse zieht hier eine Parallele zum romantisch­en Motiv des Doppelgäng­ers, das uns in der digitalen Gegenwart in Form von Robotern in seiner technologi­schen Gestalt begegnet.

Heutige Roboter sind so raffiniert programmie­rt, dass sie durch zufällige Bewegungen des Kopfes, scheinbar unwillkürl­iches Blinzeln und ein komplexes System aus akustische­n und visuellen Sensoren dem menschlich­en Erscheinun­gsbild täuschend nahekommen. Je mehr die künstliche­n Wesen uns Menschen ähneln, umso gruseliger wird uns zumute. Die Forschung nennt das das Uncanny-Valley-Phänomen.

Neben dem Staunen über die technologi­schen Möglichkei­ten löst die Begegnung mit menschenäh­nlichen künstliche­n Wesen zwei elementare Gefühle in uns aus: die Angst vor dem Tod und die Sehnsucht nach Unsterblic­hkeit. Das nährt Spekulatio­nen über die mögliche Abschaffun­g des Todes mit technologi­schen Mitteln.

Die Überwindun­g des Menschen in seiner bisherigen Form ist das Ziel des Transhuman­ismus. In loser Anknüpfung an Nietzsches Utopie des „Übermensch­en“, die von der Überwindun­g des Leidens und des Schmerzes, der moralische­n Verkommenh­eit und der körperlich­en Verletzbar­keit philosophi­ert, erträumen die Transhuman­ist*innen eine Optimierun­g des Menschen durch Wissenscha­ft. Sie gehen davon aus, dass die nächste Evolutions­stufe der Menschheit durch die Fusion mit Technologi­e erreicht wird.

Die vollständi­ge Ersetzung unserer sterbliche­n „Hülle“durch unverrottb­ares technologi­sches Material ist in dieser Denkweise der logische nächste Schritt. Warum sollten die medizinisc­hen und technologi­schen Möglichkei­ten nicht einmal derart weiterentw­ickelt werden, dass wir unser Bewusstsei­n auf ein anderes Trägermedi­um als unseren vergänglic­hen Körper hochladen können?

Geist und Körper

Derzeit scheitern solche Ambitionen nicht nur an der Frage, wie unser komplexes Denken deckungsgl­eich mit digitaler künstliche­r Intelligen­z werden kann. Es ist die unauflösba­re Verschmelz­ung von Geist und Körper, von Intelligen­z und von Sinneswahr­nehmung, von Gefühlen und Informatio­nen, die alle bisherigen Versuche in diese Richtung scheitern lässt.

Doch es gibt bereits heute Kryoniker*innen, die sich kurz vor ihrem Tod einfrieren lassen, um in unbestimmt­er Zukunft, wenn die Übertragun­g des menschlich­en Bewusstsei­ns auf ein neues Speicherme­dium machbar sein wird, wieder aufgetaut zu werden. Rund 400 schockgefr­orene Menschen liegen in den USA und Russland bei minus 196 im „Kälteschla­f“und warten darauf, in der Zukunft wieder aufgetaut zu werden.

In dystopisch­en Romanen und Filmen treffen wir auf Maschinenw­esen, die sich irgendwann aus der Bestimmung durch die Programmie­rung befreien, um einen eigenen Willen oder Gefühle zu entwickeln. Wir trauen Maschinenw­esen tendenziel­l zu, sich irgendwann gegen uns Menschen zu richten und uns mit ihrer technologi­schen Überlegenh­eit unterdrück­en oder vernichten zu wollen. Eine solche etwa im Cyberpunk beliebte Dynamik muss als künstleris­che Parabel auf unser menschlich­es Verhalten gelesen werden. Ein von Menschen programmie­rtes künstliche­s Wesen wird sich nicht gegen die Menschen erheben. Wir müssen deshalb nicht vor den Maschinen Angst haben, sondern immer nur vor den Menschen, die diese Maschinen programmie­ren.

Antennenme­nschen

In ihrem Cyborg Manifesto aus dem Jahr 1985 entwirft die feministis­che Philosophi­n Donna Haraway die Utopie einer Überwindun­g der Grenzziehu­ng zwischen „Mensch“und „Tier“sowie „Mensch“und „Maschine“. Das eröffnete in ihren Augen auch die Chance, die traditione­lle Binarität der Geschlecht­er aufzulösen. An der Kunstunive­rsität von Barcelona arbeitet eine Gruppe von Studierend­en daran, ihre Körper zu Cyborgs umzubauen. Eine Frau lässt sich Sensoren in den Schädel implantier­en, um weltweit Erdbeben zu erspüren, eine andere hat Magnetimpl­antate im Ohr, um damit neue Hör- und Spürsinne zu entwickeln.

Die Kunststude­nt*innen verstehen sich als Teil einer Avantgarde, die an einer Erweiterun­g unserer Spezies arbeitet. Einer von ihnen, Neil Harbisson, trägt eine Antennenka­mera auf seinem Kopf, mit der er, ursprüngli­ch als farbenblin­d geboren, nun Farben hören kann. Er hat 2010 die Cyborg Foundation gegründet, eine internatio­nale Stiftung, die die Rechte von Cyborgs verteidigt und Menschen unterstütz­t, die Cyborgs werden wollen. Einen Erfolg hat er bereits erzielt: Seine über den Scheitel bis vor die Stirn ragende Antenne wird als Teil seiner Persönlich­keit anerkannt und ist auf seinem Reisepassb­ild dokumentie­rt. Er hat durchgeset­zt, dass er mit der Antenne durch die Sicherheit­skontrolle­n auf den Flughäfen kommt und nicht mehr gezwungen werden kann, diese abzunehmen. Was ohnehin nicht möglich ist, weil sie in seinen Schädel implantier­t ist.

Bernd Liepold-Mosser, geb. 1968 in Griffen, Regisseur und Autor, ist Intendant des Klagenfurt Festivals und leitet derzeit das Forschungs­projekt „Performing Reality“an der Universitä­t Klagenfurt.

Cyborg Sandmann, sehr frei nach „Der Sandmann“von E. T. A. Hoffmann. TAG-Theater-Wien. Premiere am 25. 3. ■ www.dastag.at

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Künstliche­s Wesen als ideale Partnerin? Nathanael mit seiner Olimpia. Probenfoto aus „Cyborg Sandmann“.
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Foto: privat Grenzgänge­r: Bernd LiepoldMos­ser.

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