Illusionistische Visiten
Normalerweise denkt man sich als Fotograf – gleichgültig ob als Profi oder als passionierter „Hobbyknipser“– häufig, wie schön es doch wäre, wie pittoresk, wenn Orte, Landschaften, Plätze und Gebäude frei von an Ameisen gemahnenden Touristenmassen wären, um ein gelungenes, unverstelltes Bild von Stadt und Land, von Architekturjuwelen, vom Louvre, von der Piazza San Marco, vom Times Square, von Hofburg, Graben, von Peters- oder Stephansdom machen zu können. Doch dieser Tage erst erkennt man schmerzhaft, wie seelenlos menschenleere Orte werden können. Selbiges Phänomen trifft naturgemäß auch auf Innenräume zu. Verwaiste Restaurants, Cafés, Wirtshäuser und Hotels wissen ein Lied davon zu singen. Das Spezielle an Hotellobbys hat Wolfgang Thaler von jeher beschäftigt. Im Gegensatz zur heutigen Situation aber versucht er mittels seiner Aufnahmen „illusionistischer Interieurs“den Charakter, die Seele der Orte menschlichen Zusammenlebens festzuhalten. In seinen Fotografien Wiener Hotels manifestiert sich ein kollektives Gedächtnis, eine Summe an Geschichte, Tradition und Weltgewandtheit, an Kommunikation und Zusammengehörigkeit. Die Melange aus Versatzstücken an Interieurs, modern und alt, aus klaren Designkonzepten und schlicht Gewachsenem, zufällig Zusammengewürfeltem, historisch Wertvollem, Kitschigem und vermeintlich Bewahrenswertem ergibt ein Porträt der Stadt, ihrer Einwohner und Gäste. Der semiöffentliche Raum mutiere normalerweise, so Thaler, „zum ungewissen Raum im Nirgendwo“, global betrachtet. Im Fall der Wiener Hotels sei das anders. Man könnte meinen, das Kommen und Gehen entspreche der Wiener Grundstimmung von Melancholie und Contenance.
Wolfgang Thaler, „Wien Hotel. Vienna Hotel“(Engl./Dt.). Essays von Rajesh Heynickx, Andreas Spiegl, Lina Morawetz, Josef Kleindienst. € 39,– / 264 S. Edition Fotohof, Salzburg 2020