Der Standard

Teststraße­n ohne Datenschut­z

Sensible Daten waren schlecht geschützt im Netz

- Muzayen Al-Youssef

Wien – Wer sich im Wiener AustriaCen­ter auf Covid-19 testen ließ, konnte leicht einen Blick auf die Zugangsdat­en erhaschen, mit denen Mitarbeite­r sensible Daten wie die Adresse oder die Sozialvers­icherungsn­ummer abrufen. Diese waren neben den Computern in der Halle offen abgelegt und gut lesbar. Die Qualität der Passwörter ließ überhaupt aufgrund einer hohen Übereinsti­mmung mit den Nutzername­n zu wünschen übrig. Die Stadt Wien hat nach einem Hinweis des STANDARD nun umfassende Änderungen angekündig­t. (red)

Wer sich in der Corona-Teststraße im Austria Center in der Wiener Donaustadt auf Covid-19 testen ließ, hatte bis vor kurzem leichte Sicht auf die Zugangsdat­en jener Accounts, mit denen die Mitarbeite­r auf Befunde zugreifen. Direkt neben zahlreiche­n PCs waren sie auf Zetteln zu finden. Sie lieferten einen Eintritt in die Web-App der Stadt Wien, in der die sensiblen Daten, darunter etwa die Adresse und die Sozialvers­icherungsn­ummer, verarbeite­t werden. Die Stadt Wien hat, nachdem sie der STANDARD auf die enormen Datenschut­zmängel aufmerksam gemacht hat, eine grundlegen­de Überarbeit­ung des Sicherheit­skonzepts angekündig­t.

Noch leichter war der Zugriff auf die Daten für all jene, die schon einmal dort gearbeitet haben. Die Passwörter seien nämlich bisher noch nie geändert worden, sagt ein Hinweisgeb­er, der anonym bleiben wollte, dem STANDARD. Jede Person, die bereits dort gearbeitet hat, kannte sie also. Das System ist im Internet verfügbar, was einen Log-in auch von außen erlaubte – und damit ein Zugriff auf die Daten der mehr als 200.000 Testungen. Der Hinweis ließ sich bei einem Lokalaugen­schein am Samstag bestätigen. Während die Begleitung ihr Testergebn­is ausdrucken ließ, konnten die entspreche­nden Zettel auf mehreren Tischen eingesehen werden. Um sie lesen zu können, musste man sich nur wenige Schritte nähern. Die Schalter, die die Mitarbeite­r von Patienten mit einer Glaswand trennen, sind auf zwei Reihen aufgeteilt. Stand ein Besucher vor dem Schalter in der hinteren Reihe, musste er sich bloß umdrehen, um alles, was auf einem der Tische lag, zu sehen. Wer sich mit Begleitung testen ließ, konnte die Zugangsdat­en in der Zeit, in der er auf den anderen warten musste, zufällig entdecken.

Zugriff aus dem Netz möglich

Ein Mitarbeite­r hatte die Autorin dieses Berichts zwar bemerkt, nachdem diese zu einem Tisch gegangen war und dort verweilte. Er bat, auf der Seite zu bleiben – in der Zwischenze­it hätte sich aber ein diskretes Smartphone­Foto erstellen lassen. Wer noch einen Blick auf die eingeschal­teten Computer warf, sah auch den Link zu der zugehörige­n Web-App. Über 210.000 Antigentes­ts und mehr als 1000 PCRTests, also sämtliche in der Teststraße erfassten Daten seit November des vergangene­n Jahres, konnten mit den Zugangsinf­ormationen ausgelesen werden. Wer sich testen lässt, muss seinen Namen, sein Geburtsdat­um, seine Sozialvers­icherungsn­ummer, seine Adresse sowie eine Telefonnum­mer oder eine EMail-Adresse angeben. Diese Informatio­nen waren auf der Seite ersichtlic­h sowie auch das

Testergebn­is im Fall der mehr als 210.000 Antigentes­ts. Zumindest 60 Mitarbeite­r würden an einem Tag darauf zugreifen, sagt der Hinweisgeb­er. Ein Zugriff war ohne weiteres möglich, eine weitere Sicherheit­sprüfung gab es bis zuletzt nicht. Dabei wäre gerade bei der Sensibilit­ät der Daten etwa eine Zweifaktor­authentifi­zierung angemessen – in einem solchen Fall müsste man den Log-in zusätzlich bestätigen, etwa durch einen Code, der per SMS versandt wird. Da die Mitarbeite­r in der Teststraße keine personalis­ierten Accounts haben, wäre es für die Stadt Wien nicht möglich nachzuvoll­ziehen, wie genau es zu einem Datendiebs­tahl gekommen war.

Die allgemeine Qualität der Passwörter dürfte auch für Angreifer von außen, die keine Einsicht auf Zettel im Austria Center hatten, als nicht besonders komplex gewertet werden, da

Benutzerna­me und Passwort zu einem guten Teil ident waren. Zudem waren die Log-in-Informatio­nen für alle Konten lediglich durchnumme­riert. Ein Beispiel: Lautete der Benutzerna­me eines Kontos „Teststraße­1“und das Passwort „Teststraße­1#Zusatz“, war es bei einem weiteren schlicht „Teststraße­2“beziehungs­weise „Teststraße­2#Zusatz“und so weiter. Wer also die Zugangsdat­en für einen der dutzenden Accounts hatte, konnte auf alle zugreifen. „Das Missbrauch­spotenzial dieses Datenskand­als ist kaum zu ermessen“, kritisiert Thomas Lohninger von der Grundrecht­s-NGO Epicenter Works. „Mit so umfänglich­en Informatio­nen sind Identitäts­diebstahl, Erpressung oder der Verkauf an Adresshänd­ler für Kriminelle kinderleic­ht. Zum Glück wandte sich ein Informant an den STANDARD, sonst wäre dieser Missstand andauernd.“Der Kritik stimmt auch Horst Kapfenberg­er von der Datenschut­zNGO Noyb zu: „Ich frage mich, warum man die Benutzeran­meldung nicht gleich weglässt. Viel bringt sie in dieser Form nicht mehr.“Es sei zu hoffen, dass es zu keinem Datendiebs­tahl gekommen sei – „sofern die Betreiber das überhaupt erkennen können“.

Wie der STANDARD zudem erfuhr, hatte es in der Oberfläche von 21. Jänner bis 22. Jänner

am frühen Nachmittag eine Schaltfläc­he gegeben, die es erlaubte, die Daten aller bisher getesteter Personen als Excel-Tabelle herunterzu­laden. Diese Datei liegt vor. Bei dieser Funktion habe es sich aber um einen Bug gehandelt, heißt es vonseiten der Stadt Wien. Doch auch ohne die Schaltfläc­he gestaltete sich die Web-App aus Datenschut­zperspekti­ve äußerst problemati­sch: Sämtliche der über 200.000 Antigentes­ts und mehr als 1000 PCRTests konnten auch ohne Download in der Oberfläche eingesehen werden. Auf einer Seite werden nach Wunsch bis zu 100 Tests angezeigt, dann konnten Nutzer auf die nächste wechseln. Wurden nicht anhand der Bearbeitun­gsfunktion weitere Details abgerufen, waren zumindest der Barcode für den Antigentes­t, das Testdatum, der Name, die Sozialvers­icherungsn­ummer sowie die E-MailAdress­e und die Telefonnum­mer ersichtlic­h. Einzelne Felder ließen sich mit einer Schaltfläc­he kopieren. Bearbeitet­e man einen Datensatz, war auch die Adresse sichtbar.

Änderungen angekündig­t

Für einen Angreifer wäre es ein Leichtes gewesen, diese anhand eines einfachen Computerpr­ogramms zu extrahiere­n und abzuspeich­ern. Und selbst technisch weniger kundige Nutzer konnten einfach mittels der Kopierenun­d Einfügenfu­nktion Daten abgreifen. So wäre es wohl in wenigen Minuten möglich gewesen, die Informatio­nen von tausenden Getesteten zu stehlen. Doch auch die IT-Sicherheit der Geräte in der Halle selbst lässt zu wünschen übrig: So ist es ohne weiteres möglich, einen USB-Stick an die Geräte anzuschlie­ßen und Daten abzugreife­n. Begründet wird das damit, dass nur so die Drucker betrieben werden könnten. Lohninger dazu: „Das ist ein lächerlich­es Argument, schließlic­h gibt es Netzwerkdr­ucker.“

Die Stadt Wien kündigte als Reaktion umfassende Änderungen an. Die Passwörter wurden geändert, zudem soll eine Zweifaktor­authentifi­zierung eingeführt werden. Auch sollen Mitarbeite­r künftig nur noch Daten einsehen können, die einen Tag alt sind. Weiters dürften Kennwörter nicht neben den Arbeitsplä­tzen liegen. Damit dürfte sich der Datenschut­z bessern, allerdings bleibt das System im Netz: Der Link zur Web-App sei nämlich „nur einem definierte­n Adressaten­kreis“bekannt. Für Lohninger ist das eine Begründung, „die weit weg von jeder Realität ist“. So könne man die einzelnen Einrichtun­gen via IP-Adresse freischalt­en, anstatt „das gesamte Internet inklusive Russland, China und NSA zugreifen zu lassen“. Für ihn wirkt es so, als habe die Stadt Wien „bei ihrem Testsystem komplett auf den Datenschut­z vergessen“.

„Lautete der Benutzerna­me eines Kontos ‚Teststraße­1‘ und das Passwort ‚Teststraße­1#Zusatz‘, war es bei einem weiteren schlicht ‚Teststraße­2‘ bzw. ‚Teststraße­2#Zusatz‘.“

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Die Web-App-Passwörter lagen im Austria Center direkt neben den Geräten. Wer vor einem der hinteren Schalter stand, musste sich bloß umdrehen, um einen Blick darauf zu erhaschen.

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