Der Standard

Prominente­m Kreml-Kritiker drohen mehrere Jahre Haft

Behörden verlegen Verhandlun­gsort für den Prozess gegen Nawalny, Opposition will vor Gericht demonstrie­ren

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Großer Andrang zum NawalnyPro­zess: Einen Tag vor dem Verhandlun­gsbeginn gegen den inhaftiert­en Opposition­spolitiker Alexej Nawalny hat die Justiz den Verhandlun­gsort geändert. Das zuständige Bezirksger­icht Simowski wird im Gebäude des Moskauer Stadtgeric­hts tagen, um die Vielzahl der akkreditie­rten Medien unterzubri­ngen, teilte der Pressedien­st des Gerichts am Montag mit.

Der Prozess wurde auf Initiative der Gefängnisa­ufsichtsbe­hörde FSIN initiiert. Die FSIN wirft Nawalny vor, gegen seine Bewährungs­auflagen verstoßen zu haben. Am Montag schloss sich die Generalsta­atsanwalts­chaft

der Klage an: „In der Zeit vom 1. 1. 2020 bis zum 17. 8. 2020 hat A. Nawalny mehrfach gegen die Meldeaufla­gen verstoßen, und nach seiner Entlassung aus dem Berliner Universitä­tskrankenh­aus Charité am 24. 9. 2020 hat er sich völlig vor der gesetzlich vorgesehen­en Kontrolle gedrückt, indem er sich von Oktober bis Dezember 2020 kein einziges Mal gemeldet hat“, erklärte die Generalsta­atsanwalts­chaft. Das „rechtswidr­ige“Verhalten Nawalnys rechtferti­ge die Umwandlung der Bewährung in eine reale Haftstrafe, so die Behörde.

Damit sinken die Chancen des Opposition­spolitiker­s auf Freilassun­g

auf ein Minimum. Die meisten politische­n Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass er mindestens für die nächsten dreieinhal­b Jahre ins Gefängnis muss. Die Opposition hat trotzdem angekündig­t, am Verhandlun­gstag für die Freiheit Nawalnys zu protestier­en. An den vergangene­n beiden Wochenende­n hatten die landesweit­en Proteste zu einer Rekordzahl an Festnahmen geführt.

Dubioser Ausgangspr­ozess

Die Bewährungs­strafe für Nawalny stammt aus dem sogenannte­n Yves-Rocher-Prozess 2014. Nawalny und sein Bruder Oleg sollen dem Kosmetikhe­rsteller Transportd­ienstleist­ungen zu überhöhten Preisen angeboten haben. Zwar erklärten Vertreter von Yves Rocher vor Gericht, dass die Preise der Nawalnys unter dem Marktpreis lagen und dem Konzern kein Schaden entstanden sei. Ein Moskauer Gericht verurteilt­e die Brüder trotzdem wegen Betrugs und Geldwäsche zu je 3,5 Jahren Haft. Während Alexejs Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde (mit einer Bewährungs­frist von fünf Jahren), musste Bruder Oleg in Haft. Später wurde die Bewährungs­frist für Nawalny noch um ein weiteres Jahr verlängert – just bis Ende Dezember 2020.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) verurteilt­e das Strafverfa­hren als unfair. Eine Reihe von Bürgerrech­ten seien dabei verletzt worden. Das Urteil kritisiert­en die Richter dabei als willkürlic­h.

Russland hat, obwohl als Mitglied des Europarats dem EGMR unterstell­t, das Urteil des Gerichts ignoriert. Das Oberste Russische Gericht bestätigte 2018 das Urteil gegen Nawalny. Mit der Verfassung­sreform im vergangene­n Jahr hat sich Moskau ohnehin von der internatio­nalen Rechtsprec­hung losgelöst – Urteile werden seither nur noch akzeptiert, wenn das eigene Verfassung­sgericht zustimmt. (ab)

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