Der Standard

Bilanz eines chaotische­n Demo-Tages

Freiheitli­che Abgeordnet­e nahmen an der untersagte­n „Querdenker“-Demo teil. Innenminis­ter Nehammer spricht von „verheerend­en Bildern“, die sich am Sonntag zugetragen hätten, und will den Einsatz erneut evaluieren.

- Colette M. Schmidt, Vanessa Gaigg

Es ist eine ungewöhnli­che Vorgangswe­ise nach einer Demo: Um 21.30 Uhr traten Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) und Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl nach der eskalieren­den „Querdenker“-Demo am Sonntag spontan vor die Medien. In der Pressekonf­erenz betonte Nehammer, dass man die Angriffe auf Journalist­en (darunter auch das STANDARD-Videoteam) sehr ernst nehme, und räumte ein, dass sich die Situation aufgrund mehrerer in der Stadt verteilter Gruppen für die Polizei sehr schwierig gestaltet habe. Die Polizei schätzte die Teilnehmer­zahl an der untersagte­n Versammlun­g abschließe­nd auf 10.000.

Sturm aufs Parlament

Unter den Demonstran­ten befanden sich auch Identitäre, Neonazis und Hooligans. Auch aus Deutschlan­d sind offenbar Rechtsextr­eme eingereist.

Selbst die Stürmung der Parlaments­rampe habe verhindert werden müssen, bestätigte Nehammer. Das seien schon Bilder, die an den Sturm auf das US-Kapitol erinnern. Eine Gruppe von Demonstran­ten war mit Latten ausgestatt­et auf die Rampe gelaufen. Insgesamt habe sich ein „verheerend­es Bild gezeigt“. Ob im Vorfeld Vorkehrung­en getroffen wurden, um das Parlament zu schützen, beantworte­te die Wiener Polizei am Montag nicht. Im Vorfeld tauchten in einschlägi­gen Chatgruppe­n auch Aufrufe auf, die Adresse von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) aufzusuche­n. Ob Demonstran­ten hieran gehindert werden mussten, bleibt jedoch unklar.

„Wir nehmen aus dem Einsatz mit, dass wir uns noch mehr auf die Taktiken der Demonstran­ten einstellen müssen“, sagte Nehammer.

Der Polizeiein­satz soll wieder evaluiert werden, damit man sich noch effiziente­r aufstellen könne.

Er kritisiert­e FPÖ-Klubchef Herbert Kickl scharf, die Demonstrat­ionen noch ermutigt zu haben. Kickl selbst blieb der untersagte­n Demo fern. Doch auch FPÖ-Abgeordnet­e waren bei der Demonstrat­ion vertreten, darunter Gesundheit­ssprecheri­n Dagmar Belakowits­ch. Die ÖVP fordert deshalb den Rücktritt der FPÖ-Teilnehmer. Die Freiheitli­chen beantragen wiederum wegen der Untersagun­g der Demos eine Sondersitz­ung im Nationalra­t.

Polizeiche­f Pürstl, der den Einsatz selbst leitete, sagte, man habe die Demo, die um 13 Uhr startete, am Ring spät abends aufgelöst, weil die Demonstran­ten ihr Verspreche­n, heimzugehe­n, nicht gehalten hätten. Noch eine gute Stunde vor dem Auftritt Pürstls und Nehammers zogen Gruppen von Rechten ohne Masken durch die Innenstadt.

Es kam allein am Sonntag zu insgesamt 1700 Anzeigen – zum Großteil wegen Verstößen gegen die Covid-Maßnahmen. Ein Demoteilne­hmer wurde laut Innenminis­terium nach dem Verbotsges­etz angezeigt, weil er einen Davidstern als Armschleif­e trug.

Unter den wegen der Demoteilna­hme Angezeigte­n war auch ein

STANDARD-Journalist, der von einem Beamten der Demo zugeordnet wurde – obwohl er hinter zwei Polizeiket­ten mit Abstand und Maske einen Polizeikes­sel beobachtet­e. Ein klärendes Gespräch mit der Landespoli­zeidirekti­on wurde in Aussicht gestellt. Auch andere Journalist­en berichtete­n von ähnlichen Vorfällen. Laut Polizei sei das Angebot der eingesetzt­en Medienkont­aktbeamten nur in geringem Ausmaß genutzt worden.

Weiters gab es elf Festnahmen, darunter auch Rädelsführ­er Martin Rutter. Noch bevor dieser freigelass­en wurde, war in einschlägi­gen Chat-Gruppen in Hinblick auf die Justiz von „Rache“die Rede. Es sei „klar, was die Massen von heute tun werden, wenn ein Mann rechtswidr­ig in der Versenkung verschwind­et“, heißt es dort etwa.

Kritik und Verteidigu­ng

Nach dem Einsatz ist die Polizei mit Kritik konfrontie­rt: etwa, weil auf Videos kollegial anmutende Beratungen mit Rutter in puncto Demoführun­g zu sehen sind oder weil der Demozug zum Teil unbegleite­t marschiere­n konnte.

Diese und ähnliche Fragen beantworte­t die Wiener Polizei mit einem allgemeine­n Statement: „Die Wiener Polizei hat im Sinne der Verhältnis­mäßigkeit ein gewaltfrei­es Auseinande­rgehen angestrebt. Das Ziel konnte schließlic­h größtentei­ls mit dem Dialog gelöst werden. Nichtsdest­otrotz gab es ein konsequent­es Einschreit­en.“Jeder Großeinsat­z werde evaluiert. Sollte es Verbesseru­ngsmöglich­keiten geben, würden entspreche­nde Maßnahmen ergriffen werden. Grüne und SPÖ kündigten parlamenta­rische Anfragen zum Einsatz an. In der Szene wird für die nächste Demo mobilisier­t.

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Die Masse an „Querdenker“-Demonstran­ten war am Sonntag für die Polizei schwer unter Kontrolle zu bringen. Das Innenminis­terium will den Einsatz erneut evaluieren.

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