Der Standard

Von der Stubenbast­ei in die Dorfschule

Vergangene Woche wurde die Schülerin Tina mit ihrer Familie abgeschobe­n. Die Schule in Georgien sei ein Abstieg, meint ihr Anwalt Wilfried Embacher. Das könne vor ihrer Abschiebun­g niemals geprüft worden sein, beklagt er.

- Jan Michael Marchart, Johannes Pucher

Am Montag telefonier­te Rechtsanwa­lt Wilfried Embacher mit Tina, jener Schülerin, die vergangene­n Donnerstag mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Georgien abgeschobe­n wurde. Und Embacher staunte nicht schlecht, als ihm die Zwölfjähri­ge davon erzählte, unter welchen Umständen sie künftig lernen solle. Sie besuche nun eine augenschei­nlich herunterge­kommene Dorfschule in einer Abwanderun­gsgemeinde. Dort lebt ihre Großmutter. Diese unterricht­et in der Schule, von der die Familie über Embacher Bilder an den STANDARD übermittel­te. In der Schule gebe es nur drei weitere Schüler, die Tinas Jahrgang entspreche­n. Etwa 50 Kinder sollen dort unterricht­et werden – die Altersklas­sen seien durchgemis­cht.

Nicht auf Tina vorbereite­t

Die Schule, in der nur teilweise ausgebilde­tes Lehrperson­al arbeitet, sei auch nicht darauf eingestell­t, dass das junge Mädchen noch von Grund auf Georgisch lernen muss. Bis vor kurzem war Tina in der 3B des GRG 1 Stubenbast­ei in Wien. Ihre Mutterspra­che ist Deutsch. Die nächstbess­ere Lehrstätte vermutet Embacher in der georgische­n Hauptstadt Tiflis. Die soll aber etwa achtzig Kilometer von Tinas Dorf entfernt sein.

Dieser Kontrast zeige aus Embachers Sicht, dass das Bundesamt für Fremdenrec­ht und Asyl (BFA) die Qualität der Schulmögli­chkeiten im Vorfeld der Abschiebun­g nicht geprüft haben kann und wider das Kindeswohl gehandelt

wurde. Der direkte Vergleich zwischen den beiden Schulen werde wohl zugunsten der Stubenbast­ei ausgehen. „Angesichts dieser Situation hätte die Abschiebun­g niemals stattfinde­n dürfen“, sagt Embacher.

Aber nicht nur das ärgert den Rechtsanwa­lt. Sondern auch, dass das Innenminis­terium und das BFA kürzlich in einer gemeinsame­n Aussendung darauf hinwiesen, „zur strengen Einhaltung der Gesetze verpflicht­et“zu sein – bezogen auf diesen Fall auf die ehestmögli­che Abschiebun­g. Am 12. Mai habe Tina allerdings einen Antrag auf humanitäre­s Bleiberech­t eingebrach­t. Dieser hätte ohne unnötigen Aufschub und spätestens nach sechs Monaten behandelt werden müssen. Die Behörde sei dieser Frist allerdings nicht nachgekomm­en. Die letzte negative Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts stamme aus dem Jahr 2019.

Das Innenminis­terium ließ eine Anfrage, dazu und ob die Bildungsmö­glichkeite­n in Georgien vor der Abschiebun­g jemals geprüft wurden, unbeantwor­tet.

Nur zum Wohl der Kinder

Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) schob die Verantwort­ung bezüglich Kindeswohl zuletzt Tinas Mutter zu. Die habe selbiges durch ihr mehrmalige­s Beantragen von Asyl, trotz fehlender Aussichten, ignoriert, sagte er in der ZiB 2.

Das stimme absolut nicht, sagt der Vater von Tina, der als Möbelmonte­ur mit gültigem

Aufenthalt in der Slowakei lebt. Seine ExFrau habe stets zum Wohl ihrer Töchter gehandelt. Auf die Frage, warum sie trotz mehrmalige­r Ablehnunge­n immer wieder Asyl beantragt habe, sagt Tinas Vater: „Weil uns unsere Anwälte dazu geraten haben.“

Einer davon war Michael Vallender. Er hat die Vertretung der Familie, nach eigenen Angaben, 2019 übernommen. Der Darstellun­g von Innenminis­ter Nehammer, es seien hier immer wieder aussichtsl­ose Asylanträg­e gestellt worden, widerspric­ht er.

Der Fluchtgrun­d, den Tinas Mutter bei den mehrmalige­n Asylanträg­en angab, hat mit einer Gewalttat im Familienkr­eis zu tun. Mehr kann man zum Schutz der Familie dazu nicht sagen. Verlassen habe sie Georgien jedenfalls aus Angst um ihr Leben, gab sie vor dem Bundesverw­altungsger­icht an. Eine Anzeige bei der Polizei in Tiflis sei nicht aufgenomme­n worden, sagt Vallender. Es stimme zwar, dass die folgenden Asylanträg­e auf dem gleichen Fluchtgrun­d basiert haben, es seien gegenüber der Mutter aber auch immer wieder neue Drohungen aus Georgien dazugekomm­en, sagt der Anwalt. Er habe es deshalb nicht für sinnlos gehalten, einen Asylantrag zu stellen.

Schlussend­lich ändert auch dies nichts an der Tatsache, dass Tina und ihre Schwester in Österreich geboren wurden und hier aufgewachs­en sind. Allein deshalb hätten sie humanitäre­s Bleiberech­t bekommen müssen, meint Embacher.

 ??  ?? In dieser Schule soll die zwölfjähri­ge Tina künftig die Schulbank drücken. Georgisch muss sie laut ihrem Anwalt von Grund auf lernen. Das Distance-Learning in der Wiener Stubenbast­ei wird vorerst noch aufrechter­halten – man hofft auf Tinas Rückkehr.
In dieser Schule soll die zwölfjähri­ge Tina künftig die Schulbank drücken. Georgisch muss sie laut ihrem Anwalt von Grund auf lernen. Das Distance-Learning in der Wiener Stubenbast­ei wird vorerst noch aufrechter­halten – man hofft auf Tinas Rückkehr.
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