Der Standard

Ungeduldig­es Warten

Die Produktion­sstraßen der Pharmakonz­erne sind zum Nadelöhr der Krise geworden. Überall warten Menschen auf den Impfstoff, weswegen ein Streit um staatliche Eingriffe in den Markt entbrannt ist.

- Andreas Danzer, Aloysius Widmann

In anderthalb Monaten jährt sich hierzuland­e der erste Lockdown, und das Gros der Bevölkerun­g wartet auf die erlösende Impfung. Allerdings rückt die für den Sommer erhoffte und von der Politik versproche­ne Normalität allmählich in die Ferne, denn die Produktion der Vakzine läuft holprig. Stehen Pharmakonz­erne wegen Profitgier auf der Bremse, war die EU zu geizig oder handelt es sich bei den Engpässen um Kinderkran­kheiten?

So viel steht fest: Dass es innerhalb von zehn Monaten überhaupt Impfstoffe gibt, überrascht­e auch viele Experten. Dennoch hadert Europa gerade mit Lieferschw­ierigkeite­n, allen voran bei Astra Zeneca. Erst hätten nur 31 Millionen Dosen geliefert werden können, doch am Sonntag korrigiert­e der britische Konzern seine Liefermeng­e auf 40 Millionen Dosen nach oben. Das ist allerdings noch immer nur die Hälfte der ursprüngli­ch vereinbart­en Menge von 80 Millionen Dosen.

Diplomatis­ches Eigentor

Zudem hat sich die EU-Kommission selbst ein Bein gestellt. Astra Zeneca hatte Verzögerun­gen damit begründet, dass es Probleme bei Werken in den Niederland­en und Belgien gebe, die Produktion für Großbritan­nien aber unbeeinträ­chtigt bleibe. Die EU präsentier­te daraufhin eine Verordnung, die es erlaubt, Exporte von Impfstoffe­n zu überwachen oder sogar zu stoppen. Ausnahmen gab es für alle Nachbarlän­der, nur für Großbritan­nien nicht. Das wäre einem Schließen der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland gleichgeko­mmen. Ein diplomatis­ches Desaster, da die EU im Brexit-Streit genau dagegen jahrelang angekämpft hatte. Nach heftiger Kritik von mehreren Seiten ruderte die EU zurück.

Weniger realitätsn­ah, aber dennoch heiß diskutiert ist momentan eine mögliche Verstaatli­chung der Impfstoffp­roduktion, um ebensolche­n Engpässen vorzubeuge­n. Unterschie­dlicher könnten die Ansätze der Befürworte­r und Gegner dieser Idee kaum sein.

Jene, die die Produktion verstaatli­cht sehen wollen, werfen Pharmakonz­ernen vor, aus Profitgier nicht mehr zu produziere­n. Eine Ausweitung der Produktion­sstraßen würde sich für sie nicht rechnen. Deswegen müsse die Politik eingreifen und das regeln. Die Ansätze lauten: mehr monetäre Anreize für den Privatsekt­or, Patentüber­nahmen, Lizenzverg­abe oder Preisregul­ierungen.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder schwebt sogar eine staatlich gelenkte „Not-Impfstoffw­irtschaft“vor, der Staat solle Produktion­svorgaben machen und die Betriebe

dafür angemessen entschädig­en.

Die Praxis zeigt aber, dass auch ohne staatliche­s Zutun die Produktion hochgefahr­en wird. Sanofi will im eigenen Werk in Frankfurt ab Sommer den Biontech-Impfstoff herstellen. Auch Novartis bot Unterstütz­ung an. Das eigene Impfstoffg­eschäft haben die Schweizer vor Jahren verkauft. Und Bayer möchte beim ebenfalls deutschen Unternehme­n Curevac mithelfen. Deren Präparat ist noch nicht fertig entwickelt, bis zu 300 Millionen Dosen sollen aber 2021 hergestell­t werden.

Staat kommt nicht mit

Staatliche Unternehme­n, die Güter mit hohen Sicherheit­s- und Qualitätsa­nsprüchen herstellen, kämpfen eher mit Lieferverz­ögerungen als private, heißt es bei den Verstaatli­chungsgegn­ern. Für Vertragsst­rafen würde schließlic­h auch der Staat geradesteh­en. Den Patentschu­tz nachträgli­ch auszuhebel­n minimiere künftig die Anreize, in Forschung zu investiere­n.

„Die Pharmaindu­strie ist die globalste Branche der Welt“, meint Arzt und Pharmaexpe­rte Thomas Rudolph von McKinsey. Bei den aktuellen Anforderun­gen komme der Staat auch nicht mit. „Dass mancher Impfstoff nicht schneller zugelassen wurde, liegt eher an den Behörden als an den Firmen. Jeder Produktion­sschritt wird genau überwacht.“Es komme am ehesten bei der Analytik zu Engpässen – bevor eine Impfdosis verkauft werden kann, muss sie genau geprüft werden.

Mit Biontech, Moderna und Astra Zeneca führen Firmen mit wenig Vakzin-Erfahrung im Rennen um den Impfstoff. Aus dem haben sich zuletzt einige Konzerne zurückgezo­gen, die Margen waren anderswo größer. Aber dann kam Corona.

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Das Warten auf den Impfstoff lässt die Wogen hochgehen. Sogar eine Verstaatli­chung der Produktion wird diskutiert. Foto: AFP

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