Der Standard

Ein Hauch von Freiheit ist nötig

Der harte Lockdown lässt sich gesellscha­ftlich nicht mehr lange durchsetze­n

- Fabian Schmid

Man hört sie immer öfter, die Seufzer anlässlich der Entbehrung­en: Wie schön wäre es, einmal wieder in einem Gasthaus zu speisen; wie anregend, durch ein Kleidungsg­eschäft zu spazieren – und wie nötig, endlich wieder zum Friseur zu dürfen. Ganz zu schweigen vom so wichtigen Bedürfnis der Kinder, Gleichaltr­ige in der Schule zu sehen und Bildung zu erhalten.

Auf der anderen Seite stehen mutierte Viren, die sich noch schneller verbreiten; erschrecke­nde Berichte über Spätfolgen von Covid-19 und nach wie vor stark ausgelaste­te Krankenhäu­ser. D ie Politik muss permanent neu verhandeln, wie sie diese Widersprüc­he ausgleiche­n kann. Nach einem schwierige­n, trostlosen Jänner ist es nun wieder an der Zeit, den gesellscha­ftlichen Umgang mit der Pandemie zu überdenken. Die psychische Ermüdung in der Bevölkerun­g ist zu groß, um den strengen Lockdown beizubehal­ten – vor allem, da sich die Infektions­zahlen stabilisie­rt haben. Zwar auf einem etwas zu hohen Niveau, aber weit entfernt von den Horrormeld­ungen im Spätherbst.

Klar ist, dass die Politik nicht alle Öffnungswü­nsche erfüllen kann. Das behutsame Vortasten unter Einbeziehu­ng möglichst vieler Akteure ist hier die richtige Vorgehensw­eise. Schichtbet­rieb im Großteil des Schulwesen­s, eine Öffnung des Handels unter strengen Auflagen: Das wären Signale der Hoffnung, die bitternöti­g sind.

Ein wichtiger Nebeneffek­t ist, dass den radikalen Kräften ein Dämpfer verpasst wird. Die verführen ihre Anhänger nämlich dazu, gar keine Regeln mehr zu befolgen. Der Großteil der Bevölkerun­g will etwas anderes: Fast alle Menschen möchten sich selbst und andere schützen, aber gleichzeit­ig Nutzen und Zweck der Corona-Regeln verstehen.

Zwei Beispiele dafür: Kaum jemand begehrte auf, als im Herbst nach dem Erreichen einer fünfstelli­gen Zahl an Neuinfekti­onen die Notbremse gezogen wurde. Und der Andrang bei den Teststraße­n war gigantisch, als es darum ging, Verwandte bei der Weihnachts­feier zu schützen. Die vieldiskut­ierte Eigenveran­twortung, die der gemeine Österreich­er angeblich nicht hat, musste wohl auch erst gelernt werden.

Mittlerwei­le hat die Bevölkerun­g aber genug pandemisch­e Erfahrung, um kleine Lockerunge­n nicht als Einladung zu rundum verantwort­ungslosem Verhalten zu begreifen.

Aber selbst das Zusperren nach Verschlech­terungen der Infektions­lage ist erträglich­er, als in einem permanente­n Lockdown zu leben. Mittlerwei­le gibt es genug kluge Ideen, sicher durch die nächste Phase der Pandemie zu kommen: Die lang versproche­ne Regionalis­ierung der Maßnahmen entspreche­nd der Corona-Ampel muss dringend wiederbele­bt werden; außerdem muss die Politik für die breite Verfügbark­eit von Selbsttest­s sorgen und über deren korrekte Anwendung

und Aussagekra­ft aufklären. Mit „Dauertestu­ngen“könnten dann weitere Lockerunge­n ermöglicht werden: zuerst bei den körpernahe­n Dienstleis­tungen, dann in der Gastronomi­e und schließlic­h im Sport- und Kulturbetr­ieb.

Dank großflächi­ger Immunisier­ung durch Impfungen nimmt die Chance zu, dass die Politik den „Hammer and Dance“aus hartem und weichem Lockdown nicht mehr allzu oft aufführen muss. Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg, die ersten Impfungen lassen das vielzitier­te „Licht am Ende des Tunnels“aber tatsächlic­h immer heller strahlen.

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