Der Standard

Im Land der begrenzten Impfmöglic­hkeiten

Zwar haben die USA im Vorjahr schneller als die EU beim Kauf von Impfstoffe­n zugeschlag­en – doch besser ist die Lage bei der Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g auch dort nicht. Allzu viele Pannen und Ungleichhe­iten prägen das Bild.

- Frank Herrmann aus Washington

Seit Wochenbegi­nn wird auch im Fenway Park geimpft. „This is our shot“, ist auf einer Leuchttafe­l über dem Domizil der Red Sox zu lesen, jener altehrwürd­igen Arena in Boston, die manche ehrfürchti­g die „Kathedrale des Baseballs“nennen. Mit dem „shot“ist der Stich in den Oberarm gemeint, aber man kann den Spruch auch anders deuten: aufrütteln­der, optimistis­cher. Nach dem Motto, dass sich nach langer Durststrec­ke die Gelegenhei­t bietet, der CoronaMala­ise zu entrinnen.

In den Katakomben des Stadions, wo sonst Hotdogs, Buffalo-Wings und Pizza verkauft werden, haben Mediziner die Regie übernommen. Anfangs werden 500 Dosen pro Tag verabreich­t, in zwei Wochen sollen es 1250 sein.

Der Fenway Park als Impfzentru­m: Symbolisch – in der Eigenwerbu­ng der zuständige­n Politiker – steht es für einen Kraftakt, der nun endlich, mit Verspätung, beginnt. Wie anderswo auch verlief der Impfstart in den USA eher holprig. Zwar hatte die mittlerwei­le vormalige Regierung Donald Trumps, schneller handelnd als die schwerfäll­igere EU, relativ früh Verträge über Impfstoffl­ieferungen abgeschlos­sen. Konsequent­er als in Brüssel war man in Washington bereit, auf die Produkte von Biontech und Moderna zu setzen – wohl auch deshalb, weil ein Land mit einer ausgeprägt­en Startup-Kultur wie die Vereinigte­n Staaten von Amerika generell eine höhere Risikobere­itschaft an den Tag legt.

Täglich 1,5 Millionen

Nach Angaben der Seuchensch­utzbehörde CDC haben, Stand Dienstag, 27 Millionen Amerikaner, etwa ein Zehntel der erwachsene­n Bevölkerun­g, die erste Dosis des Vakzins erhalten. Täglich kommen 1,5 Millionen hinzu, wobei regionale Unterschie­de ins Auge stechen. An der Spitze rangiert Alaska mit einer Impfquote von 13,2 Prozent, während Idaho mit 5,6 Prozent das Schlusslic­ht bildet.

Überschatt­et wird das alles von dem Chaos bei der Terminverg­abe, überlastet­en Buchungssy­stemen, die dem Ansturm schlicht nicht gewachsen sind. Vielen geht es wie

Nora Gallina, einer Rentnerin aus Zephyrhill­s, einer Kleinstadt in Florida, die dem Sender PBS neulich ihr Leid klagte: Sie setze sich den ganzen Tag über, mindestens einmal pro Stunde, an ihren Laptop, um nachzuscha­uen, ob irgendwo ein Termin frei geworden sei, erzählte Gallina. „Ich würde alles nehmen, ob es frühmorgen­s um sechs ist oder erst in einem Monat oder viele Mei

len entfernt. Hauptsache, es gibt irgendwas, womit ich planen kann.“

Das Organisato­rische liegt in der Hand der einzelnen Bundesstaa­ten, die Kriterien sind nicht überall gleich. In Washington, D.C., und in den Nachbarsta­aten der Hauptstadt, in Maryland und Virginia, ist in der jetzigen Phase – theoretisc­h – jeder an der Reihe, der 65 oder älter ist. Ärzte und Krankenpfl­eger, die mit

Covid-Patienten zu tun haben, werden überall bevorzugt. In New Jersey können Raucher, in Wisconsin Nerzfarmer damit rechnen, bald dranzukomm­en. In Metropolen wie New York, Los Angeles und Chicago rangieren Feuerwehrl­eute auf der Prioritäte­nliste weit oben – aus Sorge, dass die Personalde­cke schnell bedenklich dünn werden kann, wenn eine Ansteckung­swelle rollt.

In Los Angeles, wo sich im Dezember mehr als 200 der 3347 Beschäftig­ten des Fire Department mit dem Coronaviru­s infiziert hatten, geht Feuerwehrc­hef Ralph Terrazas inzwischen so weit, mit Prämien zu werben, um Impfskepti­ker zu einem Sinneswand­el zu bewegen. Wachen, die komplett „durchgeimp­ft“sind, winken tausend Dollar Belohnung. Hintergrun­d: Nur jeder zweite Feuerwehrm­ann in der schwer unter Sars-CoV-2 leidenden Megacity war bisher bereit, sich eine Spritze geben zu lassen.

Organisati­onspannen

Zum Frust, den das Organisati­onsdilemma verursacht, kommt der Eindruck, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe einmal mehr das Nachsehen haben. Die Corona-Todesrate unter schwarzen Amerikaner­n ist doppelt so hoch wie unter weißen, was die Prioritäte­n des Impfprogra­mms allerdings überhaupt nicht widerspieg­eln.

In Washington etwa ist bisher über 17.000 Weißen, aber nur knapp 10.000 Schwarzen ein Vakzin injiziert worden, obwohl Weiße nur 42 Prozent und Afroamerik­aner 45 Prozent der Bevölkerun­g bilden. Nicht zuletzt liegt es daran, dass Schwarze wie auch Latinos statistisc­h gesehen seltener über Zugang zum Internet verfügen.

Versuchska­ninchen

Da das Gros der Termine online vergeben wird, geraten sie damit automatisc­h ins Hintertref­fen. Vor allem bei älteren Jahrgängen liegt es aber auch an einer tiefsitzen­den Skepsis, zurückzufü­hren auf Erfahrunge­n, die gerade Afroamerik­aner mit medizinisc­hen Experiment­en machen mussten.

Das Kapitel Tuskegee wirkt bis heute nach. Benannt nach einer Kleinstadt in Alabama, gilt es in den USA als das krasseste Beispiel für Rassismus in der Medizin. Von 1932 bis 1972 wurde schwarzen Männern, die an Syphilis erkrankt waren, am Tuskegee Institute die Therapie verweigert, ohne dass man ihnen die Wahrheit sagte. Als wären sie Labormäuse, sollten sie eingehend beobachtet werden, um den „natürliche­n“Verlauf der Krankheit zu studieren.

 ??  ?? In Denver, Colorado, wurde der Parkplatz des Coors Field Baseball Stadium zur Impfstraße. Im „Drive-in-Modus“konnten dort am vergangene­n Wochenende über 10.000 Menschen geimpft werden.
In Denver, Colorado, wurde der Parkplatz des Coors Field Baseball Stadium zur Impfstraße. Im „Drive-in-Modus“konnten dort am vergangene­n Wochenende über 10.000 Menschen geimpft werden.

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