Oppositioneller Nawalny soll für dreieinhalb Jahre hinter Gitter
Dem Politiker wird vorgeworfen, dass er sich während seiner Berliner Reha nicht bei der Moskauer Polizei gemeldet hat
André Ballin aus Moskau
Die erste Pointe bot der Prozess gegen Alexej Nawalny schon vor Verhandlungsbeginn: Wjatscheslaw Detischin, der Leiter des Moskauer Bezirksgerichts Simonowski, das den Fall am Dienstag – allerdings wegen des hohen Medienaufkommens im Gebäude des Moskauer Stadtgerichts – hörte, hatte kurz vor Prozessbeginn seinen Rücktritt eingereicht. Ob der Rücktritt mit dem schlagzeilenträchtigen Fall zusammenhängt, wollte das Gericht nicht kommentieren.
Während auf der Straße Nawalny-Anhänger für die Freilassung des Politikers demonstrierten und über
200 Personen festgenommen wurden, sprang kurzfristig eine andere Richterin im bizarren Prozess um versäumte Meldepflichten ein.
Denn konkret ging es darum, ob und wie sich Nawalny während seiner ambulanten Reha in Deutschland bei der Moskauer Polizei regelmäßig hätte registrieren müssen. Eine Krankschreibung ist noch kein triftiger Grund zum Fehlen. Zumindest nicht nach Ansicht der russischen Justiz. 60 Mal habe Nawalny gegen die Bewährungsauflagen verstoßen, so die Anklage.
Der Großteil der Vorwürfe stammt aus der Zeit, als Nawalny in Deutschland weilte. Die Verteidiger versuchten zu beweisen, dass Nawalny bis November krankgeschrieben war und die Behörden darüber auch schriftlich informiert habe. Laut Staatsanwaltschaft hätte er sich aber sofort nach dem Krankenhausaufenthalt im September wieder persönlich bei den Moskauer Behörden melden müssen.
Im Koma nach Vergiftung
Der gebürtige Moskauer ist der härteste Kritiker von Präsident Wladimir Putin in Russland. Als er im August während einer Wahlkampfund Recherchereise durch Sibirien auf dem Rückflug zusammenbrach, wurde er zunächst in einem Krankenhaus in Omsk behandelt. Später konnte seine Frau Julia seine Ausreise nach Deutschland durchsetzen, wo er dann im Berliner Universitätskrankenhaus Charité geheilt wurde. Putin erklärte im Dezember auf seiner Jahrespressekonferenz, er persönlich habe die Erlaubnis gegeben, da Nawalny wegen seiner Vorstrafen ansonsten nicht hätte ausreisen dürfen.
Ein Bundeswehrspeziallabor stellte fest, dass der 44-jährige Politiker mit einem chemischen Kampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden war. Labore in Frankreich und Schweden sowie von Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen bestätigten den Fund. Russland zweifelt ihn allerdings nach wie vor an – wohl auch ein Grund für das harte Vorgehen gegen Nawalny.
Beobachter betrachten die Umwandlung der Bewährung in eine Haftstrafe als politisch motiviert. Zumal auch der Ausgangsprozess 2014 gegen Alexej Nawalny und seinen Bruder Oleg um angeblichen Betrug am französischen Kosmetikhersteller Yves Rocher als dubios gilt. Konzernvertreter konnten keinen Schaden feststellen. Alexej erhielt damals dreieinhalb Jahre auf Bewährung, während sein Bruder die Haft antreten musste.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte den Prozess 2017 als unfair und das Urteil als willkürlich eingestuft und Russland zu Schadenersatz verurteilt. Paradox: Russland hat die Kompensation ausbezahlt, das Urteil aber nicht revidiert.
Der Fall hat längst außenpolitische Dimensionen angenommen. Mehrere europäische Diplomaten besuchten den Prozess. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenamts, sprach daraufhin von einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten. ... Präsident Wladimir Putin, der ihn nie beim Namen nennt.
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