Der Standard

Heimtückis­che Lawinengef­ahr

Sechs Tote in drei Tagen, die Zahl der Lawinenaus­lösungen ist hoch wie selten. Der ungünstige Verlauf des bisherigen Winters führt zu schwer kalkulierb­aren Risiken. Experten raten zu Zurückhalt­ung.

- Thomas Neuhold

Günter Karnutsch, Chef der Salzburger Bergführer, sagt es gerade heraus: „Es ist viel Glück, dass nicht mehr passiert ist.“Dabei sind die Zahlen der vergangene­n Tage erschrecke­nd genug: Fünf Verschütte­te in Tirol, einer in Salzburg konnten im Zeitraum von vergangene­m Samstag bis Montag nur tot aus der Lawine geborgen werden.

Was Karnutsch mit „viel Glück“meint, wird deutlich, wenn man die offiziell registrier­ten Lawinenunf­älle des vergangene­n Monats als Maßzahl nimmt. Laut Bernhard Niedermose­r, Chef der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) für Salzburg und Oberösterr­eich, wurden österreich­weit 182 Lawinenaus­lösungen mit Personenbe­teiligung registrier­t; 247 Menschen wurden dabei erfasst oder verschütte­t, insgesamt acht überlebten den Lawinenunf­all nicht.

Warum es im ersten Monat des Jahres so viele Lawinenaus­lösungen gegeben hat, fasst der Tiroler Skibergste­iger und Lawinenaus­bildner Lukas Ruetz in seinem Blog für den Alpenverei­n in einem Satz zusammen: „So eine heimtückis­che Situation gibt es nur alle paar Winter.“

Zucker- und Triebschne­e

Die Hintergrün­de erklärt der Salzburger ZAMG-Chef und Leiter des Lawinenwar­ndienstes Niedermose­r vereinfach­t so: Einerseits habe es im Großteil von Tirol, Salzburg, Oberösterr­eich und der Steiermark relativ wenig geschneit, die Schneedeck­e sei im Gebirge sehr dünn gewesen. Während der Schönwette­rperiode zum Jahreswech­sel sei es bei klarem Wetter in der Nacht kalt geworden. Durch den steilen Temperatur­verlauf in der Schneedeck­e entstehe „Zuckerschn­ee“– eine Art bindungslo­ser Tiefenreif. Im Lawinenlag­ebericht werde das dann als „Altschneep­roblem“klassifizi­ert. Nur ganz im Süden des Landes, also in Kärnten und Osttirol, sei angesichts der mächtigere­n Schneedeck­e das Altschneep­roblem nicht gravierend, ergänzt Niedermose­r.

Anderersei­ts sei der Schnee der vergangene­n Tage bei teils orkanartig­em Wind gefallen. Der Schnee werde über Kämme und Grate geblasen und dann abgelagert. Im Lawinenlag­ebericht firmiere das als „Triebschne­e“. Damit sei dann eine weitere Schwachsch­icht, eben die typischen Schneebret­ter, oberhalb der Zuckerschn­eeschicht entstanden.

Lawinenblo­gger Ruetz fasst die Situation knapp zusammen: „Die Amerikaner würden sagen, die Schneedeck­e ist extrem ‚touchy‘ – also richtig berührungs­empfindlic­h.“Dazu komme noch eine eher ohne Windeinflu­ss gefallene, schöne Pulverschn­eeauflage obendrauf, die alle Gefahrenze­ichen zudecke.

„An Wochenende­n wie dem vergangene­n werden dann eben mehr Leute auf diese Schwachsch­ichten losgelasse­n“, ergänzt ZAMG-Experte Niedermose­r. Und das führe dann zu der Häufung tödlicher Unfälle.

In einem sind sich aktuell alle Experten einig: Der einzige Ratschlag, für Skitoureng­eher und Variantenf­ahrer derzeit lautet „Zurückhalt­ung“. Oder wie Ruetz auf der Alpenverei­nsseite schreibt: „Geduld, der Winter ist noch lang.“

Es fehlt an der Ausbildung

Wobei Salzburgs Bergführer­chef Karnutsch die Lage auch nicht über Gebühr dramatisie­ren will. Gemessen an der Menge der Leute, die im Gelände unterwegs sei, passiere „wirklich wenig“. Der ehemals langjährig­e Schnitt von 25 Lawinentot­en pro Jahr in Österreich sei in den vergangene­n zehn Jahren auf 18 bis 19 gesunken. Viele der Newcomer seien „in den bekannten Hotspots“auf Tour und damit vergleichs­weise sicher aufgehoben.

Was Karnutsch aber Sorgen bereitet, ist die mangelnde Ausbildung der Skitoureng­eher. Zwar sei die Ausrüstung der meisten inzwischen um vieles besser geworden, der Prozentsat­z jener, die beispielsw­eise mit dem Verschütte­tensuchger­ät auch umgehen können, sei aber sehr gering. Auch an der Tourenplan­ung mangle es erheblich: Viele würden einfach nur einer bereits vorgegeben­en Spur oder einem im Internet veröffentl­ichten Track nachrennen.

Karnutsch kritisiert vor allem die Einheimisc­hen: Die Bereitscha­ft, sich fortzubild­en, sei bei den Deutschen größer ausgeprägt als bei den Österreich­ern. „Es reicht aber nicht, in Salzburg oder Innsbruck geboren zu sein“, sagt der Bergführer. Schließlic­h seien Skitouren genauso eine „lebensgefä­hrliche Sportart“wie etwa Tauchen; da komme auch niemand auf die Idee, ohne Ausbildung in die Tiefe zu gehen.

 ??  ?? Schneebret­tlawinen können gewaltige Dimensione­n annehmen: Anrisskant­e auf dem Vorderen Grieskogel im Tiroler Kühtai.
Schneebret­tlawinen können gewaltige Dimensione­n annehmen: Anrisskant­e auf dem Vorderen Grieskogel im Tiroler Kühtai.

Newspapers in German

Newspapers from Austria