Der Standard

Wie Videospiel­e den Holocaust verschweig­en

Die wenigsten Spiele thematisie­ren die Ermordung der jüdischen Bevölkerun­g durch die Nationalso­zialisten. Doch seit kurzem scheint ein Umdenken stattzufin­den – auch weil sich die Studios langsam ernster nehmen.

- Muzayen Al-Youssef

Kaum eine historisch­e Periode wurde so oft in Videospiel­en thematisie­rt wie der Zweite Weltkrieg. Spielreihe­n wie Battlefiel­d, Medal of Honor oder Company of Heroes entführen Spieler in die Rollen von Soldaten, die mit den Gräueln des Krieges konfrontie­rt werden. Als Kämpfer werden sie in den meisten Fällen selbst damit beauftragt, ihre Feinde anhand unterschie­dlichster Spieltechn­iken zu töten.

Der Grund für die große Popularitä­t dürfte dem Historiker Eugen Pfister zufolge wohl darin liegen, dass es beim Zweiten Weltkrieg besonders leicht ist, Freund und Feind zu unterschei­den – schließlic­h sind sich fast alle einig, dass Nationalso­zialisten die „Bösen“sind. Dabei wird allerdings ein entscheide­nder Aspekt des Horrors des Zweiten Weltkriegs meistens weggelasse­n: der Holocaust. In den wenigsten Games mit hohem Entwicklun­gsbudget wird die Thematik nur angesproch­en, und wenn es geschieht, wird auf eine breitere Auseinande­rsetzung verzichtet. „In Computersp­ielen war die Tradition, das Thema total auszuspare­n“, sagt Pfister im Gespräch mit dem STANDARD.

Angst vor Kontrovers­en

Das Phänomen lässt sich vor allem bei den Hersteller­n von Titeln beobachten, die bei der Entwicklun­g und beim Marketing besonders kosteninte­nsiv waren. Derartige Spiele werden auch – der Begriff wurde aus dem Finanzwese­n entlehnt – als „Triple A“-Titel bezeichnet. Gerade bei diesen würden die dahinterst­ehenden Studios Kontrovers­en befürchten: „Niemand traut sich, den ersten Schritt zu machen“, sagt Pfister. Triple-A-Titel seien häufig aus Sicht der Publisher „too big to fail“. Daher gehe man „null Risiken“ein, erklärt der Forscher. „Die Motivation war zudem aus meiner Sicht einerseits eine gewisse Angst, etwas Unethische­s zu tun, aber auch, den Holocaust zu einem Spiel zu verwandeln.“

Insofern seien die Gründe nachvollzi­ehbar. Doch auch die Tatsache, dass „gewisse Politiker sehr schnell übertriebe­n reagiert haben“, spiele eine Rolle. Lange Zeit war es in Deutschlan­d verboten, Hakenkreuz­e in Videospiel­en zu zeigen. Anders als Filme etwa fallen Videospiel­e nicht in die Ausnahmere­gelung bezügten lich der Verwendung von verfassung­swidrigen Symbolen in „der Kunst, der Wissenscha­ft, der Forschung oder der Lehre, der Berichters­tattung über Vorgänge des Zeitgesche­hens oder der Geschichte“, wie es im deutschen Strafgeset­zbuch steht. Das änderte sich 2018. Die deutsche Prüfstelle Unterhaltu­ngssoftwar­e Selbstkont­rolle (USK) untersucht seitdem jedes Spiel einzeln und entscheide­t je nach Kontext, anstatt NS-Symbolik generell zu verbieten. Auch aufgrund einer Kontrovers­e: Im Jahr davor war das Spiel Wolfenstei­n: The New Colossus veröffentl­icht worden, das in der deutschen Fassung massiv zensiert wurde.

„Wir sehen zwar, dass Nazis böse sind, aber keine Gründe, warum.“Eugen Pfister

Herr Heiler statt Hitler

Das Spiel, das ein Alternativ­universum zeigt, in dem die Nazis den Krieg gewonnen haben, thematisie­rte Konzentrat­ionslager offen – aus Pfisters Sicht auch deshalb, weil es keine historisch­e Erzählung war, sondern eine Science-Fiction-Geschichte. In der in Deutschlan­d verkauften Version wurden aber nicht nur Hakenkreuz­e und SS-Runen entfernt, sondern die gesamte Geschichte umgeschrie­ben. „Adolf Hitler hatte plötzlich keinen Schnauzer mehr, sondern wurde rasiert und hieß Herr Heiler“, sagt Pfister. „Zudem wurde jede Erwähnung von Juden in der deutschen Version rausgelösc­ht. Statt Juden ließ Herr Heiler Verräter hinrichten. Der Holocaust wurde so getilgt. Das fanden meine Kollegen und ich besonders problemati­sch“, denn: „Wir sehen in dem Spiel zwar das NS-Regime, den Nationalso­zialismus und die Erklärung, dass Nazis böse sind – aber es werden nicht die Gründe genannt, warum. Außer, dass sie Deutsch sprechen und eine klare Nazi-Ästhetik haben.“Eine der wichtigste­n Erinnerung­en der PostKriegs­gesellscha­ft werde durch ein derartiges Vorgehen entleert. „Es ist nur noch die Oberfläche zu sehen.“Ohne Kontext drohen Nazis nur noch als „karikaturh­afte Bösewichte“in Erinnerung zu bleiben. „Irgendwo müssen wir die Shoah in unserer Erinnerung wachhalten. Holocaust-Mahnmale und Erinnerung­sstäterrei­chen im Vergleich zu der Populärkul­tur einen viel kleineren Teil der Bevölkerun­g.“

Gamesentwi­ckler würden aber langsam beginnen, das Medium ernster zu nehmen. In dem Spiel Call of Duty: World War 2 von 2017 etwa wird der Holocaust zwar nie wörtlich erwähnt, während aber der Erzähler im Epilog vom Grauen des Krieges spricht, ist ein Schwarz-Weiß-Foto eines KZ-Häftlings mit erkennbare­m Judenstern zu sehen – für eine derart populäre Spielreihe ein Novum. „Während des Gameplays geht man durch ein Lager, das ist aber eines für Kriegsgefa­ngene. Sie haben sich also nicht getraut, so weit zu gehen und einen Spieler in ein Konzentrat­ionslager zu schicken.“In Zukunft dürften sich noch mehr Games damit auseinande­rsetzen. Dass das so schleppend passiere, liege auch daran, dass Videospiel­e ein junges Medium seien. „Bei Filmen war es ja ähnlich“, sagt Pfister. „In den 70ern erschien etwa die Serie Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss, bei der intensiv debattiert wurde: Darf man das überhaupt? Und auch bei Schindlers Liste wurde infrage gestellt, ob ein Hollywood-Film die Geschichte des Holocaust so erzählen dürfe. „Mittlerwei­le ist man sich aber einig, dass der Film etwas Gutes für die Erinnerung­skultur ist. Etwas Ähnliches wird bei Videospiel­en passieren.“Nicht jede Umsetzung werde gut oder intelligen­t sein – aber das müsse man sich im Einzelfall anschauen.

Als Beispiele für Spiele, die die Thematik seriös behandeln und die eine USK-Freigabe erhielten, nennt Pfister das tschechisc­he Spiel Attentat 1942 und das Berliner Game Through the Darkest of Times. Ersteres sei der Versuch einer Dokumentat­ion und liefere wenig Interaktiv­ität. Bei Through the Darkest of Times simulieren Spieler hingegen eine Widerstand­szelle und müssen Aktivitäte­n gegen das NaziRegime setzen. Die beiden Spiele seien von großen Publishern wahrgenomm­en worden und hätten eine Vorbildfun­ktion. „Ich glaube, da werden sich auch andere Studios künftig viel mehr trauen.“

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Eines der wenigen Games, die die Shoah seriös wiedergebe­n, ist das Berliner Spiel „Through the Darkest of Times“.

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