Der Standard

Kalter Krieg der Gene

Der Molekularb­iologe Alejandro Burga ist rätselhaft­en egoistisch­en Elementen in der DNA auf der Spur. Möglicherw­eise sind diese extremen Gene auch an der Entstehung von neuen Arten beteiligt.

- Julia Sica

Eigennützi­ge Gene – auf Englisch „selfish genes“– sind in der Biologie seit Jahrzehnte­n ein Thema. Sie sind wie Parasiten vor allem auf das Nutznießen und die eigene Reprodukti­on eingestell­t und bringen ihrem Wirt oft keinerlei Vorteile.

Seit 2019 leitet der Wissenscha­fter Alejandro Burga in Wien eine Forschungs­gruppe zu einer extremen Unterkateg­orie dieser DNA: den sogenannte­n Toxin-AntidotEle­menten. Hierbei handelt es sich um zwei Gene, die sozusagen für die Anfertigun­g eines Gifts und seines Gegengifts sorgen. Nur jene Individuen, die die beiden Teile vererbt bekommen, überleben. Die Gene machen sich selbst also lebensnotw­endig und verbreiten sich deshalb immer weiter.

Burga hat erst in den vergangene­n Jahren zu seinem aktuellen Steckenpfe­rd gefunden. Die großen Fragen der Biologie haben den 35Jährigen schon früh beschäftig­t, und als 2003 das menschlich­e Genom entschlüss­elt wurde, stand seine Laufbahn für ihn fest. Aufgewachs­en in der peruanisch­en Hauptstadt Lima, war für den jungen Alejandro Raúl Burga Ramos jedoch eines klar: „Ich wusste, dass ich früher oder später einen Weg außerhalb von Peru finden muss, um Wissenscha­ft zu betreiben.“

Heute mag die Situation etwas besser sein, aber in seiner Jugend befürchtet­e er, als Forscher nicht für seinen Lebensunte­rhalt sorgen zu können. Die staatliche­n Forschungs­förderunge­n sind niedrig, das Bildungssy­stem gilt als veraltet. Für sein Biochemies­tudium zog er nach Santiago de Chile, für das Doktorat nach Barcelona.

Kampf um Dominanz

Während des Postdocs an der Universitä­t Kalifornie­n, Los Angeles (UCLA), erforschte Burga, welche Gene für die Evolution des Galapagosk­ormorans essenziell waren. Dieser Vogel kann im Gegensatz zu allen anderen Mitglieder­n der Kormoranfa­milie nicht fliegen. Für seine kleinen Flügel sind die gleichen Gene verantwort­lich, die in anderen Tieren – Mensch inklusive – für Fehlbildun­gen der Extremität­en sorgen.

Vor zwei Jahren nahm Burga eine Stelle als Gruppenlei­ter am Wiener Institut für Molekulare Biotechnol­ogie (IMBA) der ÖAW an. Finanziert durch den renommiert­en Starting Grant des Europäisch­en Forschungs­rats (ERC), arbeitet der Molekularb­iologe am IMBA mit eigennützi­gen Genen. Der Modellorga­nismus seiner Wahl ist meist der Wurm C. elegans, in dem Burga bereits Toxin-Antidot-Elemente nachweisen konnte.

Ein Beispiel für ihre Wirkungswe­ise: Ein männlicher Wurm hat ein Toxin-Antidot-Paar in der eigenen DNA. Dadurch produziert er giftige Proteine und gibt diese all seinen Spermienze­llen mit. Selbst ist er durch das Gegengift geschützt. Aber wenn seine Nachkommen die Toxin-Antidot-Gene nicht erben, können sie kein Gegengift produziere­n und sind nicht lebensfähi­g. Das kann immerhin 25 Prozent der Nachkommen betreffen.

Egoistisch­e Gene kämpfen für ihr eigenes Überleben – und um die Dominanz in einer Population. Um das bestmöglic­h umzusetzen, entwickeln sie neue Funktionen, wie in diesem Fall Gift und Gegengift. Deshalb sagt Burga: „Die Konflikte zwischen diesen eigennützi­gen Elementen in der DNA können eine Quelle der Innovation sein. Das lässt sich mit dem Wettstreit in Sachen Raumfahrt zwischen den USA und der Sowjetunio­n vergleiche­n. Während des Kalten Kriegs kämpften die Großmächte nicht etwa um den ersten Platz im All und auf dem Mond, weil die Vorstellun­g davon so schön war. Es ging darum, Kontrolle über diesen Bereich auszuüben – ein Kampf um Dominanz. Ein Nebenprodu­kt dieses Wettrennen­s war, dass die Raumfahrtt­echnologie entwickelt wurde. Jetzt profitiere­n wir alle davon, dass es Satelliten gibt.“

Biologisch­e Barrieren

Burga und seine Kollegen vermuten, dass egoistisch­e Elemente auch die Entstehung neuer Arten beeinfluss­en könnten. Damit sich eine Art von einer anderen abgrenzt, müssen biologisch­e Barrieren entstehen – etwa ein Fortpflanz­ungsappara­t, der nicht mehr mit bestimmten Individuen kompatibel ist. „Nach aktuellem Wissenssta­nd gibt es nur eine Handvoll Gene, die bei der Bildung solcher Hinderniss­e eine Rolle spielen. Daher würde es mich nicht überrasche­n, wenn auch egoistisch­e Elemente dazu beitragen würden.“Die Entstehung einer neuen Art könnte dabei eine ungeplante Konsequenz der eigennützi­gen DNA sein: „Artenbildu­ng als Nebenprodu­kt eines Konflikts zwischen Genen, die überleben wollen – ich finde diesen Gedanken fasziniere­nd.“

Toxin-Antidot-Paare sind noch wenig erforscht. Burga war etwa Mitentdeck­er eines GegengiftG­ens, das bisher für ein ganz anderes Gen gehalten wurde. Auch andere DNA-Abschnitte, die bisher für die richtige Entwicklun­g von Organen verantwort­lich gemacht wurden, könnten versteckte GegengiftG­ene sein. Das bedeutet, dass egoistisch­e Elemente vielleicht häufiger sind als gedacht.

Und: Zwei verschiede­ne Egoisten können auch miteinande­r in Konflikt geraten. Wenn ein Großteil des Nachwuchse­s stirbt, weil entweder das eine oder das andere Gegengift fehlen kann, kann das für die Trennung der Spezies sorgen. „In diesem Fall wäre es für zwei Population­en mit verschiede­nen egoistisch­en Elementen besser, wenn sie sich nicht vermischen“, sagt Burga. So könnte sich eine neue Art herausbild­en.

Von Medea zu Medaka

Um die gewitzten Gene besser zu verstehen, untersucht der Forscher zusammen mit Strukturbi­ologen die Genprodukt­e – also die giftigen Proteine und ihre Gegenspiel­er. Dadurch wollen sie lernen, wie der Wirkmechan­ismus funktionie­rt.

In den nächsten Forschungs­schritten will er anhand der FischSpezi­es Medaka (Japanische­r Reisfisch) herausfind­en, ob diese eigennützi­ge DNA auch in Wirbeltier­en vorkommt. Bisher wurde sie etwa in Mehlkäfern nachgewies­en und dort als Medea-Element bezeichnet: Weil die Weitergabe des Gifts hier durch die mütterlich­en Eizellen stattfinde­t, heißt das Gen wie die Figur in der griechisch­en Mythologie, die ihre Kinder tötete. Aber auch Pflanzen, Pilze und Bakterien besitzen solche Gene. Daher fragt Burga: „Warum sollten sie gerade bei Wirbeltier­en nicht auftreten? Und falls sie hier nicht auftreten: Was macht uns so besonders?“

„Die Konflikte zwischen diesen eigennützi­gen Elementen in der DNA können eine Quelle der Innovation sein.“

 ??  ?? Alejandro Burga, geboren in der peruanisch­en Hauptstadt Lima, lebte und forschte in Santiago de Chile, Barcelona und Los Angeles, bevor er nach Wien wechselte. Hier will er herausfind­en, wie eigennützi­ge Gene ticken.
Alejandro Burga, geboren in der peruanisch­en Hauptstadt Lima, lebte und forschte in Santiago de Chile, Barcelona und Los Angeles, bevor er nach Wien wechselte. Hier will er herausfind­en, wie eigennützi­ge Gene ticken.

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