Der Standard

Was tun, wenn das Internet zerreißt?

Nicht nur ein Blackout in den Stromnetze­n, auch ein großflächi­ger Internetau­sfall würde Wirtschaft und Gesellscha­ft zum Erliegen bringen. Notfallsze­narien dazu sind bisher rar.

- Johannes Lau

Estlands äußerste Verteidigu­ngslinie befindet sich in Luxemburg: Hier stehen nämlich jene Back-up-Server, auf denen die digitale Verwaltung­ssoftware des Baltenstaa­ts und die Datensätze seiner Bürger gesichert sind. Die Einrichtun­g dieser Rückversic­herung war die Folge einer äußerst unangenehm­en Kollektive­rfahrung: 2007 kam es in Estland zu massiven Cyberattac­ken auf Behörden, Medien und Banken — was für einige Zeit das öffentlich­e Leben in Tallinn und dem Rest des Landes stark einschränk­te.

Österreich blieb von Angriffen dieser Art bisher verschont. Um sich auf derartige Cyberattac­ken vorzuberei­ten, beschäftig­t sich seit Ende letzten Jahres das Institut für Technikfol­genabschät­zung der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften in Wien mit einem solchen Szenario. Das transdiszi­plinäre Forschungs­projekt „Isidor“wird im Rahmen von Kiras gefördert — einem vom Landwirtsc­haftsminis­terium verantwort­eten und von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) gemanagten Sicherheit­sforschung­sprogramm. Weitere Kooperatio­nspartner sind unter anderem das Innenminis­terium und die Universitä­t für Bodenkultu­r.

„Zwei Technologi­en ziehen sich durch alle Sektoren und Branchen und können Infrastruk­turbetreib­er daher in schwierige Situatione­n bringen: Strom sowie Informatio­nsund Kommunikat­ionstechni­k“, umreißt Projektmit­arbeiter Jaro Krieger-Lamina die Problemati­k. Zu einem weitreiche­nden, lang anhaltende­n Stromausfa­ll, einem sogenannte­n „Blackout“, gebe es bereits eine Reihe von Studien. Hinsichtli­ch einer Gesamtstör­ung des Internets sehe es dagegen anders aus. Daher wurden Krieger-Lamina und seine Kollegen gebeten, die Folgen einer solchen Ausnahmesi­tuation zu analysiere­n.

Dabei gehe es weniger um den Bereich der Sicherheit­sinformati­k, wo man sich damit beschäftig­t, wie man Hackerangr­iffe verhindert.

Jaro-Lamina und sein Team interessie­rt vielmehr, was passiert, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, und welche Maßnahmen dann zu ergreifen sind: „Unabhängig davon, was der Auslöser ist, möchten wir wissen: Was wären die Folgen und Konsequenz­en eines großflächi­gen, lang andauernde­n Internetau­sfalls?“

Kaskadenef­fekte

Dabei soll unter anderem erforscht werden, mit welchen Abhängigke­iten und Kaskadenef­fekten man es zu tun hätte: Was passiert, wenn alle Notfallplä­ne in Kraft gesetzt werden? Kommt es zu Versorgung­sengpässen, und wenn ja, ab wann? Aufgrund der Antworten sollen auch Pläne für ein staatliche­s Krisen- und Katastroph­enschutzma­nagement entwickelt werden, mit dem man dann effizient reagieren könnte.

Bisher haben sich primär Soziologen und Politikwis­senschafte­r mit Netzabscha­ltungen beschäftig­t — im Zusammenha­ng mit der Repression in autoritäre­n Regimen. Dass man sich darüber hinaus mit einem solchen Notfall noch recht wenig auseinande­rgesetzt hat, hänge laut Krieger-Lamina damit zusammen, dass das Internet insgesamt wegen seiner netzförmig­en Struktur als relativ ausfallsic­her gilt: Während sich einerseits manche Informatik­er schon zu der These hinreißen ließen, dass das Internet sogar einen Atombomben­abwurf überleben könne, hätten sich die Theorien der Skeptiker, wie sich das ganze Netz zum Einsturz bringen ließe, noch nicht in der Praxis bewahrheit­et.

Und dieser Glaube an die ständige Verfügbark­eit ziehe sich durch alle Bevölkerun­gsschichte­n — die Verantwort­lichen in der Wirtschaft eingeschlo­ssen. Zwar habe wohl jeder Betrieb seine eigenen Notfallmaß­nahmen für Netzstörun­gen, aber einen großen Plan für einen landesweit­en Ausfall gebe es offenbar noch nicht. Das sollte sich jedoch schleunigs­t ändern: Aufgrund der technische­n Entwicklun­g wären die Folgen wohl gravierend. Früher existierte­n nämlich viele unabhängig­e Netzwerke nebeneinan­der wie eigene Telefonnet­ze. Inzwischen werden aber immer mehr Dienste auf gleichem Weg, etwa mithilfe der Cloud-Technologi­e, abgewickel­t — auch aufgrund seiner Wirtschaft­lichkeit: „Das Internet ist einfach und günstig zu bekommen und hat alles, was man braucht“, fasst Krieger-Lamina die Kalkulatio­n vieler Betriebe zusammen.

Kommunikat­ionsblacko­ut

Und das könnte sich im Ernstfall rächen. Durch einen Netz-Blackout kann es in Logistik- und Lieferkett­en zu Versorgung­sunterbrec­hungen kommen. Betriebe, die keine großen Lager unterhalte­n, könnten nicht mehr kurzfristi­g bestellen, was sie zur „Just in time“-Produktion benötigen. Zudem wird das Internet inzwischen in vielen Bereichen genutzt, um Anlagen zu warten und zu steuern. Eine bange Frage, die sich dabei etwa stellt: Was bedeutet es für die Pumpleistu­ng der Wasservers­orgung, wenn die virtuelle Infrastruk­tur zusammenbr­icht?

Aber ein Internetau­sfall hätte auch eine wesentlich­e soziale Bedeutung: Schließlic­h käme ein Großteil der Kommunikat­ion zum Erliegen. Und viele Menschen werden ja bereits nervös, wenn im seltenen Fall Facebook für ein paar Stunden offline ist.

„Das Gefühl der Unsicherhe­it würde dann stetig steigen. Anfangs wäre es bloß ein ungewöhnli­cher Zustand. Aber je länger es dauert und man merkt, dass etwas nicht mehr geht, werden die Menschen unruhiger und möchten Sicherheit — zumindest in dem Sinne, dass sie wissen wollen, wann endlich alles wieder funktionie­rt.“Eine Situation, die einem aktuell sehr bekannt vorkommt — man sollte sich also besser rechtzeiti­g vorbereite­n.

 ?? Foto: Getty Images / iStockphot­o ?? Ein länger andauernde­r Cut in der Internetve­rsorgung hätte weitreiche­nde Folgen. Forscher analysiere­n, was in einem solchen Fall passiert und welche Maßnahmen es braucht.
Foto: Getty Images / iStockphot­o Ein länger andauernde­r Cut in der Internetve­rsorgung hätte weitreiche­nde Folgen. Forscher analysiere­n, was in einem solchen Fall passiert und welche Maßnahmen es braucht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria