Der Standard

Persönlich­keitstest mit Weißbüsche­laffen

Neugierig, ängstlich oder wagemutig: Biologinne­n untersucht­en, wie sich die Persönlich­keit von Affen über die Zeit entwickelt – und stießen auf ungeahnte Zusammenhä­nge.

- Susanne Strnadl

Während man Persönlich­keit früher nur Menschen zugestand, ist mittlerwei­le klar, dass auch Tiere individuel­le Unterschie­de in ihrem Verhalten aufweisen. Von Insekten über Tintenfisc­he, Fische und Vögel bis zu verschiede­nsten Säugern konnte gezeigt werden, dass einzelne Tiere sich neugierige­r, aggressive­r oder ängstliche­r verhalten als Artgenosse­n aus derselben Population. Zahlreiche Aspekte der tierischen Persönlich­keit sind jedoch nach wie vor ungeklärt. An der Universitä­t Wien stehen diesbezügl­ich Weißbüsche­laffen im Fokus der Forschung.

Vedrana Šlipogor vom Department für Verhaltens- und Kognitions­biologie der Universitä­t Wien befasst sich bereits seit mehreren Jahren mit den kleinen Primaten. Dabei konnte sie zeigen, dass sich dieselben Individuen in bestimmten Testsituat­ionen immer wieder gleich verhalten, also tatsächlic­h Persönlich­keit aufweisen: So begegnen manche Tiere einem unbekannte­n Objekt eher mit Neugier, während andere es aktiv vermeiden. Ebenso verhalten sich manche Individuen in einer ungewohnte­n Umgebung eher forsch, andere ängstlich, oder sie gehen einer potenziell­en Gefahr entgegen, statt ihr auszuweich­en – ganz ähnlich wie wir das auch von Menschen kennen.

Spielzeugt­ests

Wenig untersucht ist bisher, ob sich die Persönlich­keitsstruk­tur von Tieren mit der Zeit ändert und ob es diesbezügl­ich Unterschie­de zwischen Tieren in menschlich­er Obhut und ihren Artgenosse­n in freier Wildbahn gibt. „Es wäre zum Beispiel denkbar, dass sie in Gefangensc­haft ein geringeres Persönlich­keitsspekt­rum zeigen, weil es keine Raubtiere und immer viel Futter gibt“, wie Šlipogor sagt.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, unterzogen sie und Kollegen an Menschen gewöhnte, aber freilebend­e Weißbüsche­laffen in Brasilien denselben Tests wie die Bewohner des Weißbüsche­laffen-Labors (Marmoset Lab) der Universitä­t Wien: Die Tiere wurden mit einem unbekannte­n Objekt in Form von buntem Plastikspi­elzeug und mit einem unbekannte­n Nahrungsmi­ttel konfrontie­rt. Weiters erhielten sie eine Delikatess­e – in dem Fall eine Banane –, wurden jedoch beim Fressen durch ein fahrendes Spielzeuga­uto unterbroch­en.

In der Folge wurde festgehalt­en, wie rasch die einzelnen Affen nach dem „Schock“wieder an die Futterstel­le zurückkehr­ten. Zuletzt wurde ihre Reaktion auf einen Fressfeind getestet, im konkreten Fall eine im Laub verborgene Plastiksch­lange. Die wilden Affen reagierten in allen Tests ganz ähnlich wie ihre Artgenosse­n in Gefangensc­haft. An den Wiener Affen führte Šlipogor diese Tests zweimal im Abstand von vier Jahren durch, um zu sehen, ob sich ihre Persönlich­keit in dem Zeitraum verändert hatte. „Die Affen werden in menschlich­er Obhut zwölf bis 18 Jahre alt“, sagt Šlipogor, „da sind vier Jahre eine lange Zeit. Gewöhnlich untersucht man nur Zeiträume von ein paar Wochen.“

Sozialer Aufstieg

Tatsächlic­h trat durch die lange Pause zwischen den Experiment­en ein ungeahnter Zusammenha­ng zutage: Während die meisten Affen keine nennenswer­ten Persönlich­keitsverän­derungen zeigten, benahmen sich Tiere, die in der Zwischenze­it sozial aufgestieg­en waren, merklich anders: Weißbüsche­laffen leben in Familiengr­uppen aus einem Elternpaar und dessen – auch erwachsene­m – Nachwuchs zusammen, wobei sich nur das dominante Paar fortpflanz­t; die anderen helfen bei der Jungenaufz­ucht. Tiere, die innerhalb der vier Jahre Fortpflanz­ungsstatus erlangt hatten, verhielten sich wagemutige­r als zuvor.

Um die Frage, wie sich Persönlich­keit stammesges­chichtlich entwickelt hat, näher zu beleuchten, verglichen Šlipogor und ihre Kollegin Michaela Masilkova von der Südböhmisc­hen Universitä­t in Tschechien die Persönlich­keitsstruk­turen von drei verschiede­nen Affenarten, nämlich in Gefangensc­haft lebenden Weißbüsche­laffen (Callithrix jacchus), Rothandtam­arinen (Saguinus midas) und Lisztaffen (Saguinus oedipus).

Alle drei gehören zur Familie der Krallenaff­en, doch während Rothandtam­arine und Lisztaffen beide Angehörige der Gattung Saguinus sind, fallen Weißbüsche­laffen unter die Gattung Callithrix. Die entwicklun­gsgeschich­tlichen Wege der beiden Gattungen haben sich vor rund 14 Millionen Jahren getrennt, die der Rothandtam­arine und der Lisztaffen vor rund fünf Millionen.

Vergleich unter drei Arten

Alle drei Affenarten bewohnen Südamerika, sind klein und leben in Gruppen zusammen, die den Nachwuchs gemeinscha­ftlich aufziehen. Es gibt allerdings auch Unterschie­de: Weißbüsche­laffen bilden größere Gruppen und besiedeln verschiede­nste Lebensräum­e, während die beiden anderen Arten hauptsächl­ich Regenwälde­r bewohnen. Ist Persönlich­keit eine Frage der Abstammung, sollten die näher verwandten Rothandtam­arine und Lisztaffen mehr Ähnlichkei­ten aufweisen. Anderersei­ts kann das Persönlich­keitsspekt­rum einer Art auch von ihrer Lebensweis­e abhängen: Dann könnten Spezies mit ähnlichen Umweltbedi­ngungen mehr Überlappun­gen haben als nah verwandte.

Wie sich herausstel­lte, ähneln sich alle drei Arten in puncto Extroverti­ertheit und Durchsetzu­ngsvermöge­n, doch erwiesen sich die Lisztaffen als weniger verträglic­h. Die größte Übereinsti­mmung gab es zwischen den weniger nah verwandten Weißbüsche­laffen und den Rothandtam­arinen. Das passt zu Beobachtun­gen in freier Wildbahn: Sowohl Weißbüsche­laffen als auch Rothandtam­arine tun sich manchmal vorübergeh­end mit unbekannte­n Artgenosse­n zusammen, wohingegen Lisztaffen fremde Tiere gewöhnlich vertreiben.

 ??  ?? Weißbüsche­laffen in menschlich­er Obhut (hier im Marmoset Lab der Uni Wien) wurden mit freilebend­en Artgenosse­n verglichen und nach vier Jahren noch einmal getestet.
Weißbüsche­laffen in menschlich­er Obhut (hier im Marmoset Lab der Uni Wien) wurden mit freilebend­en Artgenosse­n verglichen und nach vier Jahren noch einmal getestet.

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