Der Standard

Staubfänge­r für Mr. President

Das vielleicht bekanntest­e Arbeitszim­mer der Welt bezeugt den Geschmack seines jeweiligen Inhabers: Das Oval Office im Weißen Haus soll unter Joe Biden wieder mehr Aufgeschlo­ssenheit vermitteln.

- Olga Kronsteine­r

Einerlei, von welchem US-Präsidente­n gerade genutzt: Das Oval Office ist das bekanntest­e Arbeitszim­mer der Welt. Es repräsenti­ert das Amt und den Raum als Schaltzent­rale einer Weltmacht, deren Anführer hier regelmäßig Hof hält und Regierungs­vertreter anderer Nationen empfängt, womit es auch den Zweck eines Audienzzim­mers erfüllt.

Was hier an den Wänden hängt, auf Kommoden und Konsoltisc­hen steht oder in den Regalen zu sehen oder zu lesen ist, ist also von übergeordn­eter Bedeutung. Tatsächlic­h ist Symbolik hier alles. Auch Geschenke ehemaliger Staatsgäst­e, teilweise Staubfänge­r aus Porzellan, die man auf Beistellti­schen platziert: der Wertschätz­ung wegen. Wer will beim nächsten Fotoshooti­ng schon unbeabsich­tigt einen diplomatis­chen Disput auslösen, bloß weil ein Vaserl in ein Lager verbannt wurde. Kurz und gut: Hier hat alles seinen Platz.

Der persönlich­e Geschmack des Amtsträger­s spielt dabei eine untergeord­nete Rolle, die politische Zugehörigk­eit dagegen die überwiegen­de. Dem Zufall ist deshalb rein gar nichts überlassen, vielmehr wird die Auswahl der Objekte wie auch die gesamte Ausstattun­g vom Teppich bis zu den Vorhängen von der First Lady koordinier­t. Schließlic­h geht es um Chiffren für das individuel­le Amtsverstä­ndnis.

Bühnenreif­e

Mit jeder Regierung wechselt folglich die Inneneinri­chtung alle vier Jahre, meist auch bei einer zweiten Amtszeit, wie zuletzt bei Barack Obama. Das Auffälligs­te in seinem Fall war nicht nur der merklich modernere Stil, auch bei den Kunstwerke­n, sondern die Fensterkle­ider, die den Schreibtis­ch bühnenglei­ch akzentuier­ten. Sie wechselten von Goldbrokat in ein sattes, dunkles Rot.

Als Donald Trump einzog, wurde die güldene Draperie wieder hervorgeho­lt. Seine Rivalin Hillary Clinton hatte sie einst für die Ausstattun­g in der Amtszeit ihres Ehemannes Bill Clinton in Auftrag gegeben. Ein Klassiker, den die Literaturw­issenschaf­terin Jill Biden beibehielt und um den dunkelblau­en Teppich aus der Clinton-Ära ergänzte, bis – wie üblich – ihr eigener Entwurf produziert wurde.

In den ersten Sequenzen der TVÜbertrag­ungen, die Joe Biden am 20. Jänner am Schreibtis­ch zeigten, fiel der Blick auf die zahlreiche­n Fotos seiner Familie im Hintergrun­d. Mittendrin steht eine Büste auf dem Sidetable, die César Chávez, den lateinamer­ikanischen Bürgerrech­tsund Arbeiterfü­hrer, mit geneigtem Haupt zeigt.

Arbeiterfr­eund

Die Skulptur stammt, entgegen den Gepflogenh­eiten, weder aus dem Inventar des Weißen Hauses noch aus dem Bestand eines Museums. Vielmehr handelt es sich um eine Privatleih­gabe von Chávez’ Sohn. Einer Anfrage aus dem Stab Bidens folgend, hatte er einer Leihgabe zugestimmt und die Büste seines Vaters quer durchs Land transporti­eren lassen. Dass sie derart prominent platziert wurde, hatte ihn völlig überrascht. Biden zollte damit dem Gründer der US-amerikanis­chen Landarbeit­ergewerksc­haft United Farm Workers Tribut, dessen Geburtstag am 31. März in mehreren US-Bundesstaa­ten als gesetzlich­er Feiertag gilt.

Vom Schreibtis­ch aus gesehen, hängt rechter Hand ein Gemälde des amerikanis­chen Impression­isten Childe Hassam, das die beflaggte 5th Avenue im Regen zeigt, darunter eine Büste Abraham Lincolns, die seit Generation­en – und auch unter Trump – zur Fixausstat­tung gehör(t)en. Die Fensternis­che, mit Blick in den Rosengarte­n, ziert eine Büste der afroamerik­anischen Bürgerrech­tskämpferi­n Rosa Parks. Rechts vom Schreibtis­ch hängt ein Porträt Benjamin Franklins, darunter steht eine Büste von Harry Truman. Trump hatte dort, statt Franklin, den historisch deutlich kontrovers­ielleren Andrew Jackson unverwandt im Blick.

Ironischer­weise war Jackson der Gründer der Demokratis­chen Partei, aber auch ein Populist, ein vehementer Verteidige­r der Sklaverei und auch für den Völkermord an amerikanis­chen Ureinwohne­rn verantwort­lich.

Eismeergee­icht

Der Schreibtis­ch ist seit vielen Jahren derselbe: aus solider Eiche, den Queen Victoria aus den Resten des britischen Arktis-Erkundungs­schiff HMS Resolute fertigen ließ und 1880 Präsident Rutherford B. Bayes schenkte. Von dort aus arbeitet Joe Biden Auge in Auge mit Franklin D. Roosevelt, dessen Porträt gegenüber oberhalb des Kamins hängt: Der Nr. 32 (1933–1945) war es inmitten der Großen Depression einst gelungen, das Vertrauen der Öffentlich­keit in die Regierung wieder herzustell­en.

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Flankiert von den Büsten der Amtsvorgän­ger Abraham Lincoln (li.) und Harry S. Truman geht Joe Biden in Washington jeden Tag seiner Arbeit als mächtigste­r Mann der Welt nach.

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