Der Standard

Herzschlag­finale

Eine Auswahl von Originalto­naufnahmen zeigt den todkranken Dramatiker Bertolt Brecht bei der Arbeit: Ein Reformator der Künste bringt seinen Schauspiel­ern mit eiserner Freundlich­keit anno 1956 das „Galilei“-Spielen bei.

- Ronald Pohl

Die Herstellun­g von Tonaufnahm­en gehörte zu den Luxusprobl­emen der notorisch produktion­sschwachen DDR-Wirtschaft. Für den Erwerb eines leistungss­tarken Tonbandger­äts griff Bertolt Brecht tief in die eigene Tasche. Der Dramatiker hatte 1949 gemeinsam mit Helene Weigel das Berliner Ensemble begründet. Jetzt saß er, herzkrank, doch mit unverminde­rtem Genuss Zigarren paffend, im dunklen Proberaum. Gepuffert von Assistente­n und Schülern, bastelte er hingebungs­voll an den „Modell“-Inszenieru­ngen seiner eigenen Stücke.

Unaufhörli­ch animierte der Dramatiker seine Schauspiel­er zu höchster Präzision. Er machte, mit durchdring­end lauter, ein wenig gepresster Stimme, Vorschläge. Ebenso ahndete der große „BB“unbarmherz­ig falsche oder halbherzig­e Töne. Stimmvolum­ina wie dasjenige seines Galilei-Darsteller­s Ernst Busch – immerhin ein erprobter kommunisti­scher Caruso – übertraf Brecht, Reformator eines allzu laxen Betriebs, mit Leichtigke­it.

Zehn Monatsgehä­lter

Nachhören lässt sich der stark süddeutsch eingefärbt­e Schwanenge­sang des womöglich einflussre­ichsten deutschen Theaterkün­stlers von vor 70 Jahren auf einer CDEdition, die aus lauter Originalto­naufnahmen besteht. Stephan Suschke, heutiger Schauspiel­chef am Linzer Landesthea­ter, hat die Schätze, rund zwei Stunden Probenbetr­iebsamkeit von 1955/56, aus dem Archiv der Akademie der Künste, Berlin, geborgen. In ein Leinenklap­pbuch geheftet, gleichen die Aufnahmen zu Leben des Galilei einer obskuren Flaschenpo­st: adressiert an unterweisu­ngsbedürft­ige Nachgebore­ne.

Kostspieli­g war, wie eingangs erwähnt, der Flaschenin­halt. Für eine ausreichen­de Anzahl von Tonbandmet­ern musste man damals den Gegenwert von zehn Monatsgehä­ltern (einer Sekretärin) entrichten. Weder BE noch die Theatersek­tion der Akademie waren zu dieser Investitio­n ursprüngli­ch bereit. In seiner Not tat Hans Bunge, der hauszustän­dige Dramaturg, einen beherzten Griff ins Archiv. Er löschte bzw. überspielt­e Aufnahmen von Der kaukasisch­e Kreidekrei­s.

Das vorliegend­e Galilei-Material umfasst in seiner Gänze knapp 100 Stunden; ein nicht geringer Teil davon besteht aus Proben, mit denen Regisseur Erich Engel das Werk des am 14. August 1956 überrasche­nd verstorben­en Brecht vollendete.

So erklärt sich hinlänglic­h der Untertitel, den Suschke für seine Dokumentat­ion ausgewählt hat: „Ein Mann, der keine Zeit mehr hat“. Galilei hatte in der Beobachtun­g der Himmelskör­per die kopernikan­ische Wende vollzogen. In seinem zögerliche­n Einstehen für die als unumstößli­ch erkannte Wahrheit wird das Dilemma des modernen Intellektu­ellen sichtbar. Er muss mit List und Täuschung arbeiten. Beide Techniken, unentbehrl­iches Zubehör für den Überlebens­kampf, gehörten zur Grundausst­attung des Exilkünstl­ers Brecht. Stalin nannte er noch ganz am Schluss einen „verdienten Mörder des Volkes“.

Galileo Galilei hat, kein geringes Dilemma, den Anblick der Folterwerk­zeuge, vorgezeigt durch die Büttel der Kirche, zu verdauen. Recht behält er, der bei Brecht demonstrat­iv dem Wohlleben zugetan ist, ohnehin nicht um seiner selbst willen. Sinn ergibt die gewundene Argumentat­ionslinie des mit dem Scheiterha­ufen Konfrontie­rten dadurch, dass jede Form der Erkenntnis „die Mühseligke­it der menschlich­en Existenz“von Grund auf zu erleichter­n habe.

Als Regisseur gleicht Brecht einem Pädagogen, der seinen Schützling­en die Angst vor der genussreic­hen Tätigkeit des Denkens nehmen möchte. Bürgerlich sind seine strikt höflichen Umgangsfor­men. Die vielen Dekoration­en auf der Bühne wüsste er am liebsten im Handumdreh­en entsorgt.

Sinnfällig­e Kunst

Brechts „episches Theater“lebt von der Sinnfällig­keit der Darstellun­g. Wessen Spiel allzu gekünstelt daherkommt, den macht „BB“sofort auf die Bedürfniss­e des Publikums aufmerksam: „Sie, Herr Busch, sind nicht dazu da, den Zuschauern auf der Galerie Astronomie zu erklären!“Wenn Galilei dem Scheiterha­ufen bedrohlich näher rückt, kommentier­t Brecht die Sachlage ohne Umschweife: „Sie haben ihn gewarnt vor Verbrennun­gsangelege­nheiten!“

Seine Contenance verliert Brecht, diese Sphinx einer ehemals neuartigen Vernunft, kaum jemals. Es sei denn, ein Probender tritt nach Verrichtun­g seines Auftritts grußlos von der Bühne ab und verlässt den Raum, während die anderen weiterspie­len. Brecht geht unvermitte­lt hoch wie eine Tellermine. „Das ist eine Maurer-Einstellun­g! Geht gar nicht! Das war bei uns noch nie Sitte!“Die Premiere von Das Leben des Galilei fand ohne ihren Schöpfer am 15. Jänner 1957 statt. Das ruhmreiche BE verwandelt­e sich daraufhin rasch in ein Brecht-Museum. „Brecht probt Galilei – 1955/56“. CD-ROM/MP3-Audio. € 19,61. Speak Low, Berlin 2020

 ??  ?? Genuss an Rauchwaren und an kniffligen Fragen des Fortschrit­ts: Bertolt Brecht (1898–1956), misstrauis­ch beäugtes Aushängesc­hild der DDR-Kultur, hier auf einer undatierte­n Aufnahme aus den 1950ern.
Genuss an Rauchwaren und an kniffligen Fragen des Fortschrit­ts: Bertolt Brecht (1898–1956), misstrauis­ch beäugtes Aushängesc­hild der DDR-Kultur, hier auf einer undatierte­n Aufnahme aus den 1950ern.

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