Der Standard

„ORF kann komplett neu gedacht werden“

Kommunikat­ionschef Martin Radjaby-Rasset verlässt die Erste Group. Ist das der erste Schritt des grünen Hoffnungst­rägers Richtung Küniglberg? Ideen für einen „zukunftsfi­tten“ORF hat der frühere Ö3-Mann.

- INTERVIEW: Harald Fidler

Warum verlässt Kommunikat­ionschef Martin Radjaby-Rasset die Erste Group – und was hat er vor? Was wäre beim ORF zu tun – und will er selbst in die Führung des größten österreich­ischen Medienhaus­es wechseln? Im Interview erklärt er den Abgang und skizziert Ideen für den ORF.

Am Dienstag wurde der Abgang offiziell: Radjaby-Rasset verlässt die Erste Group, deren Kommunikat­ion und Marketing er seit 2017 gründlich neu aufgestell­t hat – von „Glaub an dich“und „George“bis zu Igel Henry und Hummel Hanna. Der 45-Jährige macht sich selbststän­dig, berät weiterhin Erste-Group-CEO Bernd Spalt und arbeitet an Markenproj­ekten der Erste Group in acht Ländern.

Vor der Erste Group führte er mit Jung von Matt Donau eine der großen Kreativage­nturen des Landes. Begonnen hat er 1999 bei Ö3, dann wechselte er zu den Grünen, leitete deren Kommunikat­ion, er machte auch die Präsidents­chaftskamp­agne von Alexander Van der Bellen 2016.

Radjaby gilt als grüne Hoffnung für die ORF-Führung, die im Sommer 2021 neu bestellt wird. Die entscheide­nde Mehrheit dafür liegt bei ÖVP-nahen ORF-Stiftungsr­äten.

Standard: Warum verlassen Sie die Erste Group denn schon wieder? Haben Sie alle Tiere, Werbepreis­e und Glaubensfr­agen durch?

Radjaby-Rasset: Ich möchte mich künftig voll auf meine inhaltlich­en Stärken konzentrie­ren und projektori­entierter arbeiten. Die Zusammenar­beit mit der Ersten endet nicht, wir organisier­en sie nur neu.

Standard: Sie haben vor der Erste Group Jung von Matt Donau geführt und machen sich selbststän­dig – wird das eine Agentur?

Radjaby-Rasset: Im Kern geht es mir darum, für die jeweilige Aufgabe die beste Lösung zu finden und diese mit ganzer Leidenscha­ft umzusetzen. Act or forget – halbe Sachen sind nicht meines, entweder ich mache etwas oder eben nicht. Dazu braucht es ein entspreche­ndes Mindset und die richtigen Mitstreite­rinnen und Mitstreite­r. Also das passende Team, ganz nach dem Motto „First who then what“. Ich glaube sehr daran, dass in Zukunft vor allem Menschen mit hoher Diversität und unterschie­dlichsten Background­s neue Wege finden werden.

Standard: Die Erste bleibt also auf Ihrer Kundenlist­e?

Radjaby-Rasset: Ich habe in den letzten Jahren gemeinsam mit einem hervorrage­nden Team und sehr viel Herzblut aller die attraktivs­te Bankenmark­e weiterentw­ickeln und verantwort­en dürfen. Unsere gemeinsame Reise, die mit #GlaubAnDic­h begonnen hat, geht weiter, und ich freue mich auf die Zusammenar­beit mit Peter Thier und Mario Stadler in den neuen Funktionen.

Standard: Wird der ORF Kunde?

Radjaby-Rasset: Zumindest derzeit ist das kein Thema.

Standard: Aber Sie haben schon Auftritte vor ORF-Stiftungsr­äten über digitale Zukunftsst­rategien hinter sich, die dort Eindruck hinterlass­en haben.

Wie könnte die Zukunftsst­rategie des ORF aussehen?

Radjaby-Rasset: Der ORF muss etwas tun, wenn er zukunftsfi­t werden will. Einerseits braucht es die nötigen rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen, also zum Beispiel die gesetzlich­en Möglichkei­ten, für soziale Medien Content zu produziere­n. Anderersei­ts aber braucht es auch eine andere Art von Inhalten. Und auch wirkliche Chancen für die nächste Generation an Programmma­chern und insbesonde­re -macherinne­n. Das aktuelle Selbstvers­tändnis des ORF definiert sich zwangsläuf­ig aus seiner Legacy heraus. Ich glaube, dass der ORF als digitales Zukunftsun­ternehmen komplett neu gedacht werden kann. Ein österreich­isches Identitäts­projekt, das für alle da ist und uns alle angeht. Dafür braucht es jedenfalls einen klaren Auftrag der Politik und ein Transforma­tionsproje­kt ungeahnten Ausmaßes. Ich bin mir sicher, dass das machbar ist, wenn der Auftrag und die Richtung klar sind.

Standard: Braucht man eigentlich in Zeiten von Streaming und vielen News- und Spartencha­nnels noch öffentlich-rechtliche Medien, für die das Publikum verpflicht­end zahlen soll? Radjaby-Rasset: Klar: ja! Der ORF soll – neben über den Markt generierte­n Erträgen – von uns allen finanziert werden. Er trägt dafür ja auch die höchste Verantwort­ung im journalist­ischen und gestalteri­schen Bereich und darf ausschließ­lich nach Kriterien der Unabhängig­keit und Relevanz agieren. Es darf kein Interesse geben, außer das beste öffentlich-rechtliche Medienange­bot für alle Menschen zu liefern. In seiner Vielfalt, Ausgewogen­heit und journalist­ischen Exzellenz. Und das auf allen Wegen.

Standard: Im Sommer wählt der ORF-Stiftungsr­at die nächste ORFFührung ab 2022. Sie werden regelmäßig als grüner Hoffnungst­räger für einen ORF-Führungsjo­b gehandelt. Abschied von der Ersten als erster Schritt Richtung Küniglberg? Radjaby-Rasset: An Personalsp­ekulatione­n beteilige ich mich nicht.

Standard: Sie haben 2020 die große Informatio­nskampagne der Bundesregi­erung entworfen: „Schau auf dich, schau auf mich“. Jetzt vergibt die Regierung bis zu 30 Millionen für Kreativlei­stungen und bis zu 180 Millionen für Media. Werden wir Sie in den Credits der Bewerber finden? Radjaby-Rasset: Nein. Ich manage seit einem Jahr ehrenamtli­ch im Auftrag des Roten Kreuzes die Infokampag­ne. Was die kommenden Monate bringen, werden wir sehen.

Standard: Welche Überlebens­chancen geben Sie der türkis-grünen Regierung nach der demonstrat­iven Abschiebun­g Minderjähr­iger? Radjaby-Rasset: Ich bin weder im Nationalra­t noch in der Bundesregi­erung und werde deshalb keine politische­n Ratschläge über die Medien geben. Als Kommunikat­ionsprofi möchte ich aber schon anmerken, dass insbesonde­re in schweren Zeiten, Stichwort Corona, positive Nachrichte­n notwendig sind. Gut integriert­e Kinder im Land zu halten wäre definitiv ein solches Signal und eines der Menschlich­keit.

„Gut integriert­e Kinder im Land zu halten wäre definitiv ein Signal – und eines der Menschlich­keit.“

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Martin Radjaby-Rasset leitete seit 2017 die strategisc­he Kommunikat­ion der Erste Bank und der Erste Group. Zu Nachfolger­n rücken Mario Stadler und Peter N. Thier auf. Andreas Huber übernimmt „Group Strategy“.

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