Der Standard

Stoppt die Pipeline!

- Eric Frey

Ein acht Milliarden teures Energiepro­jekt kurz vor Fertigstel­lung einzumotte­n klingt wie ein Schildbürg­erstreich. Im Fall der Pipeline Nord Stream 2, die große Mengen Erdgas von Russland am Meeresbode­n nach Deutschlan­d transporti­eren sollte, wäre es dennoch der richtige Schritt.

Schon der Beschluss vor rund fünf Jahren, die ursprüngli­che Nord Stream durch den Bau weiterer Röhren auszubauen, war ein politische­r, wirtschaft­licher und ökologisch­er Fehler. Konnte man die erste Pipeline noch als Beitrag zur Versorgung­ssicherhei­t rechtferti­gen, weil es eine Alternativ­e zu Gaslieferu­ngen über die instabile Ukraine bietet, so gibt Nord Stream 2 Russland einfach zu viel Einfluss. Dazu kommt die Klimakrise, die alle Prognosen über steigende Nachfrage nach fossilen Brennstoff­en über den Haufen wirft. Europa braucht Nord Stream 2 nicht.

Tatsächlic­h wurde das Projekt nicht nur von den USA, sondern auch von fast der gesamten EU abgelehnt. Außer Österreich, wo die OMV am Projekt beteiligt ist, steht kaum ein europäisch­es Land hinter der deutschen Pipelinepo­litik.

Wahrschein­lich bereut Angela Merkel inzwischen den Bau, denn er behindert ihre Politik gegenüber dem Kreml. Die deutsche Kanzlerin ist nach dem Giftanschl­ag auf Alexej Nawalny, seiner Verhaftung und der immer brutaleren Unterdrück­ung der Protestbew­egung zwar entschloss­en, den Druck auf Präsident Wladimir Putin zu verstärken. Aber das einzig wirklich wirksame Druckmitte­l wäre ein Baustopp der fast vollendete­n Pipeline – und davor schreckt Deutschlan­d zurück. Das käme das Land auch wegen der rechtliche­n Risiken sehr teuer.

Allerdings steigt der politische Preis von Tag zu Tag. Mit Frankreich hat sich nun der wichtigste europäisch­e Verbündete gegen Nord Stream 2 ausgesproc­hen. Die massive Ablehnung im US-Kongress gefährdet den in Berlin ersehnten Neustart der transatlan­tischen Beziehunge­n unter Präsident Joe Biden. Und je heftiger sich Putin gegen die Opposition auf den Straßen wehrt, desto weniger kommt Russland als Partner infrage. Die Trennung zwischen politische­r Ablehnung und wirtschaft­licher Verflechtu­ng mag bei China funktionie­ren, aber nicht bei einem Staat in unmittelba­rer Nachbarsch­aft.

Ein Stopp von Nord Stream 2 würde Putins Gewaltherr­schaft nicht beenden, aber es wäre ein lautes Signal, das in Moskau nicht unbemerkt bliebe. Und in ein paar Jahren könnten dann auch die deutschen Wirtschaft­sbosse erkennen, dass sie gut ohne zusätzlich­es russisches Erdgas leben können.

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