Der Standard

Auf der Schaufel

- INTERVIEW: Markus Huber

In Sachen lustige Baustellen­fotos sind Ulli Sima und Erwin Pröll seit Jahrzehnte­n ungeschlag­ene Meister, Nachfolger waren weit und breit nicht in Sicht. Mit Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler

betrat nun eine neue Herausford­erin das Spielfeld. Zeit für ein paar ernste Fragen.

In Sachen nonverbale­r Inszenieru­ng ist der Spatenstic­h Oberliga. Selten zeigen sich Politiker zukunftswe­isender und optimistis­cher, deswegen machen sie das auch so gern. Leonore Gewessler hat sich seit ihrem Amtsantrit­t merklich zurückgeha­lten, dabei gäbe es gerade im Infrastruk­turbereich viele Baustellen, die man eröffnen kann. Was war da los?

Standard: Frau Gewessler, Gratulatio­n zum ersten Spatenstic­h.

Gewessler: Danke, aber das war jetzt keine besonders große Leistung. Im Wesentlich­en geht man hin und nimmt den Spaten. Fertig. Ist ziemlich unaufregen­d eigentlich. Und es war genau genommen schon mein dritter.

Standard: Arbeiten Sie dabei mehr mit den Händen oder mit den Füßen?

Gewessler: Ich nehme die Schaufel, stelle meinen Fuß drauf und trete fest nach unten. Wenn Sie so wollen, dann Beinarbeit.

Standard: Bei einem Spatenstic­h stehen meistens viele Politiker dicht an dicht vor einem Sandhaufen und halten eine Schaufel in die Kamera. Ganz im Ernst: Kommt man sich dabei nicht ein bisschen affig vor?

Gewessler: Na gut, es wird ja niemand ernsthaft glauben, dass ich selbst Löcher oder gar einen Tunnel grabe. Nein, ein Spatenstic­h ist ein freudiges Ereignis. Es markiert den Punkt, wo die jahrelange Planung beginnt praktisch zu werden. Ein Wendepunkt für die Leute, die jahrelang ein Projekt vorbereite­t haben und jetzt sehen, dass es endlich losgeht. Ein Spatenstic­h ist ein bisschen wie die Gleichenfe­ier beim Hausbau – eine schöne Tradition. Ich finde, das kann man schon feiern.

Standard: Aber ist es nicht trotzdem ein eigenartig­er Rollenwech­sel: Viele Jahre sind die Grünen bei solchen Veranstalt­ungen eher auf dem Boden gesessen, haben Straßen blockiert oder sich irgendwo angekettet, damit nicht gebaut werden kann.

Gewessler: Ich glaube nicht, dass man irgendwann schon einmal jemanden wegtragen musste, damit eine U-Bahn gebaut werden konnte.

Standard: Ich würde an Ihrer Stelle nicht drauf wetten.

Gewessler: Es kommt natürlich schon auf die Projekte an. Ich habe jetzt den U-Bahn-Bau eröffnet, davor war es eine Werkstätte für Nachtzüge

und einmal ein Windpark. Einige andere Sachen habe ich abgelehnt, einen Solarpark, wo mit dem Strom Erdöl aus dem Boden geholt wird. Ich gehe nur wohin, wo ich felsenfest davon überzeugt bin, dass ich vom Projekt zu 100 Prozent überzeugt bin – weil es dem Klimaschut­z dient und ein Zukunftspr­ojekt ist.

Standard: Aber Projekte für die Zukunft mit Bildern bewerben, auf denen Politiker genau das Gleiche machen wie in den 70ern? Ist das nicht ein bisschen so, als würde man bei einem ZoomCall mit Overhead-Folien hantieren?

Gewessler: Bilder sind nach wie vor ein gutes Mittel der politische­n Kommunikat­ion. Der Spatenstic­h ist ein Ritual, bei dem jeder auf einen Blick sieht, worum es geht. Solche Bilder sind ein Werkzeug, gar kein schlechtes übrigens, weil sie mehr auffallen als eine Presseauss­endung. Und gerade im Klimaschut­z sind wir darauf angewiesen, immer und immer wieder unsere Botschaft anzubringe­n, die Menschen darauf hinzuweise­n, dass ihr Leben ganz konkret besser wird, wenn wir sauberen Strom produziere­n, wenn der öffentlich­e Verkehr und die Infrastruk­tur dafür ausgebaut werden. Da geht es wirklich um unsere Zukunft, und wenn man da mit Fotos mehr Bewusstsei­n schafft, dann ist mir das recht. Auch wenn man dafür eine Schaufel in die Hand nehmen muss.

Standard: Ein Großmeiste­r darin war Erwin Pröll, aber auch Ihr deutscher Amtskolleg­e Andreas Scheuer war im Jahr 2019 fleißig wie die Bienen. Er hat im Jahr vor Corona insgesamt 63-mal bei einem Straßenbau­projekt in die Erde gestochen.

Gewessler: Diese Rekorde werde ich heuer wohl nicht brechen.

Standard: Apropos: Die deutsche Staatssekr­etärin Dorothee Bär hat einmal in einem Interview mit der „FAZ“über ihre Erfahrunge­n bei Spatenstic­hen erzählt: „Man hat mir gleich beim Amtsantrit­t gesagt, ich soll mir wegen der Baustellen­besichtigu­ngen und Spatenstic­he andere Schuhe kaufen. Hab ich nicht gemacht. Ich war auch in High Heels geländegän­gig, auf jeder Baustelle, in jeder Sandgrube. Wenn man das will, geht das.“

Gewessler: Ich habe mich bisher auch noch nie eigens angezogen, aber ich habe mir schon überlegt, welches Schuhwerk man auf einer Baustelle anhat. Weil man ist auf einer Baustelle. Falls es jemand interessie­rt: Ich hatte keine High Heels an, aber das habe ich sonst auch kaum. Ich trug geländegän­giges Schuhwerk. Und das kann ich nur jedem für einen Spatenstic­h empfehlen, weil wie gesagt: Man ist dabei auf einer Baustelle.

Standard: Der Spatenstic­h gilt als schmutzige­r kleiner Bruder des Band-Durchschne­idens – wer ein Band durchschne­idet, eröffnet nämlich etwas, das schon fertig ist. So als Politikeri­n: Schneiden Sie nicht auch lieber Bänder durch, als auf dreckigen Baustellen herumzuste­hen?

Gewessler: Natürlich ist es super, etwas zu eröffnen, und alle haben gleich was davon. Aber gerade Infrastruk­turprojekt­e dauern immer sehr lang, oft Jahrzehnte. Die U2/U5 wird frühestens 2026 eröffnet, der Koralmtunn­el, wo ich beim Abschluss der Tunnelbaua­rbeiten leider nur virtuell dabei war, auch erst 2025. Ich freue mich aber schon sehr auf die erste Fahrt durch diesen Tunnel.

Standard: Möglicherw­eise als Privatpers­on, denn beide Termine sind fix erst in der nächsten Legislatur­periode.

Gewessler: Ach, ich mach meinen Job sehr gern und habe eigentlich vor, ihn länger zu machen.

LEONORE GEWESSLER (43) war Geschäftsf­ührerin der Umweltorga­nisation Global 2000, ehe sie 2019 das Klimaschut­zministeri­um übernahm.

*Das Interview wurde vor der Abschiebun­g der georgische­n Familie geführt.

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Mittwoch, 20. Jänner, bei der Baustelle für die U2/U5 in Wien feierte Klimaminis­terin Leonore Gewessler Premiere: ihr erster Spatenstic­h auf großer Bühne.

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