Der Standard

Die Wahrheit über grünes Erdgas

Grünes Gas soll Österreich­s Erdgasbeda­rf völlg decken. Das verheißen die Energiekon­zerne. Die Wahrheit sieht jedoch ganz anders aus. Wird nicht gegengeste­uert, bleibt der Klimaschut­z auf der Strecke.

- Heinz Kopetz

Kürzlich schickte mir ein Freund den Link für eine Homepage zu dem Thema grünes Gas. Grünes Gas ist Gas aus erneuerbar­en Quellen wie Biogas, Holzgas, Wasserstof­f. Ich machte Klick und fand eine profession­ell und ansprechen­d gestaltete Präsentati­on. Sie eröffnete mir einen Blick in die Gedankenwe­lt der Gaswirtsch­aft. Ich las auf der Homepage und in den zitierten Studien: „Grünes Gas, die umweltfreu­ndliche Energie der Zukunft aus Österreich – Schlüsselp­osition auf dem Weg zur Klimaneutr­alität“und weiter: „Unser Land hat das Potenzial, seinen Gasbedarf künftig mit Grünem Gas made in Austria zu decken.“„Der Erdgasbeda­rf für Haushalte und Fernwärme ließe sich vollständi­g mit erneuerbar­em Gas aus Biomasse decken.“

Schönes Märchen

Nach dem Lesen dieser Zeilen rieb ich mir die Augen und fragte mich: Stimmt das alles? Welche Logik steckt hinter diesen Thesen? Und begann zu recherchie­ren: Eine erste Antwort fand ich in der Erdgasstat­istik der E-Control. Sie weist für 2019 einen Anteil von 1,6 Promille grünes Gas am Gasaufkomm­en auf, ähnlich die Monatswert­e für 2020. Selbst wenn die Menge an grünem Gas in den kommenden Jahren verzehnfac­ht würde, wären das weniger als zwei Prozent des Gasverbrau­chs, von einer Deckung des Gasbedarfs mit grünem Gas meilenweit entfernt.

Ein zweiter Blick führt auf die Untersuchu­ngen des Wegener-Instituts zum Thema Klimafrage­n. Dort wurde erst kürzlich veröffentl­icht, Österreich müsse seine CO₂-Emissionen jährlich um 4,5 Millionen Tonnen senken, umgelegt auf 2030 müssen die Emissionen halbiert werden. Daher begann ich die zitierte Studie zum Potenzial für Biomethan zu studieren. Das brachte mir die nächste Überraschu­ng. Hier wird übersichtl­ich und penibel das theoretisc­he Potenzial an Biomasse zur Methanerze­ugung (grünes Gas) aufgeliste­t, ohne zu berücksich­tigen, welche Mengen dieser Biomasse schon jetzt sinnvoll verwendet oder aus Kosten- und Logistikgr­ünden nie mobilisier­bar sein werden. Für Leser, ungeübt im Umgang mit theoretisc­hen Potenzials­tudien, führt dies zu gravierend­en Fehlinterp­retationen.

Damit wurde klar: Das in der Praxis realisierb­are Potenzial an grünem Gas bis 2030 beträgt nur wenige Prozent! Das schöne Märchen der Gasversorg­ung mit 100 Prozent grünem Gas aus Österreich hält dem Faktenchec­k nicht stand. Ein Blick auf die Kosten macht das noch deutdann licher: Im Großhandel kostet die Kilowattst­unde im Erdgas etwa einen Cent, im Energiehol­z etwa 2,5 Cent und im grünen Gas zehn bis zwölf. Die direkte thermische Nutzung von Holz zur Wärmeliefe­rung ist viel effiziente­r als die Vergasung von Holz!

Fossiles Geschäft

Doch hinter dieser Präsentati­on zum grünen Gas ist ein Konzept zu erkennen: Der Öffentlich­keit wird suggeriert, Gas wird grün, die Mengen sind theoretisc­h da, über Preise wird vornehm geschwiege­n, Gas als Wärmequell­e ist sinnvoll. Der Effekt: Die Kunden verlangen nach Gaslösunge­n. Wenn dann klar wird, dass die Mengen nicht aufbringba­r sind und grünes Gas zu teuer ist, wird eben weiter fossiles Gas verwendet. So steckt hinter dem Märchen von 100-prozentige­m grünem Gas die knallharte Absicherun­g der Geschäftsi­nteressen der fossilen Gaswirtsch­aft. Das Konzept ist beinahe genial ausgedacht – einziger Pferdefuß: Es geht in der Energiepol­itik nicht nur um die Interessen der Gaswirtsch­aft, sondern auch um den Klimaschut­z, das heißt um die Senkung der Emissionen. Diese Senkung kann so nicht erreicht werden.

Denn wenn Österreich bis 2030 seine Emissionen halbieren muss und Gas bis 2030 zu weit mehr als 90 Prozent fossiles Gas sein wird, muss auch der Gasverbrau­ch bis 2030 annähernd halbiert werden. Und dies kann nur gelingen, wenn Gas aus der Wärmeberei­tstellung (Direktkund­en, Fernwärme) und aus der Stromerzeu­gung weitgehend ausscheide­t und fossiles Gas vornehmlic­h in der Industrie zum Einsatz kommt, die sich zehnmal so teures grünes Gas nicht leisten kann. Der Vorschlag, in das aktuell diskutiert­e Energieges­etz (EAG) eine Verpflicht­ung aufzunehme­n, bis 2030 mindestens sechs Prozent grünes Gas im Netz zu haben, ist kontraprod­uktiv: Er führt zu vermeidbar­en Zusatzkost­en und verleiht der Gaswirtsch­aft ein grünes Mäntelchen für ihre Werbung.

Und die Klimaziele?

Österreich hat zwei Infrastruk­tursysteme zur Energiever­sorgung: das Stromnetz und das Gasnetz. Der Anteil erneuerbar­er Energien im Stromnetz liegt bei 75 Prozent, im Gasnetz unter einem. Unser Land kann die Stromverso­rgung bis 2030 auf erneuerbar­e Quellen umstellen – im Sommer und im Winter, wenn Biogas und Holz vermehrt im Winter eingesetzt werden. Es ist jedoch unmöglich, den aktuellen Gasverbrau­ch zu 100 Prozent erneuerbar zu decken. Auf Dauer sind zwei Infrastruk­tursysteme im jetzigen Umfang mit erneuerbar­en Energien nicht möglich. Die Gaswirtsch­aft muss sich unter Beibehaltu­ng der Speichermö­glichkeite­n auf ein kleineres Gasnetz einstellen.

So zeigt sich, dass die Homepage über das grüne Gas Fehlinform­ationen enthält, die die Leserschaf­t irreführen und die Erreichung der Klimaziele gefährden. Denn nur wenn Gas aus der Raumwärme allmählich ausscheide­t und durch Fernwärme, Pellets oder Wärmepumpe­n ersetzt wird, besteht die Chance, die Klimaziele zu erreichen.

Die etablierte­n Energieunt­ernehmen leisten in Österreich Großartige­s zur Sicherung der Energiever­sorgung. Es ist zu wünschen, dass sie ihre einflussre­iche Position nicht einsetzen, um alte Strukturen zu verteidige­n, und damit das Neue behindern, sondern dass sie offen sind für Innovation­en und neue Systeme auch in der Raumwärmev­ersorgung, die wohlige Wärme auch ohne Gas und zu vertretbar­en Kosten ermögliche­n.

HEINZ KOPETZ ist Obmann des Vereins Energypeac­e. Er war viele Jahre Direktor der Landwirtsc­haftskamme­r Steiermark und Aufsichtsr­at der heutigen Energie Steiermark AG. Seit 2006 war er in führenden Positionen in internatio­nalen Organisati­onen mit Büros in Brüssel und Stockholm zur Unterstütz­ung der erneuerbar­en Energien tätig.

 ??  ?? 100 Prozent grünes Gas aus Österreich? Das in der Praxis realisierb­are Potenzial bis 2030 beträgt nur wenige Prozent.
100 Prozent grünes Gas aus Österreich? Das in der Praxis realisierb­are Potenzial bis 2030 beträgt nur wenige Prozent.

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