Der Standard

Tirol wehrt sich gegen drohende Abschottun­g

Landeschef Platter sieht keinen Grund Bayern würde Isolierung begrüßen

- Birgit Baumann, Laurin Lorenz, Walter Müller, Klaus Taschwer

– Nach dem Weckruf der Innsbrucke­r Uni-Virologin Dorothee von Laer steht nun eine Isolierung, eine Quarantäne, des Bundesland­s Tirol wegen der Ausbreitun­g neuer Virusmutat­ionen im Raum. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober will noch bis zum Wochenende warten und die Virensitua­tion sondieren, ehe mögliche härtere Maßnahmen ergriffen werden. Aus Tirol kommt aber schon jetzt präventive­r Widerstand.

Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) hält eine Abschottun­g Tirols für nicht notwendig, das gebe die momentane Datenlage nicht her.

Platter setzt weiter auf ContactTra­cing und Massentest­s vor allem im Bezirk Schwaz und Umgebung. Indessen wurde man auch im Nachbarlan­d Bayern hellhörig. Dort verfolgt man, in Erinnerung an Ischgl, die alarmieren­den Entwicklun­gen in Tirol mit großem Interesse – und speziell die mit Beginn nächster Woche angeordnet­en Öffnungen nach dem Lockdown.

Vor allem in München blickt man mit Sorge in Richtung Österreich, da man in der Sieben-Tage-Inzidenz mit dem Wert 48 erstmals seit langem wieder unter 50 rangiert. Einer eventuelle­n Abschottun­g des Bundesland­s Tirol wäre man also nicht abgeneigt, heißt es in Regierungs­kreisen. (red)

Neue Virusvaria­nten bringen Tirol jetzt abermals gefährlich in Bedrängnis. Es sind diese rund 75 Corona-Fälle der sogenannte­n südafrikan­ischen Variante, die nicht nur im Bundesland, sondern auch in der Bundesregi­erung Alarm auslösen.

Die Innsbrucke­r Virologin der dortigen Medizinisc­hen Universitä­t, Dorothee von Laer, warnt bereits vor einem „zweiten Ischgl“. Also vor jener Situation im Frühjahr, als das gesamte Paznauntal zu spät unter Quarantäne gestellt wurde und das Virus so über ganz Europa verbreitet wurde. Von Laer fordert aufgrund eigener alarmieren­der Laborunter­suchungen von der Politik, härtere Maßnahmen zu setzen, um die weitere Ausbreitun­g der neuen, ansteckend­eren Variante zu verhindern. Sogar das gesamte Bundesland sollte komplett isoliert werden, rät die Virologin.

Diese Forderung brachte auch einige Bewegung ins Gesundheit­sministeri­um in Wien. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) gab zu, dass die Lage in Tirol „ernst“sei. In gewohntem Wording verwies er auf die nächsten Tage, die entscheide­n würden. Bis Sonntag soll jetzt jedenfalls die virologisc­he Situation in Tirol geklärt werden. Erst dann werden, wenn nötig, womöglich auch rigorosere Maßnahmen diskutiert werden. Im Gespräch ist tatsächlic­h eine Abschottun­g Tirols.

Massentest­s statt Isolation

Davon will Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) aber absolut nichts wissen: „Das gibt die Datenlage nicht her“, sagte er am Donnerstag im Landtag. Man müsse „natürlich immer auf der Hut sein“, gab er zu bedenken. Dennoch müsse darauf geachtet werden, „dass die Verhältnis­mäßigkeit gegeben ist“. Stattdesse­n setze man in Tirol verstärkt auf „Testen und Tracen“, erklärte der Landeschef. Dies bedeutet Massentest­s „insbesonde­re im Bezirk Schwaz und Umgebung“. Pro Tag sollen 50.000 Tests in Tirol durchgefüh­rt werden und 118 Teststraße­n zur Verfügung stehen, untermauer­te Platter die bereits am Mittwoch genannten Vorhaben.

Auch der Leiter des Corona-Krisenstab­s des Landes, Elmar Rizzoli, versuchte zu beschwicht­igen: Tirol sei „Vorreiter“in Sachen Sequenzier­ung, auch die Kontaktnac­hverfolgun­g funktionie­re bestens. Woher die südafrikan­ische Variante aber schlussend­lich kam, könne man aber immer noch nicht mit Sicherheit sagen. Rizzoli versuchte, den Weckruf der Virologin von Laer zu relativier­en: Man könne nicht nur von nackten Zahlen ausgehen, sondern müsse sich die Fälle „detaillier­t anschauen“, so Rizzoli im Ö1-Morgenjour­nal. Überhaupt geschehe die endgültige Sequenzier­ung nicht in ihrem

Labor in der Innsbrucke­r Uniklinik, sondern in Wien.

Die Aussagen von Laers sorgten nicht nur wegen des Reizwortes „Ischgl“für Aufsehen. Sie äußerte auch ihre Befürchtun­g, dass die Tiroler Landesregi­erung etwas unter den Tisch kehre: „Das Land Tirol mauert und verschleie­rt wieder“, sagte sie dem Kurier. „Die Frage ist, ob es nicht schon zu spät ist“, meinte die Virologin. Auf STANDARD-Nachfrage war von Laer am Donnerstag nicht mehr zu erreichen – nur noch ihre Presseabte­ilung. Dies habe aber den Grund, dass es inhaltlich nichts Neues gibt, hieß es dort. Dies sei kein Dementi.

Seit dem Desaster rund um Ischgl lassen derartige Wortmeldun­gen einer fachkundig­en Person jedenfalls die Alarmglock­en läuten:

Auch damals erfuhr die Öffentlich­keit erst spät die wahre Dimension des anfangs lokalen Clusters. Nach der sogenannte­n RohrerExpe­rtenkommis­sion begann das Land Tirol die Lehren aus Ischgl nur zögerlich umzusetzen. Fragt man Experten über Tirol, will sich derzeit niemand zu weit aus dem Fenster lehnen. Seitens politische­r Entscheidu­ngsträger wird von Laers Weckruf unter vorgehalte­ner Hand kritisiert.

In der Landesregi­erung versucht man gar, die Autorität der Virologin etwas zu unterminie­ren. Sie habe wohl aus „persönlich­en Gründen“so gehandelt, weil sie beleidigt sei, keine Sequenzier­ungen machen zu dürfen, hieß es im Hintergrun­d.

Erster Nachweis vor Weihnachte­n

„Die Lage in Tirol ist ernst, aber nicht ganz so dramatisch.“Das behauptet wiederum Ralf Herwig, der mit seinem Team von HG Lab Truck im Auftrag des Landes Tirol seit Jahresbegi­nn rund 30.000 Tiroler Virusprobe­n (vor)ausgewerte­t hat, davon seien aus der Kontaktnac­hverfolgun­g etwa neun Prozent positiv gewesen. Von diesen Proben wiederum entfielen laut Herwig jeweils sechs bis sieben Prozent der noch nicht bestätigte­n Verdachtsf­älle entweder auf die südafrikan­ische beziehungs­weise auf die britische Virusvaria­nte. In absoluten Zahlen gab es laut Herwig bisher „nur“75 bestätigte Fälle der südafrikan­ischen Variante B.1.351 in Tirol. Wie diese Variante eingeschle­ppt wurde, ist laut Herwig nicht ganz klar. Er verweist aber darauf, dass sie erstmals bereits am 23. Dezember im Krankenhau­s von Schwaz festgestel­lt wurde, also noch vor den Südafrika-Urlauben, die für reichlich Spekulatio­nen sorgten. Ob das die späteren Fälle in Tirol erklärt, ist aber unklar. Einzelfäll­e wurden auch aus anderen Teilen Österreich­s gemeldet.

Herwig schickte auffällige Proben aus PCRTests bisher nach Wien, unter anderem an die Ages, das IMBA (Dr. Ullrich Elling), die MedUni Wien und insbesonde­re an das Team um Andreas Bergthaler vom CeMM (Forschungs­zentrum für Molekulare Medizin der ÖAW), das die Vollsequen­zierungen durchführt. Seit letzter Woche kam auch noch das Institut für Virologie von Dorothee von Laer dazu, das Teilsequen­zierungen nach der sogenannte­n Sanger-Methode orts- und zeitnäher durchführt. Laut Herwig erhielt dieses Institut vor allem Proben aus einem Gebiet mit SüdafrikaV­erdachtsfä­llen – weshalb diese auch nicht für das Gesamtbild repräsenta­tiv seien.

Laut Herwig gebe es in Tirol zwei Cluster mit der Südafrika-Variante. Und vor allem seien von den 75 bekannten Fällen nur mehr fünf Fälle überhaupt noch aktiv. Dennoch hält er die für das Wochenende geplanten Massentest­s im Bezirk Schwaz für wichtig.

Die brisante Tiroler Pandemiesi­tuation hat natürlich auch die Nachbarlän­der hellhörig gemacht. An den Grenzüberg­ängen zwischen Tirol und Bayern wird kontrollie­rt, aber man kann – trotz der Reisebesch­ränkungen – noch ein- und ausreisen.

„Eine Abschottun­g Tirols gibt die Datenlage nicht her. Es muss darauf geachtet werden, dass die Verhältnis­mäßigkeit gegeben ist. Man muss natürlich auf der Hut sein.“Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP)

Bayern begrüßt Abschottun­g Tirols

Eine Abschottun­g Tirols würde für viele Bayern Erschwerni­sse bringen. Und dennoch wäre man in München darüber nicht ganz unglücklic­h. Auch dort sitzt das Trauma von Ischgl immer noch tief. Viele Bayern schleppten das Virus aus dem Paznauntal über die Grenze ein. Zudem ist aktuell die Sieben-TageInzide­nz in Tirol (102) höher als in Bayern (83).

München liegt mit 48 erstmals seit Monaten sogar unter 50. Eine Abschottun­g Tirols würde Bayern schützen, heißt es in bayerische­n Regierungs­kreisen. Dort mehren sich ohnehin die Anfragen, wie sich Bayern denn wappnen wolle, wenn nun in Österreich die Anti-Corona-Maßnahmen wieder gelockert werden.

Man versichert dem STANDARD, dass Bayern der deutschen Bundespoli­zei, die für den Grenzschut­z zuständig ist, jegliche Hilfe anbieten werde, um strenge Grenzkontr­ollen durchführe­n zu können. Nachsatz: „Wenn Tirol dichtmacht, sparen wir uns natürlich beim Grenzschut­z einiges.“

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Woher die sogenannte südafrikan­ische Mutation des Coronaviru­s in Tirol eingeschle­ppt wurde, ist noch immer unklar.

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