Der Standard

Libyens Regierung der neuen Namen

Bei der Wahl einer Präsidents­chaft und eines Premiers für Libyen durch ein Uno-bestelltes Gremium gingen die politische­n Schwergewi­chte unter. Die neue Übergangsf­ührung soll nun Wahlen vorbereite­n.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Die Wahl einer libyschen Übergangsf­ührung durch das Libyan Political Dialogue Forum (LPDF) am Freitag in Genf wird in Libyen, aber auch internatio­nal mit Zustimmung aufgenomme­n – auch von Akteuren, die im langjährig­en libyschen Konflikt zwischen Ost- und Westlibyen unterschie­dliche Seiten unterstütz­ten. Im neuen dreiköpfig­en Präsidium sind alle drei Landesteil­e – Tripolitan­ien (Westen), Cyrenaika (Osten) und Fezzan (Süden) – vertreten, angeführt wird es von Mohamed al-Menfi aus dem östlichen Tobruk.

Der neue Premier hingegen ist ein Geschäftsm­ann aus der mächtigen westlichen Stadt Misrata, Abdul Hamid Dbeibah. Er soll nun innerhalb von drei Wochen eine Regierung bilden, die Libyen in Neuwahlen am 24. Dezember führen soll.

In die Erleichter­ung, dass es nach Jahren des Kriegs und des Stillstand­s wieder einen politische­n Prozess gibt, der auch den im Herbst abgeschlos­senen Waffenstil­lstand absichern soll, mischt sich jedoch Skepsis. Das LPDF, das Wahlforum, ist ein von der Uno möglichst repräsenta­tiv zusammenge­stelltes 75köpfiges Gremium, das nach mehreren Wahlgängen zu einem sehr knappen Ergebnis kam. Es war mit 39 zu 34 Stimmen nicht nur knapp, sondern auch überrasche­nd, denn die eigentlich­en politische­n Schwergewi­chte wurden in der letzten Runde geschlagen: Aguila Saleh, Präsident des östlichen Parlaments, kandidiert­e als Nummer eins des Präsidiums, gemeinsam mit dem Innenminis­ter der westlichen Regierung, Fathi Bashagha, der das Amt des Premiers anstrebte.

Nicht Haftars Mann

Die Niederlage Aguila Salehs wird auch als eine von General Khalifa Haftar angesehen, dem starken, wenngleich nach dem Scheitern seiner militärisc­hen Offensive auf Tripolis (2019–2020) nicht mehr so mächtigen Mann des Ostens. Sein Büro kommentier­te jedoch die Wahl zustimmend, obwohl Mohamed alMenfi nicht als Haftars Mann gilt.

Der neue Präsident – und damit Oberbefehl­shaber, was Haftar imche

mer selbst sein wollte – kommt aus einem wichtigen östlichen Stamm und war bisher Diplomat. Als Botschafte­r in Griechenla­nd wurde er Ende 2019 des Landes verwiesen, als die libysche Regierung mit der Türkei einen Deal über die Einflusszo­nen im Mittelmeer schloss.

Während Aguila und Haftar das Ergebnis zu akzeptiere­n scheinen, kommt allerdings vom Premier der bisherigen östlichen Regierung, Abdullah Thinni, ein Vorbehalt: Er werde erst zurücktret­en, wenn auch das östliche Parlament zugestimmt habe. Diese Zustimmung soll tatsächlic­h eingeholt werden – wenn sie aber nicht gegeben wird, genügt die Entscheidu­ng des Uno-kreierten LPDF. Das könnte zum Moment werden, wo dessen Legitimitä­t wieder von einigen Gruppen infrage gestellt wird. Das östliche Parlament ist in sich schwer zerstritte­n.

Der neue Premier, Abdul Hamid Dbeibah, ist als Politiker eher ein unbeschrie­benes Blatt, aber nicht als Geschäftsm­ann: Im GaddafiReg­ime, dessen Sturz sich heuer zum zehnten Mal jährt, war der reiBauunte­rnehmer ab 2007 Chef der staatliche­n Investitio­ns- und Entwicklun­gsgesellsc­haft und in den Ausbau von Gaddafis Heimatstad­t Sirte, die der Diktator zur neuen Hauptstadt machte, involviert. Das führt dazu, dass sein Name von vielen mit Korruption und Bereicheru­ng, sogar Geldwäsche, in Zusammenha­ng gebracht wird. Außerdem soll er der Muslimbrud­erschaft nahestehen. Dass der 61-Jährige angeblich sein erstes Telefonat mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan führte, wurde auf Social Media prompt kritisiert.

„Hinterhalt­e, Intrigen“

Wolfram Lacher, Libyen-Experte der Stiftung für Wissenscha­ft und Politik (SWP), kommentier­te auf Twitter, dass die NPDF-Delegierte­n „sogar für Dbeibah“zu stimmen bereit waren, nur um die Kombinatio­n Aguila/Bashagha zu verhindern. Libya Desk twitterte von „einem unermessli­chen Grad an Hinterhalt­en, Intrigen und Verschwöru­ngen“, die vergangene Woche vor sich gegangen seien, „zwischen allen politische­n Kräften, sei es der Muslimbrud­erschaft, der GNA (Regierung in Tripolis), der LNA (Libyschen Nationalen Armee, damit ist Haftar gemeint), Technokrat­en, regionalen Akteuren und anderen“. Das werde auch Auswirkung­en auf kommende politische Dynamiken haben.

Libyen ist das Land mit den größten Ölreserven Afrikas und einer relativ kleinen Bevölkerun­g von etwa 6,9 Millionen Menschen. Dennoch sind heute laut Uno mindestens 1,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, es gibt zehntausen­de Binnenflüc­htlinge.

Teilweise war Ölprodukti­on und vor allem -export durch den Krieg unterbroch­en, seit dem Waffenstil­lstand lief letzterer langsam wieder an, wobei der niedrige Ölpreis einem raschen wirtschaft­lichen Aufschwung einen Strich durch die Rechnung macht. Libyen ist auch ein klassische­s Durchzugsl­and für Migranten und Flüchtling­e aus der Subsahara, viele bleiben jedoch hängen und leiden unter unbeschrei­blicher Not und Gewalt, unter anderem durch organisier­te Kriminalit­ät.

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