Der Standard

Israel protestier­t gegen internatio­nalen Strafgeric­htshof

ICC in Den Haag ermittelt wegen Kriegsverb­rechen gegen Palästinen­ser – Netanjahu: „Purer Antisemiti­smus“

- Maria Sterkl aus Jerusalem

Es war eine brisante Botschaft – und sie kam nach Beginn des jüdischen Ruhetags Schabbat: Der Internatio­nale Strafgeric­htshof (ICC) in Den Haag gab Freitagabe­nd bekannt, formelle Ermittlung­en wegen möglicher Kriegsverb­rechen in den Palästinen­sergebiete­n einzuleite­n. Im Visier stehen israelisch­e Verantwort­liche, aber auch die radikalisl­amische Palästinen­serorganis­ation Hamas.

Konkrete Tatverdäch­tige gibt es noch nicht. Die Entscheidu­ng stellt aber klar, was bisher offen war: Was in Palästinen­sergebiete­n geschieht, geht das internatio­nale Tribunal sehr wohl etwas an. Das ist unter Juristen umstritten, da Palästina ja kein anerkannte­r Staat ist.

Der Fall wandert jetzt zu einem Ermittlert­eam in Den Haag. In weiterer Folge sind Anklagen gegen israelisch­e Militärs, aber auch Politiker möglich. Wobei es nicht nur um den Gazakrieg 2014 geht, sondern auch um Siedlungen im von Israel besetzten Westjordan­land. Eine Besatzungs­macht darf laut Völkerrech­t nicht die eigene Zivilbevöl­kerung in besetztes Gebiet transferie­ren.

Völkerrech­tlich diffizil

Israel könnte sich hier darauf berufen, dass der Siedlungsb­au militärisc­he Notwendigk­eit sei – dann wäre es legitim, wie Völkerrech­tsexpertin Vias Gvirsman erklärt.

Die Hamas muss sich wiederum den wiederholt­en Raketenbes­chuss auf Israel vorhalten lassen. Auch Verbrechen gegen die eigene Zivilbevöl­kerung

könnten Teil der Ermittlung­en sein.

Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu reagierte empört auf die Entscheidu­ng. Diese sei als „purer Antisemiti­smus“zu werten, sagte er in einer Videobotsc­haft. Auch Vizepremie­r Benny Gantz erklärte den Beschluss als „falsch, politisch und einseitig“.

Schützenhi­lfe kam aus dem Weißen Haus. Die USA lehnten die Entscheidu­ng des Tribunals ab, man stehe zu Israel, erklärte Sprecher Ned Price. Palästinen­servertret­er begrüßten hingegen den Beschluss.

Es war keine einstimmig­e Entscheidu­ng, die der dreiköpfig­e Richtersen­at in

Den Haag fällte, und sie ist rechtlich umstritten. Die Palästinen­serbehörde hat zwar im Jahr 2015 die Verträge zum Tribunal unterzeich­net; dessen Rechtsprec­hung kann sich aber nur auf Unterzeich­nerstaaten beziehen – und Palästina ist kein Staat. Israel wiederum hat die Verträge nicht ratifizier­t. Chefankläg­erin Fatou Bensouda hatte deshalb den Richtersen­at ersucht zu klären, ob das Gericht hier zuständig ist.

Sollten israelisch­e Verantwort­liche tatsächlic­h in Abwesenhei­t verurteilt werden, sind israelisch­e Gerichte daran nicht gebunden. Die Betroffene­n wären in ihrer Reisefreih­eit aber stark eingeschrä­nkt.

Bis es so weit kommt, dürfte viel Zeit vergehen. Das israelisch­e Militär könnte sich darauf berufen, dass es gegen Missetäter in den eigenen Reihen ohnehin selbst vorgehe. Im Fall britischer Soldaten im Irak habe sich Den Haag mit solchen internen Ermittlung­en zufriedeng­egeben, erklärt Yuval Shany vom Israel Democracy Institute.

Österreich hatte sich zuvor kritisch gegenüber einer Zuständigk­eit des Tribunals gezeigt. Die aktuelle Entscheidu­ng nehme man zur Kenntnis, hieß es am Sonntag im Außenminis­terium auf Anfrage des STANDARD. Es sei aber „wichtig“zu betonen, dass der Beschluss keiner Anerkennun­g eines palästinen­sischen Staates gleichkomm­e. Das hatten auch die Richter in ihrer Entscheidu­ng klargestel­lt.

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Foto: Imago Benjamin Netanjahu wettert gegen ICC in Den Haag.

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