Der Standard

Wenn der Corona-Impfung eine Spritzenph­obie im Weg steht

Zwei bis drei Prozent der Bevölkerun­g haben große Angst vor Spritzen – Wie sich diese Phobie behandeln lässt

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Wien – Die Corona-Impfung erfüllt viele mit Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität. In der medialen Berichters­tattung kommt man daher derzeit nicht an Bildern von Spritzen vorbei, die in nackte Oberarme gestochen oder stolz in die Kamera gehalten werden. Bei Menschen, die unter einer sogenannte­n Blut-, Verletzung­s- und Injektions­phobie leiden, lösen solche Bilder blanke Panik aus.

Es sind gar nicht so wenige, die darunter leiden. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerun­g sind von einer Furcht vor Blut oder Nadeln betroffen. Bei etwa drei bis vier Prozent nimmt die Angst starke Ausmaße an. Sie gehen nicht mehr zum Arzt und wollen nicht, dass ihnen Blut abgenommen wird. Folglich verpassen sie Untersuchu­ngen und gefährden langfristi­g damit ihre Gesundheit. Häufig meiden Betroffene sogar den Zahnarzt, weil ja auch dort Spritzen zur Schmerzlin­derung verabreich­t werden, berichtet der Psychologe Johannes Lanzinger von der Praxis Phobius, die auf Angststöru­ngen spezialisi­ert ist.

Mit der medialen Berichters­tattung über die Impfung geht es vielen derzeit nicht gut: „Es gibt Betroffene, die werden alleine schon beim Anschauen einer Spritze ohnmächtig“, sagt der Psychologe. Er merkt derzeit auch vermehrt Anfragen dazu in seiner Praxis.

In der Situation selbst kann sich die Angst Betroffene­r ins Extreme steigern. Das autonome Nervensyst­em wird aktiviert. Stress, Anspannung und Blutdruck gehen in die Höhe. „Und in dem Moment, in dem die Nadel in die Vene sticht, passiert plötzlich das genaue Gegenteil“, berichtet Lanzinger. Der Blutdruck fällt schlagarti­g ab. Bei mehr als 60 Prozent der Betroffene­n kann das zu einer Ohnmacht führen.

Zunahme von Stress

Was steckt hinter der Angst? „Jeder Mensch hat eine angeborene Angst vor einer Verletzung“, sagt Lanzinger. Bei fast jedem Menschen gebe es daher kurz vor einer Impfung oder einer Blutabnahm­e eine physiologi­sche Reaktion, also eine leichte Zunahme von Stress. „Bei einem Phobiker ist diese Reaktion aber viel, viel stärker.“

Betroffene würden immer wieder berichten, dass sie für eine Blutabnahm­e oder eine Impfung von mehreren Menschen niedergeru­ngen werden müssen. „Das ist natürlich auch nicht gut für den Verlauf einer Phobie“, sagt Lanzinger. Traumatisc­he Erlebnisse steigern sie, wenn bereits eine Grundangst vorhanden ist. Sie ist zu 70 Prozent sogar genetisch bedingt. Der Rest sind Umwelterfa­hrungen. „Man kann also sehr wohl eine unangenehm­e Situation erlebt haben und daraus keine Phobie

entwickeln“, betont der Psychologe.

Die gute Nachricht für Menschen, die unter dieser Phobie leiden: Eine Therapie ist relativ unkomplizi­ert – und durchaus erfolgvers­prechend. In Lanzingers Praxis lernen Betroffene­n Techniken, wie sie die Angst meistern und eine Ohnmacht verhindern können. Das Konzept nennt sich angewandte Anspannung. Dabei werden alle Muskeln angespannt, um einen Blutdrucka­bfall, der zur Ohnmacht führt, zu verhindern. Auch Entspannun­gsmethoden können helfen.

In einem nächsten Schritt werden Betroffene­n erst Bilder und Zeichnunge­n von Spritzen, später auch Videos gezeigt. Dabei sollen sie das Entspannen üben. Als Höhepunkt wird der Patient mittels Virtual Reality in eine Situation versetzt, in der eine Spritze verabreich­t wird. Der Therapeut berührt dann die Stelle am Oberarm, an dem die Spritze in der virtuellen Realität verabreich­t wird, mit einer Gabel. „Das wirkt sehr echt“, sagt Lanzinger.

Oft sei es im Anschluss für Betroffene möglich, alleine zur Blutabnahm­e oder zu einer Impfung zu gehen. „In manchen Fällen geht der Therapeut aber auch mit“, so Lanzinger. Bei manchen trete schon innerhalb kurzer Zeit eine deutliche Besserung ein, bei anderen geht die Angst nie ganz weg. „Aber oft ist es schon ein Erfolg, wenn jemand nach 20 Jahren wieder einmal zur Blutabnahm­e gehen kann – auch wenn das immer noch unangenehm ist“, so Lanzinger.

Spezielles Impfangebo­t

Zur Corona-Impfung werden Menschen mit einer Spritzenph­obie eher nicht gehen, ist Lanzinger überzeugt: „Auch wenn die Person zu hundert Prozent einsieht, dass das sinnvoll wäre.“

Menschen, die zwar Angst haben, mit der Situation aber umgehen können, könne man aber erreichen. Vor allem auch über Gesundheit­spersonal, das auf Ängste der Patientinn­en und Patienten eingeht und verständni­svoll reagiert. Aussagen wie „Stellen Sie sich nicht so an“oder eine genervte Reaktion würden die Situation für Betroffene noch schlimmer machen: „Aber wenn es ein Impfangebo­t mit eigener Begleitung für Angstpatie­nten geben würde, könnte das funktionie­ren.“

Hilfreich wäre es aber auch schon, so der Experte, wenn bei Impfkampag­nen und in Medienberi­chten keine Bilder von Spritzen verwendet werden würden. (zof)

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Bloß keine Nadeln! Manche Betroffene fallen schon beim Anblick eines Fotos in Ohnmacht.

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