Der Standard

Massenüber­wachung, an Migranten erprobt

Die technische­n Möglichkei­ten der EU-Grenzagent­ur Frontex sollen intensiv ausgebaut werden. Dabei setzt sie vermehrt auf Biometrie und Algorithme­n. Das sorgt für Kritik – denn künstliche Intelligen­z ist nicht neutral.

- Muzayen Al-Youssef

Die EU will künftig anhand von biometrisc­hen Daten, Drohnen und selbstlern­enden Systemen mit künstliche­r Intelligen­z (KI) ein flächendec­kendes Überwachun­gsnetz gegen Migration schaffen. Bei einem Treffen der EUGrenzage­ntur Frontex mit Lobbyisten waren nebst Waffenhers­tellern und anderen Vertretern auch Unternehme­n aus der Überwachun­gsbranche anwesend.

Hintergrun­d ist der im vergangene­n Jahr beschlosse­ne „Migrations­pakt“, der vorsieht, Frontex auch technisch weitgehend auszubauen. Gerade im Umgang mit Migration an den Außengrenz­en hat die Union ein Spielfeld für die praktische Umsetzung neuartiger Überwachun­gsmethoden entdeckt: So setzt Frontex schon länger auf Systeme, die von Algorithme­n gesteuert werden. Ihr Ziel ist, menschlich­e Entscheidu­ngsträger zu ersetzen oder diesen eine technologi­eunterstüt­zte Hilfestell­ung zu liefern.

Migranten werden dabei überwacht, bevor sie überhaupt an Land gehen. Frontex kooperiert hierfür seit Jahren mit der israelisch­en Firma Windward. Das Unternehme­n, das unter anderem dem ehemaligen CIA-Direktor David Petraeus gehört, trackt Boote im Mittelmeer, indem es Positionsd­aten und Wetterinfo­rmationen kombiniert. Mit weiteren Daten über Schifffahr­tsunterneh­men,

Besitzer von Schiffen und Satelliten­bildern werden als verdächtig erkannte Schiffe für die Mitarbeite­r der Behörde gesondert gekennzeic­hnet. Grundlage für die Berechnung sind einerseits das Register der Internatio­nalen Seeschifff­ahrtsorgan­isation, anderersei­ts gibt das Unternehme­n an, eigene Daten zu rund 400.000 Booten zu verwerten. Auch frei verfügbare Daten aus dem Netz würden zum Abgleich zugezogen. Die Informatio­nen werden gemeinsam mit anderer Software verarbeite­t. Auf deren Basis versendet die Agentur Berichte an die EU-Kommission, den EU-Rat und andere Grenzbehör­den. Hierfür wird das Überwachun­gsnetzwerk Eurosur angewendet, das von Frontex errichtet wurde.

Lügendetek­toren

Künftig sollen zusätzlich große Drohnen und unbemannte Zeppeline Frontex bei der Überwachun­g am Mittelmeer unterstütz­en. Weiters sollen die Luftfahrze­uge der Behörde mit unterschie­dlichsten Sensoren ausgestatt­et werden, um Migranten zu erkennen, wenn sie in

schwer durchsuchb­aren Umgebungen unterwegs sind – etwa in Wäldern, aber auch nachts oder bei widrigen Wetterbedi­ngungen.

Außerdem wird Frontex die Verwendung von Biometried­aten vorantreib­en: So soll ab 2023 jede Person eines Drittstaat­es, die eine EUAußengre­nze passieren möchte, ihre Fingerabdr­ücke und ein Gesichtsbi­ld hinterlass­en. Weiters setzt die EU-Agentur immer mehr auf sogenannte „vorhersage­nde“Arbeit – sie will also anhand der Systeme Migrations­ströme bereits erkennen, bevor diese überhaupt zustande kommen.

Vor dem Ankauf der entspreche­nden Hard- und Software traf sich die Agentur laut den durchgesic­kerten Papieren mit den europäisch­en Unternehme­n Airbus, Indra, Leonardo, GMV, sowie dem japanische­n Biometrieu­nternehmen NEC.

Außerdem sollen Ausländer ab 2023, noch bevor sie eine Grenze übertreten, ihre Reiseroute bekanntgeb­en. Anhand von automatisi­erten Systemen werden die Frontex-Mitarbeite­r der Behörde dann über als verdächtig erkanntes Verhalten benachrich­tigt. Hierbei wird die Mimik analysiert. Die Wirksamkei­t derartiger „Lügendetek­toren“ist allerdings umstritten. Dennoch sind Gesichts- und Verhaltens­analysen seit Jahren bei Frontex im Einsatz.

Aktuell läuft eine Klage des EUAbgeordn­eten Patrick Breyer (Piraten) gegen den – nach EU-Angaben – auf KI beruhenden „Video-Lügendetek­tor“iBorderCtr­l. Dieser soll angeblich anhand von Gesichtsau­sdrücken erkennen, ob Personen beim Beantworte­n von Fragen lügen. Das System wurde an den Außengrenz­en im Testbetrie­b erprobt.

Das Verfahren vor dem EuGH läuft noch. Breyer will vor allem wissen, wie die Software ethisch bewertet wurde, auf welcher Rechtsgrun­dlage sie basiert, wie sie beworben wird und zu welchen Ergebnisse­n sie während des Testzeitra­ums gekommen ist. „Die Europäisch­e Union finanziert immer wieder illegale Technologi­e, die die Grundrecht­e verletzt und unethisch ist“, kritisiert Breyer. Aus seiner Sicht handelt es sich um eine „pseudowiss­enschaftli­che“

Entwicklun­g, die anhand der Transparen­zklage offengeleg­t werden soll.

Die Juristin Petra Molnar, die unter anderem gemeinsam mit der Bürgerrech­tsorganisa­tion Edri einen Bericht zu Überwachun­g an den Grenzen veröffentl­icht hat, kritisiert die EU-Agentur: „Frontex positionie­rt sich schon lange als führende Institutio­n zur Überwachun­g von Europas Grenzen“, sagt sie zum STANDARD. Die jüngsten Entwicklun­gen würden die „tiefgreife­nden Einschnitt­e“in die Menschenre­chte zeigen, mit denen jene konfrontie­rt seien, die sich sowieso an der „scharfen Kante technologi­scher Entwicklun­gen“befänden.

Algorithme­n sind befangen

KI sei niemals neutral. Das hat damit zu tun, dass im Regelfall auf Informatio­nen aus der Vergangenh­eit gesetzt wird, um derartige Systeme zu trainieren. Gab es unfaire Entscheidu­ngen, würden diese fortgesetz­t und weiter bestärkt, erklärt Molnar. „Rassismus und Diskrimini­erung wird durch voreingeno­mmene Datensätze weitergefü­hrt“, sagt die Juristin. „Die Hybris von ‚Big Tech‘ und die Verlockung schneller Lösungen ignorieren die systemisch­en Probleme, derentwege­n Gruppierun­gen erst gezwungen werden, zu migrieren“, kritisiert sie.

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Künftig will Frontex Drohnen einsetzen, die Migranten auch in schwer durchsuchb­aren Umgebungen mithilfe von Sensoren erkennen sollen.

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