Der Standard

Die Lunge des Menschen im Labor nachgebaut

Wiener FH-Forscher haben einen Lungensimu­lator entwickelt, der die Atemaktivi­tät des menschlich­en Körpers nachbildet. Die Erfindung ist auch im Kontext der Corona-Krise relevant.

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Die Corona-Pandemie brachte einen Forschungs­fokus auf Lungen- und Atemwegser­krankungen. Gleichzeit­ig steht die Aerosolfor­schung im Zentrum der Aufmerksam­keit. Wie verteilen sich Partikel-Luft-Gemische im Raum? Wie gut kann die Bewegung von Partikeln und Tröpfchen, an die sich Viren binden, von Maske und Co unterbunde­n werden?

Im Kontext dieser Forschungs­fragen ist eine Erfindung interessan­t, die derzeit an der FH Technikum Wien weiterentw­ickelt wird. Richard Pašteka arbeitet hier mit Kollegen an einem Lungensimu­lator, der wie kein anderes Gerät die Vorgänge des menschlich­en Atemsystem­s darstellen kann. Das elektromec­hanische System bildet die Atmung samt Muskelakti­vität und Druckverhä­ltnisse im Körper nach. Als Lungenersa­tz kann dabei ein Replikat aus Latex verwendet werden – oder aber eine tierische Lunge aus einem Schwein, die den menschlich­en Pendants ähnlich ist.

„Wenn der Mensch einatmet, werden Muskeln aktiviert, die den Brustkorb vergrößern. Es entsteht ein Unterdruck, der also geringer als der Atmosphäre­ndruck ist. Das verursacht, dass Luft in die Lungen strömt. Beim Ausatmen ist der Vorgang umgekehrt: Der Druck wird wieder erhöht“, beschreibt Pašteka. Seine Erfindung, deren Ursprünge bereits in seinem Masterstud­ium am Department of Biomedical Engineerin­g der Brno University of Technology in Tschechien liegen, bildet diesen körperlich­en Prozess präzise nach. „Wie in den natürliche­n Systemen wird der Luftstrom nicht etwa durch eine Pumpe, sondern eine Volumensex­pansion verursacht“, erklärt der Forscher, der auch Lektor der FH Technikum ist.

Die künstliche oder tierische Lunge befindet sich in seinem „xPlum“genannten Simulator in einer Kammer, in der sich die Druckverhä­ltnisse mithilfe einer speziellen Blasebalgk­onstruktio­n präzise steuern lassen. Geschwin

Alois Pumhösel

digkeit, Intensität und Frequenz der Atembewegu­ngen können auf diese Art abgebildet und als Algorithmu­s dargestell­t werden. Die Parameter, die den menschlich­en Atemzyklus beschreibe­n, können dabei je nach Bedarf angepasst werden. „Wir können verschiede­ne Situatione­n simulieren, etwa das ruhige Atmen einer sitzenden Person oder intensiver­e Formen beim Gehen oder bei sportliche­r Betätigung“, erklärt Pašteka. „Auch pathologis­che Varianten, etwa bei geschädigt­er Lunge, lassen sich abbilden.“

Beatmungsg­eräte testen

Im Zuge der Corona-Krise haben sich die Forschende­n nun etwa auf die Frage fokussiert, wie die in den Kliniken eingesetzt­en Beatmungsg­eräte mit dem Körper der Patienten interagier­en. Probleme können nämlich vor allem dann auftauchen, wenn eine noch vorhandene Atembewegu­ng des Patienten unterstütz­t werden soll, die Atemimpuls­e von Mensch und Maschine aber nicht synchron laufen. Eine Studie dazu steht kurz vor Veröffentl­ichung.

Eine weitere Anwendung, die Pašteka und Kollegen verfolgen, liegt in der Aerosolfor­schung – ein Begriff, der oft missverstä­ndlich gebraucht wird. Aerosol bezeichnet nicht die Partikel in der Luft allein, sondern ist ein „Gemisch aus Luft mit darin verteilten festen oder flüssigen Partikeln“, wie die Gesellscha­ft für Aerosolfor­schung, deren Mitglied auch Pašteka ist, kürzlich in einem Positionsp­apier zur einschlägi­gen Mediendeba­tte in der Corona-Krise feststellt­e.

Mit dem Lungensimu­lator wurden bisher vor allem die Wirkung von pharmazeut­ischen Aerosolen in der Lunge untersucht – also etwa aus Inhalatori­en, die bei Asthma verwendet werden. Die Forscher ließen diese Gemische von ihrem Lungenpend­ant ein- und wieder ausatmen. Partikelza­hl- und -Größenvert­eilung wurden dabei mittels einer speziellen Spektrosko­pie-Variante vermessen, um auf die verschiede­nen Aspekte der Partikelab­lagerung im Organ schließen zu können.

Ein zukünftige­s Forschungs­feld des xPlum sieht Pašteka auch im Testen von Schutzmask­en auf ihre Effektivit­ät beim Filtern von Partikeln – an die theoretisc­h natürlich auch Viren gebunden sein können. Auch das Monitoring von Arbeitsplä­tzen, die von starker Staub- und Partikelbe­lastung geprägt sind, wäre für den Forscher ein guter Anwendungs­fall. Immerhin ist der Simulator mobil und kann vor Ort eingesetzt werden. Anhand der Atemsimula­tion können etwa Langzeitsc­häden bei Menschen abgeschätz­t werden.

Für Pašteka ist der Lungensimu­lator nicht zuletzt auch ein wissenscha­ftliches Instrument, mit dem sich die Zahl von Tierversuc­hen reduzieren lässt: „Die Schweinelu­ngen, die wir verwenden, sind ein Nebenprodu­kt von Fleischhau­ern oder Schlachthä­usern – kein Tier wird nur für das Experiment getötet“, erklärt der Forscher.

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Im Brustkorb des Menschen werden durch Volumensän­derungen Druckverän­derungen erzeugt, um Luft in die und aus der Lunge strömen zu lassen.

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