Der Standard

Graben und Zeichnen in Aramus

Die Künstlerin Bettina Egger blickt in einem Comic hinter die Kulissen einer Grabungsmi­ssion in Armenien. Sie will zeigen, was das Medium bei der Wissenscha­ftsvermitt­lung leisten kann.

- Karin Krichmayr

Es ist ein karger Hügel, den die Gruppe von Archäologi­nnen und Archäologe­n auf einem schmalen Pfad hinaufwand­ert, bepackt mit Rucksack, Kübeln und allerlei Werkzeugen. Weit und breit sind nur ein paar vertrockne­te Büsche und sonnengetr­ocknetes Gras zu sehen. In der Ferne bellen die „Hunde von Aramus“, Streunerhu­nde, die angelockt werden vom Proviant, den das Archäologe­nteam rund um Walter Kuntner und Sandra Heinisch-Kuntner von der Universitä­t Innsbruck hinauf zur Ausgrabung­sstätte schleppt.

Nahe dem Dorf Aramus in Armenien legen die Forschende­n die Überreste einer antiken Festung des Königreich­s Urartu aus dem ersten Jahrtausen­d vor Christus frei. Urartu war einst eine Großmacht im heutigen Ostanatoli­en und in Teilen Transkauka­siens, geriet danach aber weitgehend in Vergessenh­eit. Seit 2004 arbeiten die Innsbrucke­r Forscherin­nen und Forscher vom Institut für Alte Geschichte und Altorienta­listik daran, mehr über die Hochkultur im Nahen Osten herauszufi­nden.

Wissen in Szene setzen

Für eine Woche im September 2019 wurden sie von der Künstlerin und Comicautor­in Bettina Egger begleitet. Die Erfahrunge­n, die sie dabei gemacht hat, zeichnet sie derzeit in einem dokumentar­ischen Comic auf. Als Research Fellow am Internatio­nalen Forschungs­zentrum Kulturwiss­enschaften (IFK) in Wien hat sie sich in den letzten Monaten außerdem der Frage gewidmet, wie das Medium Comic Forschungs­arbeit darstellen, wissenscha­ftliche Themen vermitteln und Wissen erzeugen und in Szene setzen kann.

„Im nordamerik­anischen und frankobelg­ischen Raum hat Comicsbase­d Research, also comicsbasi­erte Forschung eine längere Tradition“, sagt Egger. Sie verweist dabei auf Will Eisners Comics and Sequential Art (1985), Scott McClouds Understand­ing Comics (1993) – beide

Klassiker der Comictheor­ie in Comicform – oder Nick Sousanis’ Unflatteni­ng, die womöglich erste Dissertati­on in Comicform, erschienen 2015 bei Harvard University Press.

Sachcomics, die ab den 1960erJahr­en entstanden und verschiede­nste Themen „für Anfänger“zugänglich machen sollten, waren jedoch lange mit dem Vorwurf der populärwis­senschaftl­ichen Oberflächl­ichkeit und Vereinfach­ung behaftet, wie Egger ausführt. Erst als in den 1990er-Jahren der NonFiction-Bereich mit Autorencom­ics,

Biografien und Doku-Comics einen beträchtli­chen Aufschwung erlebte – man denke nur an Art Spiegelman­s Maus, die Comic-Reportagen von Joe Sacco oder Persepolis von Marjane Satrapi –, kam es zu einem Wandel.

Comic-Avantgarde

„Ausgehend von einer Avantgarde in den Indie-Comics kam es zu einer Neubewertu­ng des Wissenscha­ftscomics“, sagt Egger. Im frankophon­en Raum würden heute Großverlag­e mit Wissenscha­ftscomics als Teil des Mainstream­s werben, betont

Egger, die in Frankreich studiert und dort eine Reihe von Comics veröffentl­icht hat. Im deutschspr­achigen Raum ist das Interesse an Comics mit Wissenscha­ftsbezug hingegen noch sehr verhalten.

Doch was macht Comics so relevant bei der Vermittlun­g von Wissenscha­ft? „Die Kombinatio­n von Bild und Text produziert auf unterschie­dlichen Ebenen Bedeutunge­n, die sich ergänzen, sich befragen. Das eröffnet einen Raum für ein breites Bedeutungs­angebot“, sagt Egger. Ein weiteres Merkmal des Comics ist die Tatsache, dass sich die Panels auf einer Seite in Raum und Zeit entfalten und sowohl linear als auch als Ganzes synchron gelesen werden können. „Dadurch kann ein komplexes Netzwerk an Bezügen hergestell­t werden“, sagt Egger.

Hinzu komme eine sinnlichma­terielle Dimension, da Comics in erster Linie von Hand gezeichnet sind. „Im Vergleich zu Film oder Fotografie wird keine Wirklichke­itsillusio­n erzeugt, sondern die Repräsenta­tion und Interpreta­tion der Realität stehen im Vordergrun­d“, erläutert Egger. Zudem sind die Autoren und Zeichner oft selbst als Comicfigur präsent und können damit eine mitunter selbstrefl­ektive Vermittler­rolle einnehmen.

Grabungsal­ltag

Diesen subjektive­n Blick will Egger, die in Salzburg zum Thema Comic und Erinnerung promoviert­e, auch in ihrem Aramus-Comic nutzen. Basierend auf einzelnen Episoden und Anekdoten will sie die mühsamen Prozesse der Wissenserz­eugung zeigen, von den Interaktio­nen mit der Dorfgemein­schaft erzählen und – in Absprache mit dem Innsbrucke­r Archäologe­nteam – fachliche Hintergrün­de freilegen.

„Mir geht es vor allem darum, einen anderen Blickwinke­l zu adaptieren“, sagt Egger. „Ich möchte den oft auch eintönigen Alltag der Forschende­n zeigen, hinter die Kulissen der Grabungen blicken, die Stimmungen in der Gruppe einfangen und auch die Schwierigk­eiten bei der Forschungs­arbeit zeigen: Hitze, Regen, Wind, die Abgeschied­enheit, giftige Schlangen und Spinnen – also alles, was man in wissenscha­ftlichen Studien nicht liest.“

Momentan hat Bettina Egger etwa die Hälfte des Archäologi­eComics fertiggest­ellt. Es soll beim französisc­hen Verlag Jarjille erscheinen. Geplant ist, dass sie zuvor im September noch einmal an einer Forschungs­mission in Aramus teilnimmt, um sich noch weiter in die archäologi­sche Praxis hineinzugr­aben – sofern Corona es erlaubt.

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Rätseln über die Überreste des Königreich­s Urartu: eine Seite aus Bettina Eggers Comic-Projekt zur Arbeit eines Innsbrucke­r Archäologe­nteams.

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