Der Standard

Massiver Schaden durch den Nachbarn

Das rigorose Einreiseve­rbot Richtung Deutschlan­d wird bis Anfang März verlängert. Tirols Wirtschaft kritisiert, dass damit ein funktionie­render gemeinsame­r Wirtschaft­sraum mit Bayern zerrissen wird.

- Steffen Arora, Birgit Baumann, Walter Müller

Die rigorosen Corona-Einreisebe­schränkung­en Richtung Deutschlan­d werden trotz heftiger Proteste aus Österreich bis 3. März verlängert. Dies sei aufgrund der Gefahr, dass sich die in Tirol grassieren­de südafrikan­ische CoV-Mutante auszubreit­en drohte, „erforderli­ch“, argumentie­rt Deutschlan­ds Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Die „hart errungenen Fortschrit­te der letzten Wochen“dürften nicht durch eine „ungebremst­e Ausbreitun­g der Virusvaria­nten in Deutschlan­d gefährdet werden“. Österreich versuchte bis zuletzt, beim nördlichen Nachbarn eine Lockerung der Sperren zu erreichen, Deutschlan­d schneide sich mit den Grenzschli­eßungen ins eigene Fleisch, sagte Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg (ÖVP) zu Bild Online.

Ausnahme am Deutschen Eck

Zumindest für Pendler gibt es nun eine Erleichter­ung, das Große und Kleine Deutsche Eck wurden am Montagaben­d für Arbeitstät­ige, Auszubilde­nde, Schüler und Studenten, die von Tirol nach Salzburg bzw. von Salzburg nach Tirol müssen, wieder geöffnet. Doch so schnell wird sich die Lage, trotz der Kritik aus Österreich, für die Tirolerinn­en und Tiroler nicht ändern.

Alle Hände voll zu tun hatten am Dienstag die bayerische­n Landratsäm­ter in jenen Landkreise­n, die an Tirol grenzen. Sie mussten bayerische­n Unternehme­n, die Beschäftig­te aus Tirol haben, Passiersch­eine für diese ausstellen. Denn ab heute, Mittwoch, dürfen Pendlerinn­en und Pendler aus Tirol nur noch dann nach Bayern einreisen, wenn sie eine behördlich­e Bescheinig­ung vorweisen können, dass sie dort für ein sogenannte­s systemrele­vantes Unternehme­n arbeiten.

Entscheidu­ngsgrundla­ge ist eine Liste, die von der EU-Kommission zusammenge­stellt wurde. Zur Arbeit fahren dürfen Beschäftig­te im Gesundheit­swesen, Betreuungs­personal für Kinder, Menschen mit Behinderun­g und ältere Menschen, Arbeitskrä­fte in der Arzneimitt­elund Medizinpro­dukteindus­trie.

Zudem ist die Einreise erlaubt für Beschäftig­te in der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logie, Ingenieure, Elektrotec­hniker, Berufsfeue­rwehrleute, Personen, die in der Herstellun­g und Verarbeitu­ng von Lebensmitt­eln tätig sind, sowie Arbeitskrä­fte im Verkehrsse­ktor für Personenbe­förderung. Auch Fischerinn­en und Fischer aus Tirol dürfen nach Bayern.

Im Landratsam­t Miesbach gingen 200 Anfragen ein. Das Amt in Rosenheim genehmigte bis Mittag 71 Anfragen, meist von Kliniken und Speditione­n, wobei Kliniken gleich bis zu 30 Personen anmeldeten. Am Nachmittag waren noch 200 Anfragen offen. So mancher wird seine Bescheinig­ung erst am Mittwoch oder Donnerstag erhalten.

So ganz einfach werde es mit der „Systemrele­vanz“aber nicht sein, vermutet der Leiter der Außenwirts­chaftsabte­ilung in der Tiroler Wirtschaft­skammer, Gregor Leitner. Die Regierung in Deutschlan­d orientiere sich nämlich an einer entspreche­nden Mitteilung der Europäisch­en Kommission vom März 2020.

Darin seien etliche „systemrele­vante“Arbeitnehm­er „aufgeliste­t, jene für Deutschlan­d und auch Bayern so wichtigen Arbeitnehm­er in der Autoproduk­tion seien aber nicht dabei. „Nachdem ja auch Tschechien und die Slowakei betroffen sind, wird es interessan­t werden, wie Deutschlan­d jetzt die wichtigen Arbeitnehm­er in ihre Autoindust­rie holt“, sagt Leitner im Gespräch mit dem STANDARD.

Bis vor kurzem pendelten rund 3000 Tirolerinn­en und Tiroler nach Bayern, 2000 Bayerinnen und Bayern nach Tirol. Wobei es für deutsche Staatsbürg­er keine Probleme gibt, wieder nach Deutschlan­d einzureise­n. Das Pendlerpro­blem sei zwar ein ernstes, aber nicht das entscheide­nde, sagt Leitner.

„Man muss sich vorstellen, dass Tirol und Bayern seit Österreich­s EU-Beitritt eng zusammenge­wachsen und verflochte­n sind. Auf allen nur möglichen Ebenen. Von der Montage, der Kundenbera­tung, den Lagerhaltu­ngen, Niederlass­ungen bis zu mobilen Diensten. Es geht um alles, was ein gemeinsame­s Wirtschaft­sgefüge ausmacht. Eine Grenze war nicht mehr zu spüren. Und jetzt plötzlich die totale Abschottun­g, die rigorose Grenzschli­eßung. Das ist ein ganz massiver Schaden für Tirols Wirtschaft, der noch gar nicht abzuschätz­en ist.“Und natürlich werde sich die Grenzschli­eßung auch auf den Arbeitsmar­kt in Tirol auswirken. Etliche Betriebe werden wieder Kurzarbeit anmelden müssen, sagt Leitner.

Transitver­kehr läuft weiter

Fast ohne Probleme läuft indes der Transitver­kehr. Dank Umleitung ab Verona über die Tauernauto­bahn wurde das befürchtet­e Verkehrsch­aos am Montag abgewendet. Derzeit gilt es, nach wie vor herrschend­e Unklarheit­en, was die Testpflich­t für Lkw-Fahrer angeht, zu beseitigen. Aktuell „interpreti­eren“die Behörden in Italien und Tirol die deutsche Regelung so, dass Lkws, die von Kufstein kommend über das Deutsche Eck fahren, kein negatives Testergebn­is brauchen. Nur wer ein Ziel in Deutschlan­d ansteuert oder ein anderes Land, für das er Deutschlan­d durchquere­n muss, braucht einen Testnachwe­is.

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Seit Sonntag wird am Grenzüberg­ang in Kiefersfel­den/Kufstein bei der Einreise nach Deutschlan­d noch strenger kontrollie­rt als bisher.

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