Der Standard

Virtuelles Debattiere­n mit Merkel, Biden, Gates und Co

Die Münchner Sicherheit­skonferenz findet heuer erstmals nur online statt. Protestier­t wird trotzdem dagegen. Wie organisier­t man eine globale Videokonfe­renz mit Angela Merkel, Joe Biden und Bill Gates?

- Nora Reinhardt aus München

Das massive Polizeiauf­gebot, das normalerwe­ise nötig ist, wird dieses Jahr nicht gebraucht. Denn am traditione­llen Ort der Münchner Sicherheit­skonferenz (MSC), dem Hotel Bayerische­r Hof, wo sonst 600 Teilnehmer mit dreimal so vielen Security-Kräften sind, sind nur zwei Personen: der Vorsitzend­e der MSC, Wolfgang Ischinger, und ARD-Moderatori­n Natalie Amiri. Nur sie sind im Festsaal und moderieren. Zuschauer und Redner nehmen virtuell teil.

Am Promenadep­latz wird es heute, Freitag, kein Schwarze-Limousinen-Ballett geben, es werden keine Sternegene­räle zu sehen sein, und auch die US-Delegation wird dieses Mal nicht anreisen. Nur die Security-Kräfte stehen wie jedes Jahr vor dem Hotel. Wer hinein möchte, muss sich testen lassen. „Wenn mein Corona-Test negativ ist, kommen Botschafte­r Ischinger und ich uns auf der Bühne vielleicht sogar näher“, sagt Amiri im Scherz.

Trotz – oder wegen – des Onlineform­ats haben die einflussre­ichsten Köpfe der Welt zugesagt. Erstmals nimmt ein amtierende­r US-Präsident teil – wohl aus Verbundenh­eit: Joe Biden war oft da. Die Staats- und Regierungs­chefs Angela Merkel, Emmanuel Macron, der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, Nato-Chef Jens Stoltenber­g und UNGenerals­ekretär António Guterres sowie Melinda und Bill Gates werden nacheinand­er zu ihren Fachgebiet­en sprechen.

Vier Themen, drei Stunden

Vier Themenkomp­lexe in drei Stunden: Multilater­alismus, die Pandemie, die transatlan­tischen Beziehunge­n und das Klima. Hat Amiri, die „Master of Ceremony“sein wird, Angst vor Pannen? „Die Kollegen vom Bayerische­n Rundfunk sind ja erfahren mit solchen Schalten, da verlasse ich mich drauf.“Zu gerne wäre man dabei, wenn sich das Techniktea­m von Biden, vielhagen. leicht aus dem Oval Office, für die technische Generalpro­be einwählt, oder das des Élysée-Palastes.

Die Teilnehmer­liste ist erstaunlic­h, bedenkt man, dass das Attraktive der Münchner Sicherheit­skonferenz schon immer die Gelegenhei­t war, sich auf dem kurzen Dienstweg in Hinterzimm­ern auszutausc­hen.

Ischinger erklärte den Reiz der Sicherheit­skonferenz in einem Interview selbst vor ein paar Tagen so: Sie ermögliche, dass „ein amerikanis­cher Politiker hinter den Kulissen mit dem iranischen Außenminis­ter reden könnte“. Und deutete an, dass er das „vielleicht sogar tut“– ganz „ohne Visum, ohne Aufsehen“. Fakt ist: Die US-Delegation mietet üblicherwe­ise für diese „bilaterals“, Zwei-Staaten-Gespräche, tatsächlic­h immer ein Stockwerk, wie das Hotel bestätigt.

Laut Ischinger gebe es jedes Jahr weit mehr als 2000 dieser Gespräche hinter verschloss­enen Türen. Das sorgt mitunter auch für UnbeDie Befürchtun­g: dass Staaten Absprachen fernab der Nato treffen. Für die deutsche Linke Julia Schramm ist die Sicherheit­skonferenz „eine Art Kaffeeklat­sch von Nato, Rüstungsin­dustrie und Diktaturen“.

Wird es auf der virtuellen Konferenz auch virtuelle Hinterzimm­ertreffen geben? „Nein“, sagt Amiri. Manches kann man eben nur von Angesicht zu Angesicht besprechen. Vielleicht betonen die Veranstalt­er auch deshalb, dass man so bald wie möglich die „Siko“nachholen wolle, am besten noch in dieser Jahreshälf­te.

Reale Demonstrat­ionen

Und wie demonstrie­rt man gegen einen gigantisch­en geopolitis­chen Videocall? Claus Schreer, 83, trifft sich am Samstag um 14 Uhr mit Gegnern auf dem Marienplat­z. Transparen­te male er keine mehr, sagt er, er habe „etliche zur Auswahl“: Ob „Abrüstung statt Aufrüstung“oder „US-Atomwaffen raus aus Deutschlan­d“entscheide er spontan. Er ist seit 63 Jahren Friedensak­tivist, organisier­t die Demos gegen die Konferenz seit knapp 20 Jahren mit. Neue Chancen durch die Digitalisi­erung sieht er auch im Demo-Sektor: „Normalerwe­ise ist das Hotel ja immer abgeriegel­t, dieses Jahr können wir die Kundgebung direkt davor machen“, sagt Schreer. „Wir sind gegen die Aufrüstung Deutschlan­ds und der EU, sie führt nicht zu mehr Sicherheit auf der Welt. Und für die atomare Abrüstung.“Zuletzt seien noch 3000 Protestier­ende gekommen. Wegen der Pandemie habe man die Demo am Samstag für „300+“Menschen angemeldet.

Amiri, lange Iran-Korrespond­entin, sieht es so: „Gerade im Klima des Populismus muss man miteinande­r sprechen. Ohne Kommunikat­ion kann es auch keine Friedensab­kommen geben.“Es sei „schlimm genug“, dass die USA zuletzt „Vorbild für viele Despoten in der Welt waren“.

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2021 ist auch für die MSC kein „normales Jahr“. Deshalb soll sie bald im gewohnten Format nachgeholt werden.

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