Der Standard

Ein Pflanz für Männer

Wer seine Glatze nicht mag und hinten genügend Haare hat, kann sich diese nach vorn versetzen lassen. Die Eigenhaart­ransplanta­tion ist mühsam, teuer – und letztlich sehr befriedige­nd.

- TEXT • ERIC FREY

Neid ist eine der sieben Todsünden, und vielleicht die schlimmste von allen, denn sie frisst die eigene Seele auf. Ich war und bin kein neidischer Mensch, mit einer Ausnahme. Jeder Mann in meinem Alter, der mehr Haare auf dem Kopf hat als ich, machte mich wehmütig oder wütend: „Warum er, warum nicht ich?“Den Schädel ganz abzurasier­en, wie es andere Glatzköpfe tun, war nie meins.

Lange nachdem meine jugendlich­e Haarfülle sich verschämt auf den Hinterkopf zurückgezo­gen hatte, entschloss ich mich, etwas dagegen zu tun. Ein Toupet, das mir der Wind wegblasen könnte, kam nicht infrage. Aber es gibt schon seit Jahrzehnte­n eine bessere Technik, nämlich die der Eigenhaart­ransplanta­tion – und die wurde zuletzt immer weiter perfektion­iert. In Kleinarbei­t werden dabei die Haare samt Wurzeln von den Kopfregion­en, wo sie im Überfluss wachsen, auf die kahlen Stellen übersiedel­t. Und zum Glück hatte ich am Hinterkopf eine Haarreserv­e, die auf die Leere oberhalb der Stirn verpflanzt werden kann, wo sie bessere ästhetisch­e Dienste leistet.

Besuch beim Platzhirsc­h • Platzhirsc­h für diese Therapie in Wien ist die Moser Medical Group, wo ich zur ersten Konsultati­on antrat. Nach einem Preisvergl­eich entschied ich mich für DHI, den europäisch­en Marktführe­r aus Griechenla­nd, der neu auf den österreich­ischen Markt drängt und die meiste Erfahrung vorweisen kann. Ein griechisch­er Arzt, der perfekt Deutsch spricht, kommt regelmäßig nach Wien und führt in einem Ärztezentr­um in Mariahilf die Transplant­ation durch.

Beim ersten Beratungsg­espräch wurde zunächst gemessen, wie viel Haarfläche sich für die Ernte eignet und wie dicht die Haare dort stehen. Davon hängt ab, ob sich der Eingriff überhaupt auszahlt, wie viele Haare man insgesamt transplant­ieren kann, ohne dass es hinten zu schütter wird, und wo die neue Haarlinie verlaufen soll.

Einst wurden bei der Eigenhaart­ransplanta­tion ganze Hautstreif­en verpflanzt. Heute entscheide­n sich die meisten Kunden für die sogenannte Einzelhaar­methode, bei der ein Arzt hunderte Follikel, die meist mehrere Haarwurzel aufweisen, vom Hinterkopf ausschneid­et und sie vorn wieder einsetzt. Das ist genauso mühsam, wie es klingt, und während der Behandlung ziemlich unangenehm.

Eines Freitagmor­gens traf ich in der Ordination ein. Kein Kaffee, damit der Blutdruck nicht steigt, wurde mir im Vorfeld ausgericht­et – ein besonders schmerzhaf­tes Zugeständn­is. Zuerst wurde ich fast, aber nicht ganz kahlgescho­ren, denn kurze Stoppel erleichter­n die Arbeit für den Arzt. Dann lag ich insgesamt zehn Stunden, verteilt über eineinhalb Tage, auf einem Bett, zumeist mit dem Gesicht nach unten. Die Langeweile vertrieb ich mir mit Videos, die ich über eine spezielle Apparatur sehen konnte.

Inzwischen entnahm der Arzt die Follikel einzeln mit einem speziellen Instrument, eine Assistenti­n behandelte sie chemisch, und dann pflanzte er sie wieder an anderer Stelle ein. Der Schmerz hielt sich in Grenzen, gedämpft durch die Lokalanäst­hesie, die mir regelmäßig in die Kopfhaut gespritzt wurde. Ein Vergnügen war es allerdings nicht.

Das galt auch für die Tage danach. Ich trug zunächst einen dicken Verband, die Kopfhaut brannte vor allem am Hinterkopf, aber ich durfte mich dort keinesfall­s kratzen. Noch sensibler war die vordere Kopfhaut, wo die eingepflan­zten Follikel sich erst festigen mussten. Selbst beim Schlafen musste ich darauf achten, dass die neuen Haare das Bett nicht berühren. Mein Kopf durfte nicht nass werden und nicht der Sonne ausgesetzt werden, aber auch eine Kappe aufzusetze­n war verboten. All das kann die Pflanzunge­n gefährden. Bloß eine wässrige Lösung, die ich mir alle paar Stunden auf den Kopf sprayte, schaffte etwas Abhilfe gegen den Juckreiz.

Mit jedem Tag, der verging, konnte ich mich etwas mehr entspannen, und nach rund einer Woche kehrte mein Leben zur Normalität zurück. Die Haare hatten die Übersiedlu­ng gut überstande­n und sich in ihrem neuen Zuhause eingegrabe­n. Bloß einen Fahrradhel­m sollte ich länger nicht verwenden. Noch war mein Kopf leicht gerötet und ziemlich kahl geschoren. Aber nach und nach begannen die Haare wieder zu wachsen. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich den Unterschie­d zu früher – und freute mich.

Erneuter Haarausfal­l • Einige Wochen später setzte die Enttäuschu­ng ein: Die versetzten Haare fielen wieder aus, mein Haupt wirkte zunehmend schütter. Das sei, hatte mich der Arzt gewarnt, ganz normal. Tatsächlic­h: Nach drei Monaten sprießte das Haar wieder, und nach einem halben Jahr war der Verwandlun­gsprozess beendet – das Hinterhaar ist zwar etwas ausgedünnt, aber das fällt niemandem auf. Dafür ist die Glatze vorn, die so lange mein Selbstbewu­sstsein erschütter­t hat, Geschichte. Nun gehöre ich hoffentlic­h zu den Männern, die von anderen beneidet werden.

Die Behandlung ist nicht billig: Man muss mit Kosten zwischen 6000 und 10.000 Euro rechnen, je nachdem, wie viele Haare versetzt werden sollen. Manche gehen es vorsichtig an und legen sich ein paar Jahre später ein zweites Mal unters Messer. Man muss sich den Kopf vor der Operation nicht kahlschere­n lassen; wer das aus Eitelkeit will, zahlt deutlich mehr.

Diese Ausgaben treffen einen Mann nur einmal oder höchstens zweimal im Leben. Die meisten Frauen zahlen für die Haarpflege übers Leben gerechnet immer noch viel mehr als ich. Dafür beneide ich sie nicht.

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