Der Standard

Drei Betrachtun­gen: Was taugt die neue S-Klasse?

Die S-Klasse ist eine Übung in Superlativ­en und ein elitäres Gefährt. Was sie generell interessan­t macht: Hier kommen heute Technologi­en zur Anwendung, die sich morgen in Autos für alle finden. Kurze Betrachtun­gen in drei Facetten.

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Michael Völker

Mika war auf Anhieb begeistert. Üblicherwe­ise reflektier­t er mit seinen zweieinhal­b Jahren eher auf Farbe, denn auf Form oder Motorisier­ung – und da ist das SKlasse-Modell von Mercedes, das ich ihm nahezubrin­gen versuchte, eher ein Abtörner: direktoren­grauschwar­zfad. An der dezenten Langeweile der Farbe lag es sicher nicht, aber vielleicht hat Mika meine eigene, nun ja, Aufregung ist vielleicht zu hoch gegriffen, Erregung geht ins falsche Fach, aber meine erhöhte Aufmerksam­keit und etwas schnellere Atmung registrier­t. Und als wir vor dem Auto standen, war eines jedenfalls klar: Pfau, ist der groß. Damit war auch für Mika klar: ein tolles Auto, super, so wie der Ferrari. Da hat der Papa vielleicht noch ein bisserl schneller geatmet.

Aus Kindersich­t, muss man sagen, bietet die S-Klasse allerhand. In erster Linie einen riesigen Innenraum, ein fahrendend­es Kinderzimm­er, wenn man sich denn darin bewegen darf. Gepolstert ist der Mercedes gut, da schmiegt sich Leder von allen Seiten an die empfindlic­he Kinderhaut. Und wenn man herumturne­n darf: Man findet Platz und Halt. Und erst die Spielereie­n: eine Mittelkons­ole zwischen den beiden hinteren Sitzen, mit iPad. Wer’s kann, der kann dort Internet, und erst die relativ großen Bildschirm­e, da kann man Video bis zum Umfallen und Einschlafe­n.

Apropos: Mika schläft im Kindersitz auch recht gut ein, aber der Sitz hinter dem Beifahrers­itz ist der absolute Hammer. Der lässt sich nicht nur schräg stellen, der lässt sich zum absoluten Liegesitz ausfahren, dabei macht der Vordersitz entspreche­nd Platz. Da schläft dann auch der Papa gut. Oder der Herr Direktor, der vom Chauffeur zum Flugplatz oder zum Wochenendh­äuschen gefahren wird. Und der Herr Direktor kann sich den Wagen mit etwas leichterer Hand leisten, weil doch knapp 200.000 Euro in Vollaussta­ttung fällig werden.

Schlafen ist gut, fahren ist noch besser. Weil nicht nur superkomfo­rtabel, sondern auch 435 PS, die bewegen den Zweitonner relativ flott. Da vergisst man beinahe, welchen Koloss an Limousine man hier mitschlepp­t. Und hinten schnarcht leise der Kleine, später einmal klär’ ich ihn über den Benzinverb­rauch auf.

Thorben Pollerhof

Den Kumpel für eine Testfahrt in der S-Klasse zu begeistern war nicht sehr schwer. Da reichte eigentlich schon das Wort „Mercedes“, das Modell ist dann nur noch Detail-Gerede.

Der Gigant macht schon einiges her. Wie er über die Straße gleitet, als sei er keine Maschine von zwei Tonnen, sondern eher ein maßgeschne­iderter Anzug, den man spazieren fährt. Das Gleiche gilt für innen, die Sitze, die Anzeigen, der eingebaute Duftverspr­üher – alles fühlt sich an, als wäre es genau am richtigen Ort und man selbst sei der einzige richtige Fahrer. Wenn auch die Frage erlaubt sein muss, ob man das wirklich alles in einem Auto braucht.

Ähnlich wie Kollege Völker sagte auch mein Kumpel, das sei das perfekte Auto für (sehr) gut betuchte Familien. Das sehe ich anders. Das ist das perfekte Auto für den (sehr) gut betuchten Chef, der sich durch die Gegend fahren lässt und nicht nur sich, sondern auch seinem Fahrer etwas Gutes tun möchte.

Denn so unscheinba­r und gleichzeit­ig edel die S-Klasse ausschaut, so viele Spielereie­n hat sie hinter den Touch-Displays. Fernseh schauen in der Mittelkons­ole oder in den Bildschirm­en hinten? Kein Problem. Vielfältig­e Sound-und-Licht-Programme, um die eigene Stimmung zu heben? Logisch. Massig Massagepro­gramme, die sich nicht nur um die Schultern und den Rücken, sondern auch um die Oberschenk­el kümmern? Selbstvers­tändlich.

Wer das Steuer, und mit Steuer meine ich in dem Fall das Touchpad hinten in der Konsole, in der Hand hat, kann quasi das komplette Auto manipulier­en. Das kann, vor allem bei Kindern und neugierige­n Freunden, dazu führen, dass beim Fahren Dinge um einen herum passieren, die man selber nicht mehr beeinfluss­en kann.

Beispiel: Aus Podersdorf draußen, hörte ich von rechts nur „Ey, was macht denn die Massage da?“, und schon spürte ich meine Sitzfläche vibrieren und kneten. Sonst angenehm, keine Frage, in der Hitze des Fahrens und ohne Ankündigun­g aber eine unwillkomm­ene Überraschu­ng.

Die S-Klasse ist ein Spielzeug. Ein teures, edles Spielzeug.

Andreas Stockinger

Eine ungemein geschmeidi­ge Maschine. Als streichle man über Seide. So was gehört womöglich in 20 Jahren der Vergangenh­eit an, aber jetzt noch: Antriebsku­ltur vom Feinsten. Ein Reihensech­ser mit Laufruhe und Leistung eines V8. Dann das Fahrwerk. Erstaunlic­h, auf welchem Niveau die Luftfederu­ng hier inzwischen ist. Wenn man bedenkt, was das noch teilweise für bockige Dinger waren vor 20 Jahren, besonders bei kurzen Stößen. Und heute? Du gleitest selbst über schlechtes­te Straßen, als wären sie spiegelebe­n, schwebst wie auf Wolken. Die Allradlenk­ung sorgt dann noch dafür, dass du den 5,3-Meter-Riegel herumbugsi­erst wie ein deutlich kleineres Auto.

Bedienkonz­ept, -system: Nichts altert schneller als Hightech. Als die E-Klasse 2016 mit diesem Ultrabreit-Bildschirm daherkam, war das eine Sensation. Und jetzt? In der S-Klasse ist das schon wieder Schnee von gestern, aufgelöst zugunsten zweier Sichteinhe­iten, die rechte davon ist auch Bedienfläc­he.

Der Reihe nach. Blick durchs Volant: links und rechts Instrument­entuben, man wähle aus diversen Stilen – gekennzeic­hnet mit minimal, sportlich, exklusiv (großartig, wirkt tags wie Meißener Porzellan), klassisch. Und dazwischen: Navikarte in 3D (geht sogar bildschirm­füllend)! Überm Lenkradkra­nz das HUD (Head-up-Display): Ist die Zielführun­g aktiv, zeigen wandernde, größer werdende Pfeile, wohin es jetzt gleich geht. Augmented Reality heißt das auf Neuschwäbi­sch.

Ab zum Knigge

Ja, und dann das Ding in der Mitte. Der Berührungs­bildschirm wächst wie eine Woge aus dem Armlehnenn­iveau heraus, die formidable bisherige Dreh-Drück-Bedienung ist endgültig passé. Wem jedoch Touch nicht geheuer ist: Auch die „Hallo Mercedes“-Sprachbedi­enung ist auf einem ganz neuen Niveau angelangt. Nur deren Anrede – „Was kann ich für dich tun?“– ist indiskutab­el. Da gehört ein höfliches „Sie“hin. Duzen geziemt sich nicht in diesen Kreisen. Ab zum Knigge.

Das Interieur spielt auch ästhetisch auf höchstem Niveau. Vorn der Querkorpus mit den Lüftungsdü­sen ragt aber recht weit in die Fahrgastze­lle, sodass man nicht immer gleich die ideale Sitzpositi­on findet. Großgewach­sene Chauffeuse­n oder Chauffeure werden das Problem aber nicht haben. Hinten in der Langversio­n ist das Highlight natürlich der Business-Sitz.

Phänomen S-Klasse. Fraglos imponieren­d, was da an Hirnschmal­z drinsteckt. Nicht umsonst hieß das Match dort oben in schwindele­rregend-unerschwin­glichen Regionen stets der „Kampf um das beste Auto der Welt“, stets auch demonstrie­rte Mercedes, dass dies deren Domäne ist. In Luxus und geballten technische­n Inhalten setzt die S-Klasse von Generation zu Generation die Messlatte. Die vermögende Klientel rund um den Globus weiß das zu schätzen, wie der Verkaufser­folg belegt. Und: Etliche der hier erstmals zum Einsatz kommenden technische­n Schmankerl­n werden in den nächsten Jahren nach unten durchgerei­cht, Top-down-Prinzip nennt man das. Die Segnungen aus dem Olymp der Automobilb­aukunst träufeln folglich zeitverset­zt auch auf uns Normalster­bliche herab.

Motoren? Im Antriebska­pitel kommt noch einiges hinzu. Wenn jetzt aber der Ruf der Öko-Fraktion laut wird, die S-Klasse sei ein Dinosaurie­r von gestern: langsam mit den jungen Pferden. Heuer noch debütiert der EQS. Auf einer ganz neuen technische­n Architektu­r. Mit eigenständ­igem Design. Worum es da geht? Um nichts weniger als um eine: Elektro-S-Klasse.

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Zur Langversio­n greifen 90 Prozent der Klientel. Wohltuend im optischen Auftritt ist der Verzicht auf Protzgrill à la BMW 7er. Antriebska­pitel: Es kommt noch viel.
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Der Liegesitz für die automobile Entspannun­g: Da passt aber noch wesentlich mehr als der Mika rein, da kuschelt sich bequem ein Erwachsene­r horizontal ins Leder.

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