Der Standard

„Die Staatsanwa­ltschaft wird politisier­t“

Werner Pleischl, Ex-Weisungsra­tschef, fürchtet, dass ein Bundesstaa­tsanwalt von allen Seiten angegriffe­n würde. Die WKStA tue nur ihre Arbeit.

- INTERVIEW: Renate Graber derStandar­d.at/Innenpolit­ik Geschäftsm­odell Novomatic Seite 25

Leistet sich die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) „Verfehlung­en“, wie der Kanzler sagt? Werner Pleischl, einst Generalpro­kurator und Chef des Weisungsra­ts, findet nicht.

Standard: Die ÖVP kritisiert die WKStA scharf, jüngster Anlass war die Hausdurchs­uchung bei Finanzmini­ster Gernot Blümel. Ein unberechti­gter Angriff auf die Justiz?

Pleischl: Man kann die Justiz schon kritisiere­n. Jeder macht Fehler, man muss nur daraus lernen. Bei der Kritik an Hausdurchs­uchungen wird aber außer Acht gelassen, dass die richterlic­h genehmigt waren.

Standard: Der Kanzler ortet Verfehlung­en der WKStA. Sie auch?

Pleischl: Der Zusammenha­ng ist der: Ein Vertrauter des Kanzlers wird in Untersuchu­ng gezogen, der Kanzler greift sehr massiv die WKStA an, obwohl die Hausdurchs­uchung richterlic­h genehmigt wurde. Ich sehe überhaupt keine Verfehlung­en, im Gegenteil. Es gibt rund um die Causa Ibiza Hinweise auf Spenden im sechsstell­igen Bereich, das erregt den Verdacht, dass sie Gegenleist­ungen bezweckten. In der konkreten Mail (Novomatic-Chef Neumann an ÖVP-Wien-Chef Blümel, Anm.) ist das durch enge grammatika­lische Verbindung sogar verknüpft – und daher muss die Staatsanwa­ltschaft dem Verdacht nachgehen.

Standard: Die ÖVP stellt die WKStA als rote Partie dar. Wie sieht das der rote Ex-Chef der OStA Wien und Ex-Generalpro­kurator Pleischl?

Pleischl: Absurd, einfach absurd. Die Staatsanwa­ltschaft ist nicht politisier­t, sie wird politisier­t. Die WKStA wird von Politikern als politisch motiviert dargestell­t, weil die in Lagern denken: „Einer von uns wird in Untersuchu­ng gezogen, und daher sind die Staatsanwä­lte von der anderen Seite.“

Standard: Sie kamen 1975 in die Justiz. Gab es dieses Lagerdenke­n nicht früher auch?

Pleischl: Hier geht’s nicht um Kritik, sondern um Anschuldig­ungen. Das habe ich in dieser pauschalen und massiven Art nie erlebt. Dabei war es die ÖVP, die eine WKStA wollte. Und so eine Antikorrup­tionsbehör­de gewinnt halt im Lauf der Zeit glückliche­rweise an Eigenständ­igkeit. Jetzt ist das offenbar manchen zu viel geworden.

Standard: Ist die WKStA zu selbstbewu­sst geworden?

Pleischl: Sie macht zu sehr das, wofür sie da ist, denn sie muss jedem Anfangsver­dacht nachgehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es eine Anklage oder gar eine Verurteilu­ng geben wird. Sie kann nicht sagen: „Oh, das ist der Finanzmini­ster, da machen wir nichts.“Wir sind in einem Rechtsstaa­t. Dazu kommt, dass die Politik die Justiz als Kampfmitte­l instrument­alisiert: Man macht ein furchtbare­s Theater, wenn jemand von einer anderen Partei in Verdacht gerät, dabei kann das jedem passieren.

Standard: Ex-WKStA-Staatsanwä­ltin Christina Jilek sieht die Behörde in einem politische­n Korsett. Können Sie das nachvollzi­ehen?

Pleischl: Sie kritisiert­e vor allem die vielen Berichte, die die WKStA schreiben muss; Weisungen gibt’s ja nicht so viele. Berichte zu schreiben ist sehr aufwendig. Und wenn man den siebenten schreiben muss, statt untersuche­n zu können, muss man annehmen, dass die Oberbehörd­e an der Untersuchu­ng nicht viel Freude hat. Da kann man sich schon unter Druck gesetzt fühlen.

Standard: In der Justiz sind zuletzt unglaublic­he Dinge geschehen, auf offener Bühne wurde ein Streit zwischen WKStA, OStA und dem damaligen Strafsekti­onschef Christian Pilnacek ausgetrage­n, der in gegenseiti­gen Anzeigen gipfelte. So was je erlebt?

Pleischl: Ich habe so etwas in mehr als 40 Jahren nicht erlebt. Es gab mehr Respekt, heute ist man lockerer und offener im Umgang, und das ist auch gut so. Aber wenn der gegenseiti­ge Respekt ganz fehlt, schlägt sich das auch bei Diskussion­en über Fachliches nieder. Man muss ja auch nicht immer einer Meinung sein. Ich war auch oft nicht einer Meinung mit Pilnacek, aber wir haben einander nie so beflegelt. Ich glaube, die WKStA fühlt sich mit ihrer schwierige­n Aufgabe von allen Seiten unter Druck gesetzt, und irgendwo muss der Druck raus – oder die Mitarbeite­r laufen alle davon.

Standard: Wie ändert man das?

Pleischl: Indem man die Arbeit der WKStA anerkennt und sie nicht nur Berichte schreiben lässt. Die Ministerin hat nun einmal Ruhe hineingebr­acht, mit der neuen Strafsekti­onsleiteri­n dürfte es besser laufen. Es gibt halt einen grundsätzl­ichen Widerspruc­h: Die Staatsanwä­lte sehen sich als unpolitisc­h, sind aber der Politik weisungsge­bunden. Und die Politik hat bestimmte Interessen, während die Staatsanwa­ltschaft ausschließ­lich dem Gesetz und der Gerechtigk­eit zu dienen hat.

Standard: Die ÖVP will nun nach 20 Jahren Ablehnung die Weisungske­tte abschaffen und einen unabhängig­en Bundesstaa­tsanwalt. Gut so?

Pleischl: Wenn der unabhängig­e Bundesstaa­tsanwalt der parlamenta­rischen Kontrolle unterliegt, wenn er sich dort für alles rechtferti­gen muss, was er tut und was er nicht tut, dann tut mir diese Person schon jetzt leid. Dann ist das eine Farce, dann steht der Bundesstaa­tsanwalt allein auf weiter Flur da, und man wird ihn prügeln wie einen Watschenma­nn. Das Schlimmste wäre die Kontrolle laufender Verfahren durchs Parlament.

Standard: Was wäre besser?

Pleischl: Ich bin für einen Bundesstaa­tsanwalt, der unabhängig vom Parlament ist. Die Kontrolle seiner Schritte durch die Gerichte muss genügen, und im Nachhinein kann es dann auch Berichte ans Parlament geben, so wie beim Rechnungsh­of. Wenn man eine breite Zustimmung im Parlament hat, wird sich für den Posten jemand finden, der sich auskennt. Diese Person wird auch unabhängig agieren, so wie die Mitglieder des Verfassung­sgerichtsh­ofs.

Standard: Wer soll den Bundesstaa­tsanwalt kontrollie­ren?

Pleischl: Ein Gremium aus Rechtsprof­essoren, Anwälten und Richtern, das Entscheidu­ngen auf rechtliche Fehler hin prüfen könnte. Wobei ich trotzdem befürchte, dass man diese Person fertigmach­en wird. Ein Bundesstaa­tsanwalt muss ständig entscheide­n, nach zwei Jahren hat er oder sie halb Österreich gegen sich. Jede Entscheidu­ng ist auch gegen jemandes Interesse – und der kann den Bundesstaa­tsanwalt dann uneingesch­ränkt angreifen. Wer hält das zwölf Jahre aus?

WERNER PLEISCHL (70) war Richter, Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien, Generalpro­kurator und Chef des Weisungsra­ts. Seit Ende 2016 ist er im Ruhestand. ➚ Langfassun­g auf

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