„Die Staatsanwaltschaft wird politisiert“
Werner Pleischl, Ex-Weisungsratschef, fürchtet, dass ein Bundesstaatsanwalt von allen Seiten angegriffen würde. Die WKStA tue nur ihre Arbeit.
Leistet sich die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) „Verfehlungen“, wie der Kanzler sagt? Werner Pleischl, einst Generalprokurator und Chef des Weisungsrats, findet nicht.
Standard: Die ÖVP kritisiert die WKStA scharf, jüngster Anlass war die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel. Ein unberechtigter Angriff auf die Justiz?
Pleischl: Man kann die Justiz schon kritisieren. Jeder macht Fehler, man muss nur daraus lernen. Bei der Kritik an Hausdurchsuchungen wird aber außer Acht gelassen, dass die richterlich genehmigt waren.
Standard: Der Kanzler ortet Verfehlungen der WKStA. Sie auch?
Pleischl: Der Zusammenhang ist der: Ein Vertrauter des Kanzlers wird in Untersuchung gezogen, der Kanzler greift sehr massiv die WKStA an, obwohl die Hausdurchsuchung richterlich genehmigt wurde. Ich sehe überhaupt keine Verfehlungen, im Gegenteil. Es gibt rund um die Causa Ibiza Hinweise auf Spenden im sechsstelligen Bereich, das erregt den Verdacht, dass sie Gegenleistungen bezweckten. In der konkreten Mail (Novomatic-Chef Neumann an ÖVP-Wien-Chef Blümel, Anm.) ist das durch enge grammatikalische Verbindung sogar verknüpft – und daher muss die Staatsanwaltschaft dem Verdacht nachgehen.
Standard: Die ÖVP stellt die WKStA als rote Partie dar. Wie sieht das der rote Ex-Chef der OStA Wien und Ex-Generalprokurator Pleischl?
Pleischl: Absurd, einfach absurd. Die Staatsanwaltschaft ist nicht politisiert, sie wird politisiert. Die WKStA wird von Politikern als politisch motiviert dargestellt, weil die in Lagern denken: „Einer von uns wird in Untersuchung gezogen, und daher sind die Staatsanwälte von der anderen Seite.“
Standard: Sie kamen 1975 in die Justiz. Gab es dieses Lagerdenken nicht früher auch?
Pleischl: Hier geht’s nicht um Kritik, sondern um Anschuldigungen. Das habe ich in dieser pauschalen und massiven Art nie erlebt. Dabei war es die ÖVP, die eine WKStA wollte. Und so eine Antikorruptionsbehörde gewinnt halt im Lauf der Zeit glücklicherweise an Eigenständigkeit. Jetzt ist das offenbar manchen zu viel geworden.
Standard: Ist die WKStA zu selbstbewusst geworden?
Pleischl: Sie macht zu sehr das, wofür sie da ist, denn sie muss jedem Anfangsverdacht nachgehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es eine Anklage oder gar eine Verurteilung geben wird. Sie kann nicht sagen: „Oh, das ist der Finanzminister, da machen wir nichts.“Wir sind in einem Rechtsstaat. Dazu kommt, dass die Politik die Justiz als Kampfmittel instrumentalisiert: Man macht ein furchtbares Theater, wenn jemand von einer anderen Partei in Verdacht gerät, dabei kann das jedem passieren.
Standard: Ex-WKStA-Staatsanwältin Christina Jilek sieht die Behörde in einem politischen Korsett. Können Sie das nachvollziehen?
Pleischl: Sie kritisierte vor allem die vielen Berichte, die die WKStA schreiben muss; Weisungen gibt’s ja nicht so viele. Berichte zu schreiben ist sehr aufwendig. Und wenn man den siebenten schreiben muss, statt untersuchen zu können, muss man annehmen, dass die Oberbehörde an der Untersuchung nicht viel Freude hat. Da kann man sich schon unter Druck gesetzt fühlen.
Standard: In der Justiz sind zuletzt unglaubliche Dinge geschehen, auf offener Bühne wurde ein Streit zwischen WKStA, OStA und dem damaligen Strafsektionschef Christian Pilnacek ausgetragen, der in gegenseitigen Anzeigen gipfelte. So was je erlebt?
Pleischl: Ich habe so etwas in mehr als 40 Jahren nicht erlebt. Es gab mehr Respekt, heute ist man lockerer und offener im Umgang, und das ist auch gut so. Aber wenn der gegenseitige Respekt ganz fehlt, schlägt sich das auch bei Diskussionen über Fachliches nieder. Man muss ja auch nicht immer einer Meinung sein. Ich war auch oft nicht einer Meinung mit Pilnacek, aber wir haben einander nie so beflegelt. Ich glaube, die WKStA fühlt sich mit ihrer schwierigen Aufgabe von allen Seiten unter Druck gesetzt, und irgendwo muss der Druck raus – oder die Mitarbeiter laufen alle davon.
Standard: Wie ändert man das?
Pleischl: Indem man die Arbeit der WKStA anerkennt und sie nicht nur Berichte schreiben lässt. Die Ministerin hat nun einmal Ruhe hineingebracht, mit der neuen Strafsektionsleiterin dürfte es besser laufen. Es gibt halt einen grundsätzlichen Widerspruch: Die Staatsanwälte sehen sich als unpolitisch, sind aber der Politik weisungsgebunden. Und die Politik hat bestimmte Interessen, während die Staatsanwaltschaft ausschließlich dem Gesetz und der Gerechtigkeit zu dienen hat.
Standard: Die ÖVP will nun nach 20 Jahren Ablehnung die Weisungskette abschaffen und einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt. Gut so?
Pleischl: Wenn der unabhängige Bundesstaatsanwalt der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, wenn er sich dort für alles rechtfertigen muss, was er tut und was er nicht tut, dann tut mir diese Person schon jetzt leid. Dann ist das eine Farce, dann steht der Bundesstaatsanwalt allein auf weiter Flur da, und man wird ihn prügeln wie einen Watschenmann. Das Schlimmste wäre die Kontrolle laufender Verfahren durchs Parlament.
Standard: Was wäre besser?
Pleischl: Ich bin für einen Bundesstaatsanwalt, der unabhängig vom Parlament ist. Die Kontrolle seiner Schritte durch die Gerichte muss genügen, und im Nachhinein kann es dann auch Berichte ans Parlament geben, so wie beim Rechnungshof. Wenn man eine breite Zustimmung im Parlament hat, wird sich für den Posten jemand finden, der sich auskennt. Diese Person wird auch unabhängig agieren, so wie die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs.
Standard: Wer soll den Bundesstaatsanwalt kontrollieren?
Pleischl: Ein Gremium aus Rechtsprofessoren, Anwälten und Richtern, das Entscheidungen auf rechtliche Fehler hin prüfen könnte. Wobei ich trotzdem befürchte, dass man diese Person fertigmachen wird. Ein Bundesstaatsanwalt muss ständig entscheiden, nach zwei Jahren hat er oder sie halb Österreich gegen sich. Jede Entscheidung ist auch gegen jemandes Interesse – und der kann den Bundesstaatsanwalt dann uneingeschränkt angreifen. Wer hält das zwölf Jahre aus?
WERNER PLEISCHL (70) war Richter, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Generalprokurator und Chef des Weisungsrats. Seit Ende 2016 ist er im Ruhestand. ➚ Langfassung auf