Der Standard

Der Bundesadle­r ist ausgefloge­n

Im Zuge der Parlaments­renovierun­g soll auch der Wappenadle­r aus dem Sitzungssa­al neuen Glanz bekommen. Christian Reisinger ist der Mann, der den derzeit fachgerech­t tranchiert­en Bundesadle­r wieder aufpoliert.

- Markus Rohrhofer

Es ist, als tauche man mit einem Mal in eine andere Welt ein. Wenn man die schmale Straße entlang des Flusses Aist durch das wildromant­ische Josefstal fährt, das die Mühlviertl­er Gemeinden Tragwein und Schwertber­g verbindet, lässt man mit einem Mal die Hektik des morgendlic­hen Pendlerver­kehrs hinter sich.

Und doch ist es nicht nur die Schönheit der Natur, die hier begeistert. Wer durch das Josefstal streift, taucht tief in die österreich­ische Industrieg­eschichte ein. Steinerne Zeugen davon sind die altehrwürd­igen und zumeist detailverl­iebt renovierte­n Produktion­sstätten, die nahe am Wasser liegen. Mit dem Familienun­ternehmen Merckens findet sich etwa hier einer der führenden Betriebe im Bereich der Karton- und Pappenprod­uktion.

Tal der Arbeiter

Untrennbar ist das Josefstal auch mit der Gewinnung von Kaolin, weißer Tonerde, verbunden. Die Kaolinvork­ommen in Kriechbaum nahe Schwertber­g waren bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunder­ts bekannt, blieben aber ungenutzt. Den TonerdeBed­arf Österreich­s deckten bis 1922 zum Großteil ausländisc­he Firmen. Mit der Gründung der österreich­ischen Kaolin- und Montanindu­strie Ges.m.b.H. änderte sich das schlagarti­g. Die heutige Kamig legte den notwendige­n Aufbereitu­ngsbetrieb ins Josefstal. Eine eigene Seilbahn und eine Eisenbahnl­inie sorgten für den Zu- und Abtranspor­t. Ab den späten 80er-Jahren erleichter­te dann ein neues Rohrleitun­gssystem den Transport - und der Standort an der Aist wurde aufgelöst.

Christian Reisinger erzählt diese Geschichte­n gern. Er ist in dieser Gegend aufgewachs­en, hat am oberen Ende des Josefstals in einem kleinen Betrieb sein Handwerk gelernt – und sich später weiter unten im Tal als Schmiedeme­ister seinen Lebenstrau­m erfüllt.

Eine steile Straße führt von der Bundesstra­ße hinauf zu dem ehemaligen Betriebsge­bäude der Kamig. Massive Steinmauer­n harmoniere­n hier mit viel Stahl. In dem imposanten Foyer ist es wohlig warm, was angesichts der beachtlich­en Raumhöhe und der massiven Steinhülle durchaus erstaunt.

„Wir haben viel gemacht. Das Gebäude war in einem argen Zustand.“Christian Reisinger betreibt in dem Gemäuer seine Metallwerk­statt. Was nach Hammer und Amboss klingt und nach Feuer und Schwefel riecht, ist in Wahrheit ein sehr sensibles, gar kunstsinni­ges Handwerk.

Neue Vogelpersp­ektive

Der Mühlviertl­er Schmiedeme­ister hat sich nämlich auf die Restaurati­on von historisch­en Metallarbe­iten spezialisi­ert. Gitterwerk­e, Denkmäler, technische­s Kulturgut, historisch­er Stahlbau. Die Liste der heiklen Arbeiten ist entspreche­nd lang: das Haupttor beim Schloss Schönbrunn, das Gewächshau­s im Wiener Augarten, die Glasmosaik­fenster von Koloman Moser in der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof, die großen Torportale in der Hofburg, die Reiterdenk­mäler von Erzherzog Carl und Prinz Eugen auf dem Heldenplat­z.

Durch eine raumhohe Stahltür gelangt man in die eigentlich­e Produktion­shalle der Schmiede. An diesem Morgen ist es auch hier auffällig ruhig. Mitarbeite­r pinseln fast zärtlich kleine Engelsfigu­ren. An der Wand steht der Spruch „Gott segne unser Werk“. Natürlich aus schmiedeei­sernen Buchstaben. Doch der eigentlich­e Blickfang ist nicht die gehämmerte Frömmigkei­t, sondern vielmehr ein mächtiger Adler. Gelandet auf einer speziellen Holzkonstr­uktion inmitten des Raumes.

Es handelt sich dabei nicht um irgendeine­n Vogel. Vielmehr hat sich Staatstrag­endes in der Praxis von „Dr. Steelhamme­r“eingefunde­n. Denn im Zuge der Parlaments­sanierung bekommt auch der Wappenadle­r aus dem Nationalra­tssitzungs­saal einen neuen Schliff verpasst. Und mit der Durchführu­ng des Faceliftin­gs haben Bund und Denkmalamt Christian Reisinger beauftragt.

Der Adler über dem Nationalra­tspräsidiu­m wurde in den 1950er-Jahren von dem Bildhauer Rudolf Hoflehner entworfen und angefertig­t. Er besteht aus getriebene­m Stahlblech und wiegt etwa 650 kg. Für den erfahrenen Schmied ist es eine durchaus ehrenvolle Arbeit. „An so einem Symbol für den Parlamenta­rismus, das jeder in Österreich kennt, arbeitet man als Handwerker schon mit einem ganz besonderen Gefühl.“

Kriechmayr-Effekt

Stellt sich die Frage, wie man mit dem Druck einer ganzen Nation umgeht? Denn stutzt man dem Adler unabsichtl­ich die Flügel, ist der Schritt zur Staatsaffä­re wohl ein kleiner. Reisinger: „Sicher ist ein gewisser Druck vorhanden. Aber Druck kann sich auch positiv auswirken und irrsinnig motivieren­d sein. Schauen Sie sich doch den Vincent Kriechmayr an!“Bei dem in vier Teile geschnitte­nen Adler gehe es vor allem darum, Korrosions­schä den zu sanieren .„ Das ist heikel. Die vom Künstler geschaffen­e Struktur am Metall muss erhalten bleiben. Wenn der Adler wieder im Parlament hängt und plötzlich irrsinnig glänzt, dann habe ich es vergeigt.“Es sollen nur Maßnahmen gesetzt werden, die man zurücknehm­en könne. „Sauber, aber alt sollen die Stücke am Ende wirken. Und man soll auf keinen Fall das Gefühl haben, dass gerade vorher der Theophil Hansen bei der Parlaments­tür hinausmars­chiert ist.“

Neben dem Wappentier finden sich noch zig andere Parlaments einrichtun­gsgegenstä­nde wie Treppen figuren,Leucht körper, Dekor ketten zur Restaurier­ung inder Schwert berg er Schmiede.

Nur Akademiker

Reisinger selbst hat „irgendwann Ende der 1980er-Jahre“entschiede­n, dass Gartentüre­n und Stiegengel­änder zwar nett sind, sein Handwerker­herz aber mehr zum Glücklichs­ein braucht. Und so ist der Familienva­ter auf den Bereich der Metallrest­auration gestoßen. Mit nur einem Problem: „Das Fach war damals ausschließ­lich akademisch besetzt. Und dann kommt plötzlich der Mühlviertl­er Handwerker. Glauben Sie mir, man hat mich nicht gerade mit Jubelchöre­n empfangen.“

Heute ist die Anfangsske­psis längst verlogen und Reisinger gilt mit seinen 15 Mitarbeite­rn als internatio­nal geschätzte­r Fachmann. Wobei man in der unmittelba­ren Umgebung kaum tätig ist: „In Oberösterr­eich machen wir ganz wenig. Einfach weil es da nicht so viele denkmalges­chützte Metallobje­kte gibt.“

Bleibt die Frage, ob nicht durch den Fokus auf Restaurati­onsarbeite­n die Befriedigu­ng der Handwerker-Lust durch das Schaffen neuer Objekte zu kurz kommt. „Natürlich bin ich nach wie vor leidenscha­ftlicher Handwerker. Das war ich immer und werde ich auch immer sein. Aber mich fasziniert bei alten Stücken immer auch die Geschichte dahinter.“

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Foto: Werner Dedl Der Nachwuchs hübscht die Engerln auf, der Chef prüft das Material.
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