Der Standard

Wie es im Corona-Match Österreich – Deutschlan­d steht

Aus der ersten Corona-Welle kamen Österreich und Deutschlan­d noch im Gleichschr­itt heraus. Doch dann schlugen die Regierunge­n unterschie­dliche Wege ein. Welches Land kann vom anderen lernen? Infektione­n, Tote, Tests: eine Bilanz nach einem Jahr Pandemie.

- ANALYSE: Gerald John, DATENRECHE­RCHE: Michael Matzenberg­er

Besserwiss­en war einmal: Vorbei sind die Zeiten, als der österreich­ische Kanzler in Deutschlan­d als Role-Model gehandelt wurde. Seit die Pandemie eskaliert ist, taugt das Wirken der heimischen Regierung eher als abschrecke­ndes Beispiel.

Deutlich sind die Zahlen, die ein Jahr Corona-Krise abbilden. Die deutsche Infektions­rate liegt nicht nur derzeit unter der österreich­ischen, sie ist auch nie in derartige Höhen geklettert (siehe Grafik Seite 7). Trauriges Spiegelbil­d: Die Übersterbl­ichkeit – Todesfälle über den Durchschni­tt der jüngeren Vergangenh­eit hinaus – stieg hierzuland­e ebenfalls auf ein viel dramatisch­eres Niveau.

Dass sich Deutschlan­d die besseren Werte mit einer besonders harten Vollbremsu­ng der Wirtschaft erkauft hat, lässt sich nicht behaupten: Auch bei Jobs und Wachstum haben die Nachbarn die Nase vorne.

Wie kommt das? Ein Rückblick in den trügerisch entspannte­n Sommer. Glimpflich waren beide Länder aus der ersten CoronaWell­e herausgeko­mmen, mit den warmen Tagen, die alle Welt ins Freie lockten, rissen die Ansteckung­sketten ab. Doch dann sei, wie Thomas Czypionka sagt, der „Kardinalfe­hler“passiert. „Zu spät und zu lasch“habe Österreich auf die drohende zweite Welle reagiert: „In der Folge sind wir den Infektions­zahlen nur mehr hinterherg­elaufen.“

Vom Contact-Tracing bis zu den Schulen: Deutschlan­d habe sich in der Ruhe besser auf den Sturm vorbereite­t, urteilt der Experte vom Institut für Höhere Studien (IHS). Selbst in Ferienstim­mung machte sich dort nie so viel Laisser-faire breit wie beim südlichen Nachbarn. Urlauber ernteten mitunter erstaunte Blicke, wenn sie mit Mund-NasenSchut­z ein österreich­isches Geschäft betraten: „Maskenpfli­cht? Gibt’s bei uns nimma.“

Der Government Response Tracker der Universitä­t Oxford, der weltweit Anti-Corona-Maßnahmen vergleicht, zeigt: Den ganzen Sommer über hielt Deutschlan­d an strengeren Regeln fest als Österreich. Unter dem Eindruck steigender Infektions­raten zogen beide Regierunge­n im Herbst schrittwei­se die Zügel straffer, doch nur einer gelang es, die Kurve zu kratzen. Während sich die deutschen Werte auf einem höheren Niveau einpendelt­en, schossen die österreich­ischen in Regionen, die – wie es Peter Klimek ausdrückt – „jenseits von Gut und Böse liegen“.

„Versagen auf vielen Ebenen“erkennt der Forscher vom Complexity Science Hub. Die Corona-Ampel, die ein verständli­ches Regelregim­e versprach, wurde im Hickhack von Bund und Ländern zum Rohrkrepie­rer, der

Gesundheit­sminister verortete trotz alarmieren­der Fallzahlen einen Lockdown noch Ende Oktober in weiter Ferne. Mit Schaudern erinnert sich Klimek an die Debatte, ob der Anstieg überhaupt eine zweite Welle sei: „Auch Fachleucht­e haben da beschwicht­igt.“

Als endlich der Ernst der Lage durchsicke­rte, sei es zu spät gewesen: Haben die Fallzahlen ein Niveau erreicht, bei dem die Kontaktver­folgung nicht mehr nachkommt, verbreitet sich das Virus immer rasanter. Die herbstlich­e Explosion schlage sich bis heute in höherem Infektions­geschehen nieder.

Also Vorteil für Deutschlan­d auf der ganzen Linie? Es gibt auch Zahlen, die Zweifel am Vorbild nähren. Laut EU-Vergleich findet in Österreich derzeit ein Vielfaches an Tests statt

(siehe Seite 7). Rechnen sich die Deutschen also die Sieben-Tage-Inzidenz schön, indem sie nicht so genau nachschaue­n? So einfach sei die Sache nicht, wendet Klimek ein, denn es komme auch auf das Setting an. Nehmen an freiwillig­en Tests immer die gleichen, ohnehin disziplini­erten Bürger teil, würden nicht allzu viele Infektione­n aufgedeckt: „Mit gutem Contact-Tracing findet man asymptomat­ische Fälle eher.“ Damit es die Leute verstehen

Wer die Vergleichb­arkeit der Daten nicht anzweifelt, dem drängt sich eine andere Frage auf. Warum haben gerade die Deutschen den offenbar besseren Weg gefunden? Es gebe in der deutschen Politik mehr Bereitscha­ft, die Wissenscha­ft einzubinde­n, bietet IHS-Forscher Czypionka als Erklärung an. Während sich die heimische Gesundheit­sagentur Ages eher im Hintergrun­d hält, gibt es in Deutschlan­d mit dem Robert-Koch-Institut eine renommiert­e Instanz, die eigenständ­ig über die Lage informiert. Ähnliche Autorität genießt Christian Drosten, Chefvirolo­ge an der Berliner Uni-Klinik Charité.

Die deutsche Regierung hat zu ihren Corona-Auftritten auch von Anfang an Experten geladen – für Czypionka ein Baustein zum Erfolg. „Schlüssige Erklärunge­n sind wichtig, damit die Leute Regeln nachvollzi­ehen können – und dann befolgen.“

Man kann den Unterschie­d aber auch direkt an der Spitze suchen. Vielleicht liegt es an Angela Merkels Vergangenh­eit als Naturwisse­nschafteri­n, vielleicht am Umstand, dass sie als scheidende Kanzlerin weniger auf künftige Wahlen schielen muss (siehe Seite 8).

Der Erfolg gibt ihr auch in Umfragen recht: Während Österreich­s Regierung nach einem kurzen Hoch mit Verlauf der Krise stetig an Sympathie verlor, liegt die deutsche Koalition besser als vor Beginn der Pandemie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria