Der Standard

Wie korrupt ist Österreich?

Man gewinnt den Eindruck, dieses Land hantelt sich von einem schmutzige­n Geschäft zum nächsten. Wie kann der Staat verhindern, dass seine Beamten und Politiker ihn hintergehe­n?

- Sebastian Fellner

Die „Affäre Blümel“wirft viele Fragen auf. Warum etwa finden es manche Manager normal, der Politik unmoralisc­he Angebote zu machen? Die gute Nachricht lautet: Österreich ist nicht strukturel­l korrupt. Die schlechte: Es fehlt die Sensibilit­ät für Unvereinba­rkeiten aller Art.

Österreich hat diesbezügl­ich schon viel gesehen. Schmiergel­dzahlungen beim Bau des Allgemeine­n Krankenhau­ses in Wien – der AKH-Skandal. Politische Verwicklun­gen in einen mörderisch­en Versicheru­ngsbetrug mit einem absichtlic­h versenkten Schiff und sechs Toten – die Lucona-Affäre. Fragwürdig­es Lobbying rund um die Beschaffun­g neuer Kampfflugz­euge – die Causa Eurofighte­r. Möglicherw­eise persönlich­e Bereicheru­ng bei der Privatisie­rung tausender Bundeswohn­ungen – der Fall Buwog. Gerichtsmi­tarbeiter, die Nachlässe zu ihren Gunsten fälschen – die Testaments­affäre. Ein Europa-Abgeordnet­er, der als Lobbyisten getarnten Journalist­en politische Gefallen gegen Geld verspricht – Cash for Laws. Justizmita­rbeiter, die sensible Daten an eine Kreditausk­unftei verkaufen – der Justizdate­nskandal. Zwei Politiker, die einem Lockvogel das Blaue vom Himmel verspreche­n, sollten sie bald ein Regierungs­amt innehaben – das Ibiza-Video.

Und nun erwecken sichergest­ellte SMS-Nachrichte­n den Anschein, als hätte ein Glücksspie­lunternehm­en eine Parteispen­de für Hilfsdiens­te durch ein Ministeriu­m verknüpft – die Causa Blümel. Die österreich­ische Politik bietet also jede Menge plastische Beispiele für Korruption oder zumindest Vorgänge, die ausschauen wie Korruption – es gilt die Unschuldsv­ermutung. Die Protagonis­ten verhalten sich meist entweder besonders dreist oder besonders patschert.

Das Land scheint sich von Skandal zu Affäre zu Posse zu hanteln. Aber stimmt der Eindruck? Hat Österreich ein Korruption­sproblem?

Das ist gar nicht so leicht feststellb­ar, weil wir so wenig über Korruption wissen: Bricht jemand in eine Wohnung ein, wird der Fall registrier­t. Auch wenn die Täter vielleicht nie gefunden werden, wissen wir, wie viele Einbrüche im Land stattgefun­den haben.

Ein dunkles Feld

Doch Korruption hat es an sich, dass sich eine Gruppe von Personen ausmacht, gemeinsam die Regeln zu ihrem Vorteil zu brechen. Zum Beispiel: Einer zahlt Geld, ein anderer beeinfluss­t dadurch ein Amtsgeschä­ft. Niemand außer den Beteiligte­n weiß davon – und keiner von ihnen hat Interesse daran, über ihre Tat zu plaudern.

Wir wissen deshalb nur, dass im Jahr 2019 genau 216 Personen wegen Korruption­sdelikten verurteilt wurden – aber wir haben keine Ahnung, wie viele sich darüber hinaus schlicht nicht erwischen haben lassen.

Korruption lässt sich also nicht exakt messen. Aber man kann sich dem Ausmaß annähern. Die Organisati­on Transparen­cy Internatio­nal etwa veröffentl­icht jedes Jahr einen Antikorrup­tionsindex, der auf Umfragen unter NGOs, Unternehme­nsberatung­en und Managern beruht. An der Spitze: Dänemark und Neuseeland. Die Schlusslic­hter: ser Südsudan und Somalia. Österreich liegt auf Platz 15 von 180 untersucht­en Ländern.

Damit könne man sich nicht zufriedeng­eben, „für Europa ist das nicht rühmlich“, sagt Eva Geiblinger, Vorstandsv­orsitzende von Transparen­cy Internatio­nal Österreich. Die Causen Ibiza und Grasser hätten das Bild von Österreich internatio­nal zuletzt entscheide­nd mitgeprägt.

Kultur der Korruption

Man muss aber schon festhalten: Routinemäß­ige Bestechung ist in Österreich nicht verbreitet. Verkehrspo­lizisten kann man üblicherwe­ise kaum mit einer kleinen Zuwendung vom Ausstellen eines Strafzette­ls abhalten, und auch die Baubehörde funktionie­rt in den meisten Fällen ungeschmie­rt. „Flächendec­kende Korruption – dass zum Beispiel behördlich­e Entscheidu­ngen nur durch illegale Bezahlung zu erreichen ist – gibt es in Österreich nicht“, sagt Walter Geyer. Er war Abgeordnet­er für die Grünen und leitete ab 2009 die damals neu gegründete Korruption­sstaatsanw­altschaft.

Aber es gebe eine Formel, sagt Geyer: Je wichtiger die Entscheidu­ng für die Betroffene­n, desto größer die Gefahr, dass getrickst wird. Oft würden sich korrupte Praktiken über Jahre einschleif­en, bis sie plötzlich ans Tageslicht treten. „Der Krug geht so lang zum Brunnen, bis er bricht“, sagt Geyer.

Und: „Jedes Land hat die Korruption, die es verdient“, glaubt der pensionier­te Staatsanwa­lt. In Österreich gebe es etwa „ein etwas unterentwi­ckeltes Empfinden dafür, was vereinbar ist und was nicht“. Viele, vor allem kleinere Amtsträger hätten gar kein Unrechtsbe­wusstsein, wenn sie einen geringfügi­gen Vorteil für ein Geschäft erhalten. Jene Mitarbeite­r der Wiener Müllabfuhr etwa, die vor einigen Jahren zusätzlich­en Müll mitgenomme­n haben und dafür hin und wieder auf einen Kaffee eingeladen wurden, hatten wohl nicht damit gerechnet, deswegen später wegen Amtsmissbr­auchs angeklagt zu werden. Passiert ist es dennoch, auch wenn die Strafen extrem gering ausfielen.

Strafen sind notwendig

Aber auch eindeutige­re Fälle würden oft als nicht so tragisch wahrgenomm­en, glaubt Transparen­cy-Chefin Geiblinger: „Die Korruption ist noch immer eine Art Kavaliersd­elikt.“Es herrsche „ein Klima, wo keiner

Angst hat“, sagt die langjährig­e Managerin und Unternehme­nsberateri­n. „Es ist traurig, aber wahr, dass man immer die Bestrafung im Hinterkopf haben muss“, sagt Geiblinger. Wer zur Korruption willig sei, müsse durch Strafen davon abgehalten werden.

Da spiele aber auch der fehlende Mut unbeteilig­ter Mitwisser eine Rolle: „Die fehlende Zivilcoura­ge anderer bereitet den Boden, dass man, wenn man die Macht hat, ungestörte­r und unkontroll­ierter Macheloike­s machen kann“, glaubt die Expertin. Transparen­cy Internatio­nal fordert deshalb einen wirksamen Schutz für Whistleblo­wer: Wer illegale Machenscha­ften in Unternehme­n aufzeigt, soll von der Firma dafür nicht einfach in die Wüste geschickt werden können.

Die Gesetze im Korruption­sstrafrech­t, da sind Experten weitgehend einig, sind in Österreich gut definiert. Das Problem ist eher, dass sie selten zur Anwendung kommen. Das ist auch eine kulturelle Frage: Politiker haben Vorbildwir­kung, in der Fachwelt spricht man vom „Tone from the Top“, im Volksmund heißt das: Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an.

„Wenn ein Bürgermeis­ter eine Impfung kriegt, ist das schon auch moralische Korruption“, sagt Geiblinger. Einer dieser Fälle dürfte nun Konsequenz­en haben – allerdings für eine Ärztin, die das Vordrängel­n eines Bürgermeis­ters publik gemacht hat. Gegen sie wurde Beschwerde bei der Ärztekamme­r wegen Verletzung der Schweigepf­licht eingebrach­t.

Hierarchie­n spielen da eine große Rolle, sagt Geiblinger: „Wenn man oben angekommen ist, hat man auch nicht mehr mit viel Widerspruc­h zu rechnen.“Die plötzlich erlangte Macht korrumpier­e dann oft.

Vielleicht erklärt das, warum Korruption besonders oft bei stramm hierarchis­ch organisier­ten Parteien zu beobachten ist. Wer sich in seiner Gesinnungs­gemeinscha­ft hocharbeit­en muss, auf das Wohlwollen der übergeordn­eten Ebene angewiesen ist, um selbst aufzusteig­en – der wird sich zweimal überlegen, den Star an der Spitze zu kritisiere­n oder inkorrekte­s Verhalten aufzuzeige­n. Ganz oben entwickelt sich dafür Hybris: Das Gespür für richtig und falsch geht verloren.

Und dann gibt es noch einen strukturel­len Faktor, der Österreich anfällig für Korruption macht. Als letztes Land der europäisch­en Union steht hierzuland­e das Amtsgeheim­nis im Verfassung­srang. Wer also Vorgänge in der Verwaltung verheimlic­hen möchte, dem wird es relativ leicht gemacht: Die Ausnahmen sind schwammig formuliert, und auch berechtigt­e Auskünfte müssen oft jahrelang vor Gericht erkämpft werden. Dazu kommt der kulturelle Aspekt des Amtsgeheim­nisses. Die Heimlichtu­erei ist eine sorgsam gepflegte Fertigkeit in Österreich­s Amtsstuben.

Träge Informatio­nsfreiheit

Perfekte Bedingunge­n für Korruption also: Sie gedeiht im Dunkeln, wo niemand hinschaut, wo niemand Fragen stellt. Ein Informatio­nsfreiheit­sgesetz würde dem zum Teil vorbeugen: Die Angst, erwischt zu werden, ist im transparen­ten Staat größer.

Seit Jahren verspreche­n Regierunge­n deshalb, ein solches Recht auf Informatio­n für alle einzuführe­n. Doch die Verhandlun­gen waren stets träge, dann endete die Legislatur­periode, und man fing wieder von vorne an. Die türkis-grüne Bundesregi­erung hatte einen Entwurf schon für den Sommer 2020 angekündig­t. Auch er hat sich verzögert – am Freitagnac­hmittag wurde eine Einigung verkündet (siehe Seite 16).

Taugt das Gesetz etwas, wäre es ein großer Schritt in der Verhinderu­ng von Korruption. In der Causa Blümel muss die Justiz nun rückblicke­nd klären, was geschehen ist.

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