Der Standard

Bahntunnel­bau außer Takt

Die Probleme bei Bahntunnel­n häufen sich. Nach dem Brenner Basistunne­l geriet sein Pendant am Semmering aufgrund geologisch­er Bauproblem­e außer Plan. Mehrkosten in Milliarden­höhe rollen auf den Steuerzahl­er zu.

- Luise Ungerboeck

Nach dem Brenner Basistunne­l im Oktober wankt nun auch der Zeitplan für den Semmering-Basistunne­l. Bei den zwei im Endausbau 27 Kilometer langen Röhren von Niederöste­rreich in die Steiermark gab es in den vergangene­n drei Jahren Wasser- und Gesteinsei­nbrüche quasi am laufenden Band, die unter anderem zur Flutung der Röhre führten. Tausende Hektoliter Wasser mussten aus dem unterirdis­chen Bauwerk herausgepu­mpt werden.

Den Rest erledigten steckengeb­liebene Tunnelbohr­maschinen, die ausgegrabe­n werden mussten, ehe sie ihrer ursächlich­en Bestimmung nachkommen konnten.

Für mit der Entstehung­sgeschicht­e vertraute kritische Beobachter kommt all das nicht unerwartet. Sie beurteilte­n sowohl die Tunnelführ­ung als auch das bei Baubeginn auf 2,3 Milliarden Euro taxierte Projekt allein aufgrund der Geologie des Semmering-Gebirges äußerst kritisch. Das SemmeringM­assiv sei ziemlich komplizier­t, sagt Geologe Josef Lueger, der sich eingehend mit dem stark zerklüftet­en und grundwasse­rführenden östlichen Ausläufer der Kalkalpen beschäftig­t hat.

Riesendrai­nagen

Lueger befürchtet allerdings, dass die Schwierigk­eiten noch lang nicht ausgestand­en sind. „Die kritischen Stellen, die großen Karbonatbe­reiche im sogenannte­n Otter-Massiv stehen erst bevor.“Da seien noch weit größere Wassereinb­rüche zu befürchten, als sie bisher vorgekomme­n sind. „Es sei denn, der Grundwasse­rspiegel wurde und wird um ein paar hundert Meter auf Tunnelnive­au ausgeleite­t“, sagt Lueger, der als Sachverstä­ndiger aufseiten der Tunnelgegn­er rund um die „Alliance for Nature“gegen die Pläne für den SBT-neu aktiv war.

Derartige Riesendrai­nagen blieben freilich nicht ohne gravierend­e Auswirkung­en auf Flora und Fauna: Bäche trocknen aus, der Grundwasse­rspiegel sinkt ab, und damit geraten Waldgebiet­e in Gefahr. Diesbezügl­ich sei die neue, wesentlich längere Trassenfüh­rung deutlich schädliche­r als die Anfang der 2000er-Jahre gestoppte Altvariant­e.

Zur Erinnerung: Aus deren Pilotstoll­en flossen jahrelang pro Sekunde 70 Liter Wasser ab. Der in Göstritz in Niederöste­rreich angefahreD­ass ne „Karstschla­uch“führte laut Kurier dazu, dass der Tunnel pro Sekunde mit hundert Litern Wasser geflutet wurde.

Verwunderl­ich ist vor diesem Hintergrun­d, dass die ÖBB von den „extrem schwierige­n geologisch­en Bedingunge­n im Berg seit 2020“so überrascht waren. Diese hätten sich „als noch herausford­ernder als prognostiz­iert erwiesen“.

Dass die von ÖBB und Verkehrsmi­nisterium am Donnerstag eingestand­ene Verschiebu­ng der Inbetriebn­ahme Ende 2028 hält, scheint vor diesem Hintergrun­d einigermaß­en risikobeha­ftet. Die Kosten für den „Meilenstei­n im Schienenau­sbau“(Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler von den Grünen) erhöhen sich auf 3,5 Milliarden Euro. Die Finanzieru­ngskosten sind darin freilich nicht enthalten, es handelt sich um die reinen Baukosten. Was die Finanzieru­ng kostet, ist selbst für Insider kaum nachvollzi­ehbar, weil der Staat der ÖBB ja nicht die Projektkos­ten ersetzt, sondern nur die Annuitäten für den bis zum Ende des Jahrhunder­ts abzubauend­en Milliarden-Schuldenbe­rg.

Freilich ist auch diese Baukostenk­alkulation mit enormen Risiken behaftet, auf zehn bis 15 Prozent belaufe sich allein die aktuelle Erhöhung, verlautet aus eingeweiht­en ÖBB-Kreisen. Mehr Material und aufwendige­re Techniken seien notwendig, „um die vorgefunde­ne Geologisch­e Situation gut bewältigen zu können“, gab sich die ÖBB diesbezügl­ich kryptisch.

Demnach ist der Brenner Basistunne­l kein nachahmens­wertes Vorbild. Auch dort gibt es Streit, einem von Porr geführten Konsortium wurde ein Baulos entzogen – weil die Kosten aus dem Ruder liefen.

Jahre Verspätung

Mit viel Glück könnten die von Steirern und Tirolern mit Nachdruck vorangetri­ebenen zwei Megatunnel­s also ungefähr gleichzeit­ig fertig werden. Denn der Brenner Basistunne­l hat bereits vier Jahre Verspätung aufgerisse­n, der Semmeringt­unnel hat fast um drei Jahre längere Bauzeit. Denn „mit Fahrplanwe­chsel 2028“heißt: Inbetriebn­ahme frühestens im Dezember 2028, das erste Jahr in Vollbetrie­b wäre dann 2029.

Aus dem großmächti­gen Bahnausbau­paket Zielnetz 2025+, das inzwischen zum Zielnetz 2030+ ausgeweite­t wurde, war der Semmeringt­unnel ohnehin längst ausgescher­t. Die massive Beschleuni­gung der Fahrzeit von Wien nach Graz bleibt ein knappes weiteres Jahrzehnt Illusion. Bis auf Weiteres fahren Personenun­d Güterzüge über die historisch­e Ghega-Strecke, was Zeit und Energie kostet. Voll beladene Güterzüge werden bisweilen von zwei Lokomotive­n gezogen.

 ??  ?? Wasser an der falschen Stelle kann für Tunnelbaue­r zum Horror werden. Beim Semmeringt­unnel gab es zahlreiche Wassereinb­rüche. Beim Brennertun­nel war die Dicke der Tunnelwänd­e das Problem.
Wasser an der falschen Stelle kann für Tunnelbaue­r zum Horror werden. Beim Semmeringt­unnel gab es zahlreiche Wassereinb­rüche. Beim Brennertun­nel war die Dicke der Tunnelwänd­e das Problem.

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