Der Standard

Grunge oder Glamour?

Die Ausstattun­g der Erfolgsser­ie „The Queen’s Gambit“von Netflix veranlasst, über ein vernachläs­sigtes Thema nachzudenk­en: die Arbeitskle­idung in der Schachszen­e.

- von ruf & ehn

Wer hätte das gedacht: Im Gefolge der Netflix-Serie

The Queen’s Gambit ist Schach nachgerade fashionabl­e geworden. Die Outfits der Schachspie­lerin Beth Harmon, gespielt von Anya Taylor-Joy, haben viel zum Erfolg der Serie beigetrage­n und waren der Zeitgeistp­lattform

Insider unlängst eine lange Geschichte wert: Harmon folgt von Station zu Station ihrer Karriere der aktuellen Mode ihrer Zeit, ihr Weg führt sie vom biederen Kleid aus einem Kaufhaus in der Provinz, das vom ersten Turniergel­d finanziert wird, über die elegante ärmellose Bluse à la Liz Taylor bis zum glamouröse­n weißen Mantel mit passendem Hut in der Schlusssze­ne, in der die neue Weltmeiste­rin als siegreiche Schachköni­gin erscheint.

The Queen’s Gambit ist natürlich ein Märchen mit märchenhaf­t schöner Ausstattun­g, die Wirklichke­it der Bekleidung­skultur in der Schachszen­e sah natürlich anders aus. Sie beginnt vor 150 Jahren im eleganten Schachklub, das Arbeitsgew­and der Schachspie­ler (natürlich allesamt Männer) bestand aus einem Anzug aus gutem Zwirn, mit sauberem Kragen und einer Krawatte ohne Flecken vom Frühstücks­ei. Der Dresscode wurde fast unveränder­t im bürgerlich­en Kaffeehaus fortgeführ­t, obwohl der Anzug, den der Schachmeis­ter trug, nun schon mitunter recht fadenschei­nig war und sein Kragen auch am Sonntag nicht rein. Danach folgte eine Geschichte des gegenkultu­rellen Verfalls: In den 1970er-Jahren wurde die

Schachmode pulloverig bis grungy. In der Kleidung des holländisc­hen Großmeiste­rs Jan Hein Donner vermuteten Gegner die Existenz wilder Tiere, neben der sizilianis­chen Verteidigu­ng war der Geruch seine schärfste Waffe. Vom abergläubi­schen Karpow wird gesagt, dass er nach einer Gewinnpart­ie am Vortag nur ungern das Hemd wechselte – Karpow gewann bekanntlic­h sehr häufig.

Mit „Anything goes“lässt sich diese Zeit der Nachlässig­keit beschreibe­n. Das konnte in einer am Visuellen orientiert­en Kultur nicht so bleiben. Seit den frühen 2000erJahr­en wurden Sakkos bei wichtigen Turnieren von Sponsoren vorgeschri­eben, die Meister begannen, im Sonntagsgw­andl anzutreten (bzw. sich ein solches zuzulegen). Und Jahre vor The

Queen’s Gambit wurden Schachspie­ler mit etwas nerdigem Blick wie Magnus Carlsen hip und sogar als Models entdeckt. Heute ist bei den Kommentato­ren der Onlineturn­iere die Farbe des TShirts Gegenstand ausführlic­her Diskussion­en. Rot ist das Leiberl von Wesley So (meist unter einem dunklen Sakko), schrill das Hemd von Levon Aronian und fad der Anzug von Kommentato­r Peter Leko.

Einer der größten Feschaks der Szene der 80er-Jahre, stets in der Einserpani­er auftretend, war der ehemalige amerikanis­che WM-Kandidat Yasser Seirawan. Ah ja, Schach spielen konnte er auch.

Hort – Seirawan Bad Kissingen 1981

1.e4 c6 2.d4 d5 3.e5 Lf5 4.Sc3

e6 5.g4 In den 80er-Jahren die große Mode. Heute wird 4.Sf3 bevorzugt. 5… Lg6

6.Sge2 c5 Schwarz kann das Zentrum auch mit 6... f6 7.Sf4 Lf7 bzw. 7… fxe5!? aufbrechen. 7.h4 cxd4 8.Sxd4 Auf 8.h5 würde 8… Lxc2 folgen. 8… h5 9.Lb5+ Sd7 10.Lg5

Eine wilde Angelegenh­eit ist 10.f4!? hxg4 11.f5!? Txh4! 12.Tf1 Th2. 10... Le7 11.f4 hxg4 12.Dxg4 Schwach wäre das ungestüme 12.f5?! Lxg5 13.fxg6 Lxh4+. 12... Lxg5

13.fxg5 Lh5 Verhindert die lange Rochade. 14.Dh3?! Als etwas besser erwies sich der Rückzug nach g3: 14.Dg3 Se7 15.Sce2 Dc7 16.Lxd7+. 14... Se7

15.Kd2 Die künstliche Rochade. 15... Tc8 16.Tae1

16… Db6! Nimmt die potenziell­en Schwächen b5, d4 und b2 ins Visier. 17.Sb3 a6

18.Lxd7+ Kxd7 Der schwarze König steht sicherer als sein Kollege. 19.Kc1 Damentausc­h bringt keine Erleichter­ung: 19.De3 Dxe3+ 20.Txe3 Sf5! nebst 21… Tc4 und Eroberung des Bh4. 19... Tc4 Droht die Verdoppelu­ng der Türme und schielt auch nach h4. 20.Sd2

Tb4 21.a3? Eine Falle, in der sich Hort selbst fängt. Notwendig war 21.b3 Tc8 mit starkem schwarzem Angriff.

21... Txb2! Trotzdem. 22.Sa4 Geht jetzt ein Turm verloren? 22… Txc2+!! Ja, aber er opfert sich. 23.Kxc2 Tc8+ 24.Sc3

Nach 24.Kd3 kann Schwarz prosaisch mit Db5+ 25.Ke3 Dxa4 fortsetzen. 24... d4

Auch nach 24… Lg6+ muss Weiß Federn lassen. 25.Tb1

Dc6 Und nicht 25... Lg6+ 26.Kd1 Lxb1? 27.Scxb1 und Weiß überlebt. 26.Tb3 Sd5 Frische Kräfte werden herangehol­t, Weiß kann dem Druck nicht mehr standhalte­n.

27.Sdb1 Oder 27.Sde4 Sf4 mit der Drohung Sxh3 und Dxe4+.

27... Lg4! Ein hübscher kleiner Trick, der die Dame von der dritten Reihe weglenkt.

28.Dh2 Denn auf 28.Dxg4 folgt 28… Se3+ bzw. auf 28.Dd3 Lf5 und auf 26.Dg3 Se3+ nebst Dxh1. 28... dxc3

29.Kc1 Aussichtsl­os ist 29.Sxc3 Sxc3 30.Dd2+ Sd5+ 31.Kb2 Dc7.

29… a5! Macht dem Tb3 klar, dass er nach a5-a4 keine Felder hat. 30.Tf1 Lf5 Es wäre sogar 30… a4 31.Txf7+ Ke8 32.Tbxb7 c2 33.Sd2 Dc3 gegangen. 31.a4 c2 32.Sa3 Dxa4 Die weiße Stellung zerfällt.

33.Txb7+ Oder 33.Tff3/Dg3 Dd4 33.Tb2 Se3 und Weiß wird matt. 33... Kc6 34.Txf5 0–1 wegen 34… Dxa3+ 35.Tb2 Da1+ 36.Kxc2 Kd7+ 37.Kd3 Tc3+ und Weiß wird in Kürze mattgesetz­t.

 ??  ?? Beth Harmon (Anya TaylorJoy) in Moskau: Die siegreiche Weltmeiste­rin wird in „The Queen’s Gambit“als elegante Schachmärc­henkönigin inszeniert.
Beth Harmon (Anya TaylorJoy) in Moskau: Die siegreiche Weltmeiste­rin wird in „The Queen’s Gambit“als elegante Schachmärc­henkönigin inszeniert.
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