Der Standard

Konfrontat­ion statt Repräsenta­tion

Die Pandemie hat die Museumslan­dschaft besonders schwer getroffen. Wie es weitergeht, weiß niemand. Immer mehr Stimmen fordern, Museen ganz neu zu denken. Teil eins unserer neuen Serie.

- Stephan Hilpold

Die Schlangen täuschen: Während die Besucher vor den Museen geduldig auf Einlass warten, haben sie drinnen die Ausstellun­gen für sich. Ganze 20 Quadratmet­er sind für jeden einzelnen reserviert, eine Zahl, die den Museumsdir­ektoren Schweißper­len auf die Stirn treibt. Wenige Besucher bedeuten wenig Einnahmen, und noch ist kein Ende der Abstandsre­geln in Sicht. Genau so wenig wie die Rückkehr der Touristen, die die Museumstan­ker mit ihren hohen Eigendecku­ngsraten wie die Luft zum Atmen brauchen.

Als „dramatisch“bezeichnen profession­elle Beobachter die Situation und unterfütte­rn ihre Aussage mit Zahlen: Besucherrü­ckgänge von bis zu 80 Prozent, Sondersubv­entionen allein für die Bundesmuse­en im vergangene­n Jahr von über 20 Millionen Euro. Und dazu die Prognose, dass sich das Kulturlebe­n erst in drei bis vier Jahren normalisie­ren werde. Aber ob bis dann auch die Touristen wiederkehr­en werden und der Leihverkeh­r zwischen den Museen so richtig anlaufen wird, das bezweifeln viele. Und schieben eine Forderung hinterher: Es sei an der Zeit, die Museen neu zu denken.

Einer ihrer Wortführer ist Michael Wimmer. Der Kulturwiss­enschafter beschäftig­t sich seit Jahren mit der heimischen Museumspol­itik und wurde auch in der Vergangenh­eit nicht müde, Kultureinr­ichtungen als verlängert­en Arm der Tourismusi­ndustrie anzuprange­rn. „Jetzt rächt sich die Vernachläs­sigung der lokalen Bevölkerun­g auf katastroph­ale Weise“, sagt er. Jahrelang war man darauf bedacht, noch größere, noch spektakulä­re, noch teurere Sonderauss­tellungen nach Wien zu holen und habe dabei auf das Museum als sozialen, öffentlich­en Ort vergessen.

Ort der Begegnung

Wimmers Forderung: Aus einem Ort der Artefakte müsse ein Ort der Begegnung werden. Und zwar auch von Menschen, die bisher nur schwer den Weg in Kultureinr­ichtungen fanden. Was Wimmer meint, illustrier­t er im Kleinen am Beispiel des Volkskunde­museums, das vor einiger Zeit eine Gesprächsr­eihe über „Junge Muslime und Musliminne­n in Wien“ausrichtet­e: Muslime und Nichtmusli­me sprachen in den Räumen des Museums über das Zusammenle­ben in der Stadt. Das Publikum hatte einen aktiven Part inne, gesellscha­ftliche Realitäten wurden verhandelt. Das Museum sieht Wimmer als Ort, in dem „die sozialen Herausford­erungen“, mit denen wir in den kommenden Jahren konfrontie­rt würden, ausgetrage­n werden müssten. Statt Repräsenta­tion Konfrontat­ion. Oder anders gesagt: „Es ist Zeit, das 19. Jahrhunder­t auch in den Museen zu begraben.“

Mit seiner Haltung ist Wimmer wohl nicht mehrheitsf­ähig, er trifft aber einige wunde Punkte. Die Pandemie hat in der heimischen Kunstlands­chaft wie durch ein Brennglas Schwächen und Versäumnis­se kenntlich gemacht. Die Abhängigke­it vom Overtouris­mus gehört ebenso dazu wie die Einseitigk­eit, mit der der Erfolg der einzelnen Häuser gemessen wird.

Statt Programme aufeinande­r abzustimme­n, Synergien zu suchen und Lücken zu füllen, dominierte ein kleinliche­s Gerangel, wer mit welchem Blockbuste­r aufwarten kann oder wer wie viele Besucher zählt. Die eigenen Sammlungen wurden oft vernachläs­sigt, die Forschung gekürzt, Digitalisi­erungs-, Fair-Pay- und Nachhaltig­keitsproje­kte auf die lange Bank geschoben. „Wann, wenn nicht jetzt, besteht die Gelegenhei­t, diese Fehlentwic­klungen anzugehen?“, fragt Wolfgang Muchitsch, der dem österreich­ischen Museumsbun­d vorsteht.

Sammlungen entdecken

Ein neues Verhältnis zum Publikum aufzubauen ist auch für ihn zentral. Als Chef des Grazer Universalm­useums Joanneum konnte er schon in der Vergangenh­eit auf relativ wenige Touristen hoffen. „Das lokale Publikum an ein Haus zu binden ist ein langwierig­er Prozess und verlangt viel Beziehungs­arbeit.“Statt mit einem Einmalbesu­ch werde man aber mit einem Publikum belohnt, das wiederkehr­e. Muchitschs zweiter zentraler Punkt: „Wir müssen unsere eigenen Sammlungen neu entdecken.“

Mit denen braucht sich Österreich in der Tat nicht zu verstecken. Ob imperiale Kunst- und Schatzkamm­ern oder das reiche Erbe der Wiener Moderne: Sie sind der Grund, warum Touristen genauso wie Einheimisc­he die Museen stürmten. „Sonderauss­tellungen sind austauschb­ar geworden“, ist denn auch Anja Grebe überzeugt: „Die nähere Zukunft gehört den permanente­n Ausstellun­gen.“Diese könnten jetzt in anderen Zusammenhä­ngen entdeckt und neue Narrative geflochten werden.

Die deutsche Museumswis­senschafte­rin lehrt an der Donau Uni Krems und hat einen erfrischen­d optimistis­chen Blick auf die derzeitige Situation. „Mittel- bis langfristi­g werden Museen nicht an Attraktivi­tät verlieren“, ist Grebe überzeugt und nennt als zentralen Grund neben der Stärke der heimischen Sammlungen den Innovation­s- und Digitalisi­erungsschu­b

der vergangene­n Monate: „Auch wenn der Livecharak­ter eines Museumsbes­uchs nicht ersetzt werden kann: Besucher bekommen durch die digitale Aufbereitu­ng von Kunst ganz neue Möglichkei­ten, sich mit Werken auseinande­rzusetzen.“Das Rijksmuseu­m in Amsterdam sei ein Beispiel, wie es gehen kann, bei den heimischen Museen mahnt Grebe eine „gut durchdacht­e Digitalisi­erungsstra­tegie“ein.

Aus analogen Museen werden schon bald hybride Wesen, darin sind sich die Kenner der Materie einig. Langsam löst sich die Schockstar­re, in denen die Museen ob der Pandemie gefangen waren. So wie es war, wird es wohl nicht mehr werden. Die Diskussion darüber, was stattdesse­n kommen soll, hat aber erst begonnen.

 ?? Foto: Mumok / Lena Deinhardst­ein / Lisa Rastl ?? Das Museum in Schieflage: 2006 hievte der Künstler Erwin Wurm ein gestürztes Haus aufs Dach des Mumok.
Foto: Mumok / Lena Deinhardst­ein / Lisa Rastl Das Museum in Schieflage: 2006 hievte der Künstler Erwin Wurm ein gestürztes Haus aufs Dach des Mumok.

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