Der Standard

Die Grünen an der Macht

Die ÖVP-Krise zeigt, dass die Ökos in der Regierung noch länger unverzicht­bar sind

- Thomas Mayer

Folgendes Szenario hätte der FPÖFührung, vor allem Klubchef Herbert Kickl, gut gefallen: Sie bringen einen Misstrauen­santrag gegen ÖVP-Finanzmini­ster Gernot Blümel ein. Da der wegen einer Hausdurchs­uchung im Zuge der Novomatic-Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft in Schieflage geriet, ziehen im Nationalra­t nicht nur SPÖ und Neos willig mit, sondern auch viele Grüne.

Die Konsequenz: der Kanzler-Intimus Blümel von einer Mehrheit im Parlament aus dem Amt gejagt, die Grünen gespalten, Koalitions­bruch.

Sebastian Kurz würde das nicht akzeptiere­n, beim Bundespräs­identen um Demission bitten. Die türkis-grüne Regierung und der ÖVP-Chef wären brüskiert. Es käme zu Neuwahlen. Alles fast so wie 2019 nach dem Ibiza-Skandal, nach dem Ende von Türkis-Blau. Eine Retourkuts­che Kickls. Aber 2021 ist nicht 2019, und die Grünen sind in einer Regierung das Gegenteil dessen, was die FPÖ war. Statt blauer Daueremoti­on regieren grüne Vernunft und Pragmatism­us.

Deshalb lässt sich nach einer turbulente­n Woche resümieren: Österreich ist das Kippen in eine neuerliche politische Instabilit­ät erspart geblieben. Ein Sturz der ganzen Regierung, nur weil ein Minister möglicherw­eise strauchelt (wie einst Kickl als Innenminis­ter), wäre auch riskant. Vieles spricht dafür, dass die Corona- und Wirtschaft­skrise demnächst auf neue Höhepunkte zusteuert. Das erfordert Handlungsf­ähigkeit. S ollte sich herausstel­len, dass der als Beschuldig­ter geführte Finanzmini­ster nicht so ohne weiteres aus dem Verfahren herauskomm­t, dann wird er früher oder später wohl selber gehen müssen. Oder der Kanzler wird ihn, Freundscha­ft hin oder her, zum Rücktritt drängen. Ein Blümel-Abgang wäre kein Beinbruch für Türkis-Grün. Dann käme eben ein neuer Finanzmini­ster.

So ist das in demokratis­ch geführten, rechtsstaa­tlich orientiert­en Regierunge­n in den 27 EU-Staaten. Blümel ist und bleibt das Problem der ÖVP, und nicht der Grünen, die die Justizmini­sterin stellen. Sie haben allen Grund, die Mühlen der Justiz in Ruhe mahlen zu lassen.

Es ist der Führung rund um Parteichef Werner Kogler und Sigrid Maurer daher hoch anzurechne­n, dass sie der Versuchung zum Koalitions­bruch nicht nachgegebe­n haben, auch nicht dem Wunsch aus dem Inneren der Partei wie von Aktivisten und NGOs nach strikt „moralische­r Politik“. Will man Türkis-Blau 2.0?

Es wäre sogar unverantwo­rtlich gewesen, ihr großes Projekt des ökologisch­en Umbaus von Staat und Gesellscha­ft den (mutmaßlich­en) Verfehlung­en eines türkisen Politikers zu opfern. Auf EU-Ebene: den Green Deal.

Durch Blümel geschwächt ist die ÖVP als größerer Regierungs­partner. Das ermöglicht den Grünen, stärker aufzutrete­n als bisher. Die Wähler werden es honorieren. Kanzler Kurz ist vom Wohlwollen des Koalitions­partners abhängiger als dieser von ihm. Der ÖVP-Chef wird sich hüten, von sich aus seine konservati­v-grüne Regierung zu gefährden. Mit wem sonst will Kurz glaubhaft regieren?

Die Ökopartei hat Grund, gelassen zu sein. Sie wird als seriöser Partner mangels attraktive­r Alternativ­en noch länger gebraucht werden. So wie die Dinge liegen, könnte sie im Herbst zudem noch Rückenwind aus Deutschlan­d bekommen. Die Grünen dort haben gute Chancen, ans Mitregiere­n zu kommen, entweder mit CDU/CSU oder über ein Linksbündn­is, sollte die SPD sich erholen. Werner Kogler kann ruhig schlafen.

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