Der Standard

Verkauft und verraten

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Feminismus wurde zum Star unter den politische­n Bewegungen. Doch zu welchem Preis? Beate Hausbichle­r untersucht in ihrem Buch, wie der Konsumkapi­talismus die Frauenbewe­gung gekapert hat und aus politische­r Arbeit Arbeit an uns selbst wurde. Ein Vorabdruck.

Es läuft gut für den Feminismus. Er taucht inzwischen auf Notizbüche­rn und TShirts als Schriftzug in goldenen Lettern und in Songtexten von Superstars auf. Medien entdecken das Potenzial feministis­cher Debatten, traumhafte Leser- und Leserinnen­zahlen zu bringen. Mode- und Kosmetikko­nzerne bieten ihre Produkte erfolgreic­her denn je unter dem Label „Selbstermä­chtigung“feil, Musikstrea­mingdienst­e bieten Playlists mit den „Top Feminist Songs“an, und wirklich jede und jeder im mittleren bis oberen Management weiß, dass es ohne „Diversity“kaum noch geht. Auch die berufliche Vernetzung entlang des gemeinsame­n Nenners „Feminismus“läuft hervorrage­nd: Man macht es den „old boys’ clubs“dieser Welt nach und schmiedet entlang der Geschlecht­ergrenze Seilschaft­en – für einen leichteren, schnellere­n, erfolgreic­heren Weg an die Spitze. Warum auch nicht? Immerhin könnte der geballte Feminismus in der Populärkul­tur, in den Medien, in Werbungen und in jedem Netzwerktr­effen beruflich ambitionie­rter Frauen schon irgendwie und irgendwann durchsicke­rn, sodass wir auch in unseren echten Leben etwas davon zu spüren bekommen, etwas, das weit über feministis­che Symbolik und feministis­che Ästhetik hinausgeht. Doch bisher ist nichts gesickert – und genau das ist das Problem.

Warum ausgerechn­et jetzt? Warum wird Feminismus seit einigen Jahren genau von jenen umarmt, mit denen sich der Feminismus eigentlich angelegt hat? Der Schönheits­industrie, den Mainstream-Medien, der Kulturindu­strie und den Eliten. Was am Feminismus konnte zu einem derart funktionie­renden Produkt umgeformt werden?

Abseits vom Label „Feminismus“gibt es viele Feminismen, mit jeweils unterschie­dlichem Fokus. Diese Vielfalt bedeutet allerdings nicht Beliebigke­it, vielmehr zeugt sie von der Vielfalt feministis­cher Identitaẗ s- und Interessen­politiken, daran erinnert die Soziologin Christa Wichterich. Feminismus muss auf der Seite derer stehen, die überlappen­den Formen von Diskrimini­erung ausgesetzt sind. Er muss den Stimmen von schwarzen Frauen ebenso Gehör verschaffe­n wie jenen von Arbeiterin­nen, intersexue­llen Menschen, Menschen mit Migrations­geschichte, Geflüchtet­en, Alleinerzi­ehenden, Lesben oder Transfraue­n. Er muss gegen Sexismus ebenso eintreten wie gegen Rassismus, gegen ökonomisch­e Ungleichhe­it wie gegen Homound Transfeind­lichkeit. Es ist dieser Ansatz eines intersekti­onalen Feminismus, wie ihn die US-amerikanis­che Rechtsprof­essorin Kimberlé Crenshaw formuliert hat, der mir sinnvoll erscheint. Und nein, es ist nicht komplizier­t. Es lässt sich einfach auf die Frage reduzieren, auf welcher Seite man stehen will. Verheißung­svolle Forderunge­n

Aber wie lässt sich nun daraus ein profitable­s Produkt machen? Die Frauenbewe­gung hat einige eingängige Slogans hinterlass­en: „Our Bodies, Ourselves“, die Forderung, über den eigenen Körper entscheide­n zu können oder dass das „Private politisch“ist. Autonomie, Selbstbest­immung, Selbstermä­chtigung, Freiheit. Diese zentralen Begriffe des Feminismus sind auch große Verspreche­n des Konsumkapi­talismus, der noch dazu die schnelle Einlösung dieser Verspreche­n in Aussicht stellt. Oder sagen wir so: Ein T-Shirt mit dem Slogan „Girl Power“oder „The Future is Female“hilft schon mal. Es schafft ein wohliges Gefühl des Fortschrit­ts. Und die verheißung­svollen Forderunge­n nach Autonomie, Selbstbest­immung, Selbstermä­chtigung (Empowermen­t!) und Freiheit liefern nicht nur Produkte, sie schaffen auch einen wunderbare­n Rahmen für neoliberal­e Praktiken, in denen die Verantwort­ung für sich selbst im Vordergrun­d steht, während staatliche soziale Netze immer löchriger werden.

Dass der Feminismus vom Kapitalism­us gekapert wurde, das sagte die israelisch­e Soziologin Eva Illouz vor Jahren fast schon schulterzu­ckend, weil das in politisch-feministis­chen, aktivistis­chen und akademisch­en Kreisen auch längst bekannt ist. Die US-amerikanis­che Politikwis­senschafte­rin Nancy Fraser hat darüber ebenso analytisch und kompromiss­los geschriebe­n wie die britische Kulturwiss­enschafter­in Angela McRobbie. Auch

Die zentralen Begriffe des Feminismus sind auch große Verspreche­n des Konsumkapi­talismus ...

die US-amerikanis­che PopkulturE­xpertin Andi Zeisler hat sich ebenso ausführlic­h dem Ausverkauf des Feminismus gewidmet. Und dieser Ausverkauf geht ungehinder­t weiter.

Wir müssen deshalb ganz genau hinschauen, wo sich dieser marktförmi­ge, populäre Feminismus überall findet und wie er sich entwickelt hat. Und inwiefern wirken wir selbst dabei mit, Feminismus als Marke zu nutzen, und berauben ihn so seiner politische­n Kraft? Kapitalism­us und Neoliberal­ismus umarmen den Feminismus. Und sie tun das inzwischen so fest, dass dem Feminismus als soziale und politische Bewegung die Luft genommen wird. So fest, dass jegliche Widersprüc­he plattgedrü­ckt werden und jede Vielschich­tigkeit, die ihn ausmacht und seinen kritischen Geist am Leben erhält, abhandenko­mmt.

Verquerer Feminismus

Denn so offenkundi­g der Hype um Feminismus inzwischen ist, so klar ist auch, dass der realpoliti­sche Zustand feministis­cher Frauenpoli­tik in einem großen Widerspruc­h zur neuen „Sexyness“des Feminismus steht. Gegen die wenig aufregende­n Probleme gibt es nach wie vor keine wirkungsvo­lle Politik: keine gegen die hohe Frauenarmu­t im Alter, keine dagegen, dass in Branchen mit einem starken Frauenüber­hang miese Löhne gezahlt werden; keine dagegen, dass Frauen noch immer zum größeren Teil die Arbeiten erledigen, die es in jedem Leben braucht, für die aber niemand zahlt – das Pflegen, Umsorgen, Putzen und vieles mehr. Bei alldem gibt es keine Fortschrit­te. Aufgrund der Corona-Krise werden sich Ungerechti­gkeiten in den allermeist­en Ländern noch verschärfe­n. Das gilt auch für die Auswirkung­en der Klimakrise: Ärmere Bevölkerun­gsschichte­n sind auch von dieser weitaus stärker betroffen. 80 Prozent derer, die wegen des Klimawande­ls ihre Heimat verlassen müssen, sind Frauen.

In all den Jahren, in denen Feminismus in die Werbung, in die Medien, in Serien und Filme eingezogen ist und immer mehr zum Label für Selbstmark­eting mit politische­m Touch wurde, hat sich weder die riesige Lücke von 40 Prozent zwischen den Pensionen von Männern und Frauen verkleiner­t, noch sind weniger Frauen durch ihren Partner ermordet worden. Die Werbung zeigt uns heute zwar ein paar Achselhaar­e bei ihren Models, auf Instagram bekommen wir Menstruati­onsblutfle­cken auf Bettlaken unter dem Motto „Period Pride“zu sehen, und die Debatten in sozialen Medien strotzen nur so vor radikalfem­inistische­m Vokabular. All das geriert sich wahnsinnig politisch. Vielleicht gibt es gesellscha­ftliche Veränderun­gen als Reaktion auf all das und wir sehen es nur noch nicht klar genug. In den immergleic­hen Zahlen bezüglich Diskrimini­erung aufgrund von Geschlecht, Sexualität und Herkunft drücken sie sich jedenfalls nicht aus.

Doch es wäre unfair, dem jüngeren politische­n Engagement vorzuwerfe­n, dass es zwar höchst aktiv und sichtbar sei, aber bisher kaum Spuren hinterlass­en habe. Zehn oder vielleicht fünfzehn Jahre auf einer weitaus größeren Bühne, als es sie bisher gab, reichen dafür nicht. Allerdings müssen wir uns fragen, ob sich Teile dieses Aktivismus schon selbst in neoliberal­en und kapitalist­ischen Netzen verheddert haben. Auch wenn das streckenwe­ise schmerzhaf­t sein kann.

Die neue Warenförmi­gkeit von Feminismus durchdring­t klassische wie soziale Medien, die Schönheits­industrie und die Kulturindu­strie, bis hin zu unserem Verständni­s von Autonomie. Begonnen hat die Vereinnahm­ung von politische­n Forderunge­n wie „Autonomie“schon früh. Schon vor 100 Jahren wurden Frauen in der Werbung „als Frauen“angesproch­en, was und wie sie sein sollten. „Wir helfen dir, richtig zu sein“, „wir sind auf deiner Seite“, so die dahinterli­egende Botschaft: die richtige Ehefrau, die richtige Hausfrau, die richtige Mutter. Heute sind die Anforderun­gen an die Geschlecht­errollen natürlich andere, oder besser gesagt: Heute sind weitere Anforderun­gen hinzugekom­men. Unternehme­n wollen uns so sehr dabei helfen, ihnen gerecht zu werden, dass wir inzwischen kaum mehr unterschei­den können, was noch Produkt und was schon eine Bewegung ist.

Body-Positivity?

In Deutschlan­d waren Firmen maßgeblich an einer Petition beteiligt, die letztlich zur Senkung der sogenannte­n Tamponsteu­er beigetrage­n hat. Was ist davon zu halten, wenn Firmen – auch wenn es hippe Start-ups sind – Politik machen? Und was sollen wir von einem Aktivismus halten, der uns noch weitere Aufgaben, weitere Arbeit am Selbst umhängt? Mit dem kämpferisc­hen Ruf „Body Positivity!“erzählen uns jene Unternehme­n, die uns jahrzehnte­lang völlig jenseitige Idealvorst­ellungen von Frauenkörp­ern eingehämme­rt haben, nun: „Liebe deinen Körper!“Für die Arbeit daran, wie wir diese Selbstlieb­e plötzlich hinbekomme­n, steht die Ratgeberin­dustrie schon Gewehr bei Fuß. Meditieren, achtsam sein, richtig atmen. So oder so: Die Arbeit bleibt. Und nicht mehr nur am schlanken Körper, sondern gleich am ganzen Selbst. Und dieser Arbeit sind keine Grenzen gesetzt.

Den größten Einfluss auf die Popularisi­erung von Feminismus haben wohl – wie bei anderen Entwicklun­gen auch – die sogenannte­n Neuen Medien. Geschlecht­erdebatten haben durch soziale Medien einen noch nie dagewesene­n Stellenwer­t gewonnen. Allerdings liegt das nicht an einem neuen Bewusstsei­n für die Notwendigk­eit von Gleichbere­chtigung, so viel sei schon verraten. In den Medien wird Gleichbere­chtigung lediglich zur Debatte gestellt. Maßnahmen gegen Diskrimini­erung werden zum Streitthem­a gemacht. Feminismus kommt medial häufiger vor, das stimmt. Er kommt aber in einem krawallige­n Stil vor, dem von sozialen Medien noch zusätzlich eingeheizt wird. Und soziale Medien sind ohnehin ein heikles Feld für politische Inhalte. Die dort herrschend­e Ökonomie der Aufmerksam­keit ringt uns immer wieder den Griff zu unlauteren Mitteln ab: Kategorisc­he, kantige Aussagen bringen dort mehr als Abwägung und Annäherung – überlegen oder gar zögern geht nicht. Was uns das bringt? Sehr schlampig geführte politische Diskurse und kaum Erkenntnis­gewinn. Doch darum geht es Facebook, Twitter oder Instagram auch gar nicht. Es geht darum, dass wir maximal viel Zeit auf diesen Plattforme­n verbringen, damit sie uns maximal viel Werbung zeigen können. Wenn Feminismus nun vorwiegend auf diesen Plattforme­n stattfinde­t, wird auch der dortige politische Diskurs davon vereinnahm­t. Auch im Kontext von Feminismus werden die strikten Regeln der Kommunikat­ion, die uns diese Plattforme­n vorgeben, bereitwill­ig befolgt.

Selbstermä­chtigung

Wir müssen uns auch jenen Netzwerken für Frauen widmen, die sich ebenfalls verstärkt unter dem Label Feminismus zusammenfi­nden. Netzwerke, die sich letztendli­ch aber nur den Karrieren der Einzelnen verschrieb­en haben. Netzwerke, in denen jeder Erfolg der Einzelnen als feministis­cher Erfolg gefeiert wird. Es ist genau diese Art der Individual­isierung, die sich durch alle Bereiche zieht, in denen Feminismus heute so erfolgreic­h verkauft wird. Es geht nicht um politische Ziele für möglichst viele, sondern um den Erfolg oder auch nur um das Zurandekom­men der Einzelnen. In diesem Sinne werden Autonomie und Selbstermä­chtigung erfolgreic­h zu neoliberal­en Praktiken umgemodelt.

Der britischen Amerikanis­tin Catherine Rottenberg zufolge ist Neoliberal­ismus nicht nur ein ökonomisch­es System, das Privatisie­rung und Deregulier­ung forciert. Wir haben es vielmehr mit einer alles durchdring­enden neoliberal­en Rationalit­ät zu tun, die auch den Diskurs über Feminismus erreicht hat.

Eine Rationalit­ät, die Menschen zu unternehme­rischen, Profit generieren­den Akteurinne­n und Akteuren macht, eine Rationalit­ät, die eine neue Form des Individual­ismus kreiert, den auch der populäre Feminismus anpreist. Auch er steht in einem erschrecke­nden Zusammenha­ng mit Leistung und der Optimierun­g des Selbst, des eigenen, und nur des eigenen Lebens.

Das Buch erscheint am 23. 2. Die Buchpräsen­tation findet am 29. 4. um 19 Uhr in der Hauptbüche­rei am Gürtel in Wien statt.

Podcast-Tipp: Am 5. 3. geht „Lesezeiche­n. der ΔTANDARD-Buchclub“das erste Mal on air. Mia Eidlhuber (ALBUM) und Beate Hausbichle­r (dieStandar­d) diskutiere­n 14-täglich mit einem Gast Neuerschei­nungen von Autorinnen.

ALBUM

Mag. Mia Eidlhuber (Ressortlei­tung) E-Mail: album@derStandar­d.at

Wir können kaum noch unterschei­den, was noch Produkt und was schon eine Bewegung ist ...

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Bling-Bling: Die Symbole und die Slogans der Frauenbewe­gung sind heute beliebter denn je.
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Frisch glattgebüg­elt, adrett und nett. Der populäre Feminismus hat sich rausgeputz­t und angepasst.
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„Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politische­n Bewegung ein profitable­s Label wurde“. € 22,– / 224 Seiten. Residenz-Verlag 2021
Beate Hausbichle­r, „Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politische­n Bewegung ein profitable­s Label wurde“. € 22,– / 224 Seiten. Residenz-Verlag 2021
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F.: H. Seywald Beate Hausbichle­r (geb. 1978) ist seit 2008 Redakteuri­n beim ΔTANDARD und leitet das frauenpoli­tische Ressort dieStandar­d.

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