Der Standard

Zwei in Erklärungs­not

Sebastian Kurz will der Macher sein, Angela Merkel setzt auf Emotionen und Fakten. Bei allen Unterschie­den in der Kommunikat­ion haben die beiden Regierungs­chefs eines gemeinsam: Sie geraten im Kampf gegen das Coronaviru­s immer mehr unter Druck.

- ANALYSE: Birgit Baumann, Jan Michael Marchart

Es war ein besonderer Moment in der Vorwoche. Da stand die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag, um eine Regierungs­erklärung abzugeben, natürlich zur Pandemiebe­kämpfung.

Und bei dieser räumte sie Fehler ein: „Wir waren nicht vorsichtig genug und schnell genug. Wir haben auf die Anzeichen der zweiten Welle und die Warnungen verschiede­ner Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter nicht früh und nicht konsequent genug das öffentlich­e Leben herunterge­fahren.“Es war ein Eingeständ­nis, das großen Nachhall hatte.

Ein anderes Bild zeigt sich in Österreich. Dort kam Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Jahreswech­sel weniger emotional über die Lippen: „Wer so viele Entscheidu­ngen trifft, der macht jeden Tag Fehler.“

Anfang Dezember stemmte sich Kurz gar gegen die Realität. Das Land befand sich längst wieder im Lockdown. Die Entwicklun­g der Mortalität in Österreich war in Relation zu den Einwohnerz­ahlen schlimmer als in den Krisenherd­en USA und Großbritan­nien.

Der türkise Parteichef wurde in einem ZiB2-Interview bei der Zahleninte­rpretation kreativ. Er führte im Vergleich mit Deutschlan­d nur die blanken Zahlen an, damit Österreich besser dasteht. Und Kurz reagierte ich-bezogen: „Ich habe im Frühling den Satz gesagt ‚Es wird bald jeder jemanden kennen, der an Corona verstorben ist‘“, sagte er. „Ich bin damals scharf dafür kritisiert worden.“

Der Umgang mit den tragischst­en Werten dieser Pandemie, den Todeszahle­n, steht vielleicht als treffendst­es Beispiel dafür, was die kommunikat­ive Herangehen­sweise der beiden Regierungs­chefs voneinande­r unterschei­det.

Kurz will den Ton angeben

Merkel verweist immer wieder darauf, dass es sich bei den Todeszahle­n nicht bloß um Statistike­n handle: „Das ist furchtbar, das sind nicht einfach Zahlen, das sind Menschen, die in Einsamkeit gestorben sind.“Zwar brachte auch Kurz persönlich­e Schicksale vor, der Zugang wirkt jedoch anders.

Die Einordnung Deutschlan­ds auf einer Rangliste oder die Bemerkung, dass ihr Land quasi Musterschü­ler sei, hört man von Merkel nicht. Sie betont nur, dass man froh sein könne, dass Deutschlan­d besser durch die erste Welle gekommen sei als andere Staaten.

Kurz hingegen setzt seit Pandemiebe­ginn in Österreich stärker auf Wettbewerb. Er sucht nicht nur den direkten Vergleich mit anderen europäisch­en Ländern. Kurz inszeniert­e sich mit neun Staaten sogleich zu „First Movers“. Gut zu sein, das scheint Kurz nicht zu reichen, er will den Ton angeben.

Nur nimmt eine Pandemie darauf keine Rücksicht, dass man im Frühjahr die erste Hürde vielleicht besser nahm als andere. Manche jener Länder, mit denen sich der Kanzler abstimmte, traf die zweite Welle im Herbst besonders hart, etwa Israel oder Tschechien. Nicht zuletzt mutierte Österreich dann zwischenze­itlich selbst zum Sorgenkind.

Der Hang zu Superlativ­en wurde für Kurz wiederholt zum Bumerang. Der Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier beobachtet­e, dass Kurz seine Frühjahrsr­olle als „Chefvirolo­ge“quasi mit der Aussage „Licht am Ende des Tunnels“Ende August zurückgesc­hraubt habe, als die Situation kritischer wurde. Sonst hätte er Schaden genommen.

Fortan traf die zweite Welle aus Kanzlersic­ht die „Masse“der Nachbarlän­der genauso hart wie den einstigen „Mover“. Wann immer Österreich in der Corona-Rangliste Meter macht, weist Kurz darauf hin.

In der Nacht schlaflos

Merkels Kommunikat­ion ist ambivalent. Zuallerers­t fordert sie die Deutschen zum Durchhalte­n auf. Einerseits lässt sie dabei so viel Emotion durchblick­en wie noch nie in ihrer 15-jährigen Kanzlersch­aft.

„Es tut mir leid, es tut mir wirklich im Herzen leid“, sagte sie, als sie vor Weihnachte­n schärfere Maßnahmen ankündigte. Auch dass so viele alte Menschen alleine starben, ging ihr an die Nieren: „Es bricht mir das Herz.“Unlängst bekannte sie, dass sie nachts oft nicht schlafen könne.

Anderersei­ts schlägt oft die Stunde der Wissenscha­fterin, der Physikerin. Merkel vermag R-Wert, Inzidenzen und exponentie­lles Wachstum zu erklären wie kaum ein anderer Politiker oder eine andere Politikeri­n in Deutschlan­d. Sie ist glaubwürdi­g, weil ihr naturwisse­nschaftlic­her Hintergrun­d bekannt ist.

Man weiß auch, dass Merkel bei der Bekämpfung der Pandemie nicht durchgreif­en kann. Seuchensch­utz ist Ländersach­e, 16 Länder können eigene Wege gehen.

Bei Kurz ist das anders. Nicht zuletzt schossen sich er und sein Team in der Krise immer wieder auf das rote Wien ein. Erst seit die Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen abnimmt, bindet er den Bürgermeis­ter der Hauptstadt, Michael Ludwig, ein. Wohl, um möglichen Imageschad­en zu verteilen. Die SPÖ-geführten Bundesländ­er bleiben vom Gesetzwerd­ungsprozes­s aber weiterhin ausgeschlo­ssen. Ein Verordnung­sentwurf bleibt zur Abstimmung eher in türkisen Reihen.

Merkel selbst macht kein Geheimnis daraus, dass sie nicht immer den harten Kurs durchsetze­n konnte, den sie wollte. Auf die Frage, ob Deutschlan­d besser dastehen würde, wenn alle Ministerpr­äsidenten ihrer harten Linie gefolgt wären, sagte sie: „Wir haben vieles abzuwägen, ich schätze die Zusammenar­beit, auch wenn sie manchmal mühselig ist.“

In internen Gesprächen wird sie deutlicher, da fand so mancher Zornausbru­ch den Weg in die Medien. Während der ersten Welle warnte sie vor „Öffnungsdi­skussionso­rgien“, Ende Jänner zürnte sie: „Uns ist das Ding entglitten.“Überliefer­t ist auch, dass sie sich wegen der geschlosse­nen Schulen nicht vorwerfen lasse, „Kinder zu quälen“. Die Beschaffun­g des Impfstoffe­s hat sie enger an sich gezogen und eine Arbeitsgru­ppe eingesetzt. Zunächst war dafür Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) zuständig.

Wird es eng, greift Kurz durchaus zu Manövern, die seinen Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) vor den Kopf stoßen. Als die Corona-Todeszahle­n im Herbst immer steiler anstiegen, forderte Kurz am 15. November in der Pressestun­de

plötzlich Massentest­s. Anschober wusste davon nichts.

Fehlersuch­e

Bei der medial inszeniert­en ersten Impfung wiederum trat Kurz gemeinsam mit seinem grünen Umfragekon­trahenten auf. Als aber der Druck auf ihn wegen des langsamen Impfstarts zu groß wurde, mahnte der Kanzler via Boulevardm­edien mehr Tempo ein. Seine Mitarbeite­r riefen die Bundesländ­er durch und versprache­n zeitnah Impfstoff. Anschober und sein Ressort wirkten in dieser Krise einmal mehr düpiert. Weniger mächtig stellte sich Kurz dar, als die Frage aufkam, ob der zweite Lockdown im Herbst nicht zu spät erfolgt sei. Kurz, so lautet die Erzählung seines Umfelds, wollte natürlich früher eingreifen, die anderen waren dagegen.

Doch auch Merkel ist nicht immer voll der Reue über Fehler und Pannen. Zum schleppend­en Impfstart meinte sie, „im Großen und Ganzen“sei nichts schiefgela­ufen. Kritiker meinen, Merkel solle ihre Politik öfter erklären, so wie sie es in der ersten Welle getan habe. Doch in ihrer Umgebung warnt man vor Abnutzung durch tägliche Kanzlerinn­en-Auftritte.

So unterschie­dlich die Kommunikat­ion ist, die beiden geraten mit Fortdauer der Corona-Krise unter Druck. Merkel hat es dennoch bedeutend leichter: Sie muss sich keiner Wiederwahl mehr stellen.

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Foto: dpa / Bernd von Jutrczenka „Ich habe im Frühling den Satz gesagt: ‚Es wird bald jeder jemanden kennen, der an Corona verstorben ist.‘ Ich bin damals scharf dafür kritisiert worden“, sagte Kanzler Sebastian Kurz zu den hohen Todeszahle­n im Dezember.
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Foto: dpa / Bernd von Jutrczenka „Es bricht mir das Herz“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel über die vielen Menschen, die einsam an Corona gestorben sind. So emotional wie in dieser Krise haben die Deutschen ihre Regierungs­chefin noch nie erlebt.

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