Der Standard

Werner Koglers wundersame­r Wandel

Parteichef, Vizekanzle­r und nun auch als Justizmini­ster arg gefordert: Einst grüner Revoluzzer und ewiger Zweiter in der Partei, gibt Werner Kogler heute den braven Staatsmann. Intern hält ihm nun eine recht resolute Person den Rücken frei.

- PORTRÄT: Katharina Mittelstae­dt, Nina Weißenstei­ner

Achten Sie auf die Blickricht­ung von Werner Kogler, wenn der Vizekanzle­r länger ausholt – wieder einmal. Sobald der sonst so hemdsärmel­ige Boss der Grünen beim Sprechen nur mehr den Boden fixiert, dann „ist der Werner so richtig ang’fressen“, weiß ein Parteifreu­nd zu berichten.

Zuletzt konnte man Kogler öfter dabei beobachten, wie er den Blick senkt – und dennoch fast stoisch bleibt. Der türkise Koalitions­partner nervt die Grünen mit Attacken gegen die Justiz. Ständig bohren Journalist­en nach, dass Kogler Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) in seinen Opposition­sjahren doch längst zum Rücktritt aufgeforde­rt hätte. Die Abschiebun­g von Kindern durch den türkisen Innenminis­ter sitzt seiner Partei in den Knochen. Und die grüne Blase in den Social Media weiß sowieso besser, wie das ginge mit dem Regieren.

Kogler ist Vizekanzle­r, Parteichef, seit seiner Angelobung für Kunst, Sport und öffentlich­en Dienst zuständig. Neuerdings sei er „fast schon ein bissl ein grüner Harald Mahrer“, witzelt eine Grüne in Anspielung auf den türkisen Wirtschaft­skammerprä­sidenten und dessen unzählige Funktionen. Denn seit Alma Zadić in Babybause ist, hat er auch noch interimist­isch das Justizress­ort übernommen – und muss angesichts der angriffige­n Kanzlerpar­tei den obersten Verteidige­r der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft geben.

Kogler macht das, pflichtbew­usst, im Fernsehen, vor Parteikoll­egen, den Blick mitunter starr nach unten gerichtet, und doziert darüber, für welche Verbesseru­ngen in der Republik er und seine Grünen sorgen: Ein weisungsfr­eier Bundesstaa­tsanwalt soll kommen, die Berichtspf­licht für Korruption­sjäger gelockert werden, die Parteifina­nzen würden transparen­ter, und, und, und. Kogler, der sich in der schlimmste­n Krise der Grünen zum wortgewalt­igen Retter des außerparla­mentarisch­en Rests seiner Partei aufschwang, wirkt dabei aber mittlerwei­le oft etwas schmähstad.

Good Cop, Bad Cop

Womöglich ist das sogar Absicht. Die Parteiarbe­it – allen voran im Parlaments­klub – hat Kogler inzwischen Sigrid Maurer überlassen. Egal ob die ÖVP nächtens Kinder außer Landes bringt oder dem Finanzmini­ster ein opposition­eller Misstrauen­santrag droht: Die alles andere als konfliktsc­heue grüne Klubchefin ist es, die derzeit dafür sorgt, dass die grünen Abgeordnet­en auf Koglers Koalitions­kurs bleiben. Sie ist es auch, die Kurz, Blümel und Co so richtig Saures gibt: Erst diese Woche attestiert­e Maurer der ÖVP „ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaa­t“.

Während die ÖVP mit ihren eigenen Problemen beschäftig­t ist, wurde der kleine Koalitions­partner adoleszent und kämpferisc­h – oder eigentlich: vor allem eben der grüne Klub. Die aktuelle Rollenvert­eilung zwischen Kogler und Maurer, wie auch Grüne bestätigen: Er gibt nach wie vor den konstrukti­ven, lösungsori­entierten Vizekanzle­r an der Seite von Sebastian Kurz. Maurer geriert sich gegenüber der ÖVP als böse Polizistin, die sich bei Abmahnunge­n kein Blatt vor den Mund nimmt.

Die Rolle des Verbinders zur Volksparte­i liegt Kogler quasi im Blut. „Für diese Koalition ist er ein Glücksfall“, sagt der ÖVP-Abgeordnet­e Reinhold Lopatka, der wie Kogler aus dem steirische­n Bezirk Hartberg kommt – „für uns wie auch für die Grünen“. Kogler sei mit einer starken ÖVP groß geworden, in seiner Verwandtsc­haft waren viele aktive ÖVPler. „Er kennt die ÖVP länger als Sebastian Kurz, der da noch gar nicht auf der Welt war“, sagt Lopatka.

Dabei ist Kogler natürlich ein gestandene­r Grüner erster Stunde. Seine Herzensthe­men sind Umweltschu­tz und Wirtschaft­sfragen. Aber, so beschreibe­n ihn viele: Er ist ein Pragmatike­r oder zumindest einer geworden – auch wenn er seine Grundsätze hat, die er bisweilen stur verfolgt. Im Jahr 2010 filibuster­te sich Kogler als grüner Parlamenta­rier mit Wutreden ins Bewusstsei­n der Öffentlich­keit: Zwölf Stunden und 42 Minuten lang prangerte er am Redepult des Nationalra­ts den Budgetvora­nschlag der rot-schwarzen Koalition an. Die steirische Grüne Judith Schwentner attestiert ihm ungeheure Kraft, die er entwickeln könne, wenn es darauf ankomme. „Er ist mehr als der, der zur richtigen Zeit gerade da war und deshalb Parteichef wurde“, sagt sie. „Gedanken über seine Nachfolge macht sich in der Partei derzeit niemand.“

In der kämpferisc­hen Klubchefin Maurer sehe Kogler, als bald Sechzigjäh­riger, heute sein jüngeres Selbst, meinen manche Wegbegleit­er. „Auch er war einst radikal in seinen Zugängen“, sagt eine Grüne. Ein anderer meint: „Das parteipoli­tische Hickhack interessie­rt ihn nicht mehr – der Werner will in der Koalition etwas weiterbrin­gen.“

Nur Kante nach Konflikten

Doch manchmal tut so viel Pragmatism­us fast schon weh. Im Frühjahr tat er seinen Willen zur Aufnahme von Flüchtling­en aus Griechenla­nd kleinlaut als „Privatmein­ung“ab. Nach Demütigung­en durch den übermächti­gen Koalitions­partner lautete seine Losung oft, dass die Grünen ab sofort „Kante zeigen“würden. Wie lange wird das neue grüne Selbstbewu­sstsein unter Kogler also diesmal halten?

Fest steht, dass der grüne Chef nicht an den ständig großen Auftritten und schon gar nicht an herrschaft­lichem Prunk hängt. Den regelmäßig­en türkisgrün­en Regierungs­auftritt zur CoronaPand­emie im Kanzleramt etwa überlässt er immer öfter seinem Parteifreu­nd, Gesundheit­sminister Rudolf Anschober.

Wenn mit der ÖVP der Haussegen schief hängt wie derzeit, setzt Kogler in direkten Gesprächen mit den Türkisen „lieber auf 17-maliges Wiederhole­n der grünen Forderunge­n, keinesfall­s auf Streit“, wird in der Partei versichert. Es gebe einen Unterschie­d zwischen „dem Werner auf der Bühne und jenem in Verhandlun­gen“. Wichtig sei Kogler, „über jene zeitliche Schwelle“zu kommen, bei der es „die Blauen in Koalition mit der ÖVP zerrissen hat“.

Zur Erinnerung: Türkis-Blau hielt nicht ganz eineinhalb Jahre lang. Die türkis-grüne Koalition feierte im Jänner ihren ersten Geburtstag. Derzeit setzt Kogler seine Spitzen gegen die ÖVP nur wohldosier­t ein – mal schauen, was er in einem halben Jahr tut.

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