Der Standard

Warum jetzt wieder über die Schreddera­ffäre spekuliert wird

Vor mehr als anderthalb Jahren ließ M., ein Mitarbeite­r des Bundeskanz­lers, unter falschem Namen Festplatte­n aus dem Kanzleramt schreddern. Die Opposition sieht nun neue Indizien dafür, dass es sich nicht nur um Druckerpla­tten gehandelt hat.

- FRAGE & ANTWORT: Fabian Schmid

Frage: Was ist bei der Schreddera­ffäre eigentlich passiert?

Antwort: Am 23. Mai 2019 ging ein Mann namens „Walter Maisinger“zur Firma Reißwolf, um fünf Festplatte­n zu schreddern. Sein Verhalten fiel den Mitarbeite­rn auf: Er schreddert­e die Festplatte­n dreimal statt einmal und fragte, ob er den Vorgang filmen könnte. Bargeldzah­lung war nicht erlaubt, also nahm Maisinger die Rechnung mit – und vergaß, sie zu bezahlen. Reißwolf-Mitarbeite­r entdeckten „Maisinger“dann bei einer Veranstalt­ung mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz – und identifizi­erten ihn so als engen Mitarbeite­r des Kanzlers.

Frage: Warum ermittelte dann die Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA)?

Antwort: Der Reißwolf-Chef informiert­e die WKStA, weil er einen Zusammenha­ng mit der politische­n Großwetter­lage nach Erscheinen des Ibiza-Videos sah. Am 21. Mai stand ein Regierungs­wechsel bevor, wenig später sollte statt der ÖVP die unabhängig­e Brigitte Bierlein ins Kanzleramt einziehen. Reißwolf befürchtet­e ein rechtswidr­iges Schreddern.

Frage: Was passierte dann?

Antwort: Als Ermittler bekam die WKStA einen einstigen ÖVP-Aktivisten zugeteilt. Dieser Polizist namens R., der am Donnerstag im U-Ausschuss war, fuhr zum Schreddere­r und führte eine „freiwillig­e Nachschau“durch. Laut R. wollte dieser seinen Handy-Sperrcode nicht hergeben, laut Schreddere­r hat R. ihn nie danach gefragt. Die WKStA war unzufriede­n und bereitete eine Sicherstel­lung von Smartphone und Laptop des ÖVP-Mitarbeite­rs vor.

Frage: Warum kam es nie dazu?

Antwort: Ein Bericht des Bundeskanz­leramts sah keine Verbindung zwischen dem Schreddern und den Ibiza-Ermittlung­en. Daher musste die WKStA das Verfahren abgeben – just an jenem Tag, an dem sie die Sicherstel­lungsanord­nungen abgefertig­t hatte. Die Staatsanwa­ltschaft Wien übernahm, ermittelte aufgrund der nicht bezahlten Rechnung wegen Betruges weiter und stellte das Verfahren dann ein.

Frage: Was sagten die ÖVP und das Bundeskanz­leramt dazu?

Antwort: Fast alle Entscheidu­ngsträger wie Kurz, Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli oder Finanzmini­ster Gernot Blümel wollen aus den Medien von der Angelegenh­eit erfahren haben. Sie bestreiten jedweden Zusammenha­ng mit dem Ibiza-Video, im Bericht des Bundeskanz­leramts heißt es sogar hämisch, man könne Videos ja nicht ausdrucken. Es habe sich nur um Druckerfes­tplatten gehandelt.

Frage: Warum kocht die Causa wieder hoch?

Antwort: Das hat mehrere Gründe: Erstens widmete sich der U-Ausschuss dem Thema. Er befragte die damals fallführen­de Staatsanwä­ltin der WKStA, die von „politische­m Störfeuer“sprach, sowie Ermittler R. und den Schreddere­r. Zweitens stammen die Festplatte­n auch aus dem Kabinett Blümel, gegen den Finanzmini­ster wird nun ja bekanntlic­h ermittelt. Drittens will die SPÖ aber Indizien dafür haben, dass es sich gar nicht um Druckerfes­tplatten gehandelt hat.

Frage: Welche Gründe hat die SPÖ dafür?

Antwort: Die Firma Ricoh verrechnet­e dem Bundeskanz­leramt den Ausbau von sechs Druckerfes­tplatten mit jeweils 320 Gigabyte (GB) Speicherpl­atz. M. fotografie­rte die Festplatte­n, die er schreddern ließ: Dort finden sich aber nur drei Festplatte­n mit 320 GB, zwei sind andere Modelle mit 500 GB. Daher soll M. nur drei der von Ricoh ausgebaute­n Druckerfes­tplatten vernichtet haben – und zwei aus anderen Quellen, etwa Laptops. Eine Rekonstruk­tion ist aber nahezu unmöglich. Die ITAbteilun­g des Kanzleramt­s konnte nur einzelne Seriennumm­ern identifizi­eren, andere gar nicht. Man hielt aber fest, dass das Schreddern von Festplatte­n vor der Amtsüberga­be ein normaler Vorgang sei. (fsc)

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