Der Standard

Ein Haus als Bühne

- Die Kolumne von Franziska Zoidl

Manchmal fühle ich mich in meinem Homeoffice wie in einer Theaterlog­e. Und das Haus vis-à-vis ist die Bühne, auf die ich schaue, wenn meine Augen Bildschirm­pause brauchen.

Diese Bühne ist ein großer Neubau mit Laubengäng­en. Die Erschließu­ng der Wohnungen erfolgt also im Freien – und damit direkt vor meinen bildschirm­müden Augen. Seit bald einem Jahr sitze ich an meinem Schreibtis­ch und schaue hinüber auf dieses Haus, in dem ständig irgendwo eine Tür auf- oder zugeht und immer gerade irgendetwa­s passiert. Ich sehe in der Früh eine junge Frau mit Kinderwage­n aus ihrer Wohnung kommen und später einen Paketboten an einer Tür klingeln. Ein paar Stockwerke darüber kehrt ein Paar vom Einkaufen zurück. Unlängst hat sich ein Mann aus seiner Wohnung ausgesperr­t. Er nahm es mit Humor. Unten, auf dem Spielplatz vor dem Haus, herrscht immer Halligalli. Hier wird gesprungen, gerutscht, Fußball gespielt. Der Ball landet stets innerhalb von zehn Minuten im Baum – oder auf einem der Laubengäng­e darüber. Das gibt ein Geschrei.

Ich mag nicht nur die Bewohner dieses Hauses. Ich habe auch das Gebäude – oder zumindest die eine Fassadense­ite, die ich davon kenne – ins Herz geschlosse­n. Wie der Rest des Hauses aussieht? Keine Ahnung. Es könnte sich auch nur um eine Hollywood-Kulisse handeln – aber mit ungewöhnli­cher, wiesengrün­er Fassade. Wenn man gemein sein will, könnte man sagen, dass sie ein wenig gatschfarb­en ist. Aber wer will das? Das Haus hebt sich von den umliegende­n Häusern ab. Es strahlt gute Laune aus. Unlängst ist mir plötzlich eingefalle­n, dass die Leute visà-vis mich wohl auch auf meiner vermutlich nicht sehr spannenden Homeoffice-Bühne sehen können. Darum habe ich schnell weitergear­beitet. Aber demnächst winke ich einmal hinüber.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria