„Sie riskieren, die letzten Trumpisten zu werden“
Nach der Ausrufung des US-Comebacks in der Welt durch Joe Biden stehen USA und Europa vor der Frage: Wie wieder Vertrauen aufbauen? Das erörtert der Politologe Daniel Hamilton.
Der US-Politologe Daniel Hamilton analysiert nach der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), vor welchen Herausforderungen die transatlantischen Beziehungen nach der Trump-Ära stehen.
STANDARD: Wie schätzen Sie das erste große Zusammentreffen europäischer Staatschefs mit dem neuen USPräsidenten Joe Biden ein? Hamilton: Es war ein guter Beginn, der Ton wurde festgesetzt. Joe Biden gab eine sehr starke Botschaft ab. Er sprach davon, dass Europa der „Grundstein“jedes globalen Themas sei. Das sind starke Worte von einem US-Präsidenten. Er hat das Bekenntnis genannt, für Impfstoffverteilung Geld auf den Tisch zu legen. Dass John Kerry da war, unterstrich, dass die USA genauso ambitionierte Klimaziele haben wie die EU – vielleicht sogar höhere.
STANDARD: Es gibt viel Kooperationspotenzial. Die EU ist aber oft viel China-freundlicher, als Biden es wohl gerne hätte. Welches Entgegenkommen kann sich Biden erwarten? Hamilton: Es gibt einen überparteilichen Konsens in den USA, dass China ein fast gleichrangiger Konkurrent ist. Der Unterschied ist, dass die Trump-Regierung probiert hat, nicht bloß China fertigzumachen, sondern auch die Europäer. Der Zugang der Biden-Regierung wird sein, sich mit den Europäern zu beraten und die kollektive Stärke zu nutzen, um mit China umzugehen.
STANDARD: Was bedeutet der Brexit für die neue US-Regierung? Hamilton: Die Herausforderung für die USA ist es, wieder das zu werden, was sie immer waren: eine Quelle der Bestätigung in Europa. Europa war nach zwei Weltkriegen viel geden willter, das europäische Experiment aufzubauen, weil die USA einen Schirm der Zusicherung geboten haben, unter dem sich die Europäer wieder ins Gesicht blicken konnten. In den vergangenen vier Jahren sind die USA jedoch eine Quelle der Besorgnis geworden. Die Herausforderung für Biden ist nun, die USA wieder zur Quelle der Bestätigung zu machen. Wenn sie eine diplomatische Rolle spielen können, dann die, Großbritannien und die EU wieder in eine funktionierende Arbeitsgemeinschaft zusammenzubringen.
STANDARD: Die Machtverhältnisse in den USA können sich schnell verändern. Wie können die USA wieder Europas Vertrauen zurückgewinnen? Hamilton: Das echte Defizit, das wir aktuell transatlantisch haben, ist nicht etwa ein Handelsdefizit. Sondern in den letzten Jahren hat sich ein Vertrauensdefizit aufgebaut. Der Ton, der nun aus Europa kommt, ist enorm wichtig. Wolfgang Ischinger
(MSC-Direktor, Anm.) hat das sehr gut auf den Punkt gebracht, als er John F. Kennedy zitierte: „Fragt nicht, was Biden für euch machen kann, sondern fragt, was ihr für Bimachen könnt.“In einer Pandemie und einer massiven Rezession wäre es kindisch zu verlangen, dass die USA sich erst beweisen müssten.
STANDARD: In Washington hat man den Ton der Europäer also begrüßt? Hamilton: Den Ton ja. Bei vielen Kommentatoren gibt es aber ein Misstrauen, das nicht angebracht ist. Begriffe wie „strategische Autonomie“oder „digitale Souveränität“sind Begriffe, die Trump verwendet hat. Die EU hat sie erfunden, um auf Trumps Amerika zu reagieren. Doch wenn die EU oder ihre Kommentatoren weiter diese Begriffe verwenden, dann riskieren sie, die letzten Trumpisten in der Biden-Ära zu werden.
STANDARD: Sie meinen, die USA hätten ihre Schritte gesetzt, und nun ist Europa an der Reihe?
Hamilton: Europa hat jeden Anreiz, Biden zu helfen, erfolgreich zu sein. Sonst bekommt man die andere Seite der USA. Die, die man nicht will.
DANIEL HAMILTON (66) ist der Direktor des Global-Europe-Programms am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington.
So etwas gab es noch nie. Die einflussreichste Frau und die mächtigsten Männer der Welt trafen sich an nur einem Tag bei gleich zwei politischen Gipfeln: beim G7-Treffen der traditionellen Industriestaaten – ohne Russland, China oder Indien – und bei der Münchner Sicherheitskonferenz, einer Art militärischem „Davos“jenseits der Nato.
Möglich macht das die Corona-Pandemie. Mehr und mehr findet multinationale Zusammenarbeit über Videokonferenzen statt. US-Präsident Joe Biden konnte sich so am Freitag erstmals direkt und öffentlich mit Staatschefs wie Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel austauschen. Zum G7-Gipfel lud der aktuelle Vorsitzende, Premier Boris Johnson aus dem Nicht-mehr-EU-Land Großbritannien. Ein paar vorsichtige Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen.
Das Wichtigste: Der Westen ist zurück. Biden sagte zu, dass die USA nach dem Abgang Donald Trumps auf allen wichtigen Gebieten mit den transatlantischen Partnern kooperieren werden. Gemeinsam will man nun rasch Milliarden für das globale Corona-Impfprogramm Covax der WHO mobilisieren. Überfällig. Biden will auch die Nato stärken, ohne von der Forderung abzurücken, dass die Europäer ihre Beiträge deutlich erhöhen. Macron fordert Tempo beim Weltklimaschutz, will – durch EU-Vermittlung – eine Lösung im Iran-Konflikt, wozu im Prinzip alle bereit sind. Das löst noch keine Probleme. Aber es ist beruhigend, wenn Demokratien zusammenstehen.