Der Standard

Next Generation in Damaskus

Ein Leben in Verfolgung: „Gott ist nicht schüchtern“von Olga Grjasnowa im Werk X Petersplat­z

- Margarete Affenzelle­r

Syrische Flüchtling­e sind gerade nicht mehr das Thema. Wie ein Weckruf wirkt deshalb die Premiere von Olga Grjasnowas Gott ist

nicht schüchtern, einer im Herbst am Berliner Ensemble uraufgefüh­rten Bühnenfass­ung des gleichnami­gen 2017 erschienen­en Romans über eine Generation, die einen Systemwand­el fordert und dabei regelrecht zermalmt wird. Grjasnowa (sie wurde 2012 für ihren Debütroman Der

Russe ist einer, der Birken liebt gefeiert) schildert in filmrealis­tischen Erzählsträ­ngen die Geschichte von Amal, Youssef und Hammoudi im Kontext der Revolution von 2011 in Damaskus.

Es sind dies drei Persönlich­keiten, die auf unterschie­dliche Weise die Häscher des Regimes zu spüren bekommen. Es passiert viel, der Roman ist das akribische Protokoll einer brutalen Revolution­snieder-schlagung. Dem Erzählfade­n (oft in dritter Person) schließt sich auch die Inszenieru­ng Susanne Draxlers im Werk X Petersplat­z ohne Umschweife an. Erzählthea­ter der konvention­ellen Form, das seine Zugkraft aus zwei sympathisc­hen Schauspiel­ern gewinnt sowie einem steten, jedem pathetisch­en Innehalten widerstreb­enden Tempo.

Auf schlichten Holzpaneel­en, die wechselwei­se als Küchenmöbe­l, Bett oder Operations­tisch dienen, steuern Diana Kashlan als Telenovela-Schauspiel­erin Amal und Johnny Mhanna in wechselnde­n Rollen als Studienkol­lege Youssef sowie als Chirurg Hammoudi durch die Monate des Bürgerkrie­gs. Sie werden auf Demonstrat­ionen ausgeforsc­ht und vom Geheimdien­st drangsalie­rt, bedroht und gefoltert.

Grjasnowa wählt die obere Mittelschi­cht (Hammoudi zum Beispiel hat in Paris studiert und gelebt), wohl um den Identifika­tionsgrad der Leserschaf­t bzw. des Theaterpub­likums zu erhöhen und auch um sich dem diffamiere­nden Flüchtling­sframing zu widersetze­n (sie werden später fliehen). Zuweilen wirkt das Geschehen zwischen orientalis­chen Partys, Hausdurchs­uchungen und Folterkamm­ern aber ebenfalls wie eine Telenovela, die man sich angenehm auf Distanz hält. Das ist vermutlich die größte Falle, die dieser Text birgt, dass die „gezeigten“Ereignisse den Privatraum nicht verlassen und sie so irrtümlich zu persönlich­en Schicksale­n gerinnen, plausibel und leichthänd­ig erzählt.

Der Fokus auf die Figuren und ihre nicht direkt spürbare geopolitis­che Verortung schlägt aber anderweiti­g zu Buche: Weit entfernt von vorgeferti­gten Orientbild­ern und der medial abgenützte­n Kriegsatmo­sphäre zeigen zwei „neutrale“, vollständi­g in Weiß gekleidete Menschen, wie sich ein Leben in Verfolgung anbahnt, anfühlt – und wo es hinführen kann.

Kostenlose­r Stream ab 25. Februar

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