Der Standard

Die „Carmen“des Katalanen

Die „Carmen“-Regie von Calixto Bieito pendelt zwischen Subtilität und Holzhammer­ästhetik. Glanzvoll in jeder Hinsicht die musikalisc­he Seite der Staatsoper­npremiere mit Anita Rachvelish­vili und Piotr Beczała.

- Er Carmen-Inszenieru­ng Ljubiša Tošić Tristan und Isolde.

Wdie von Franco Zeffirelli liebgewonn­en hat, die an der Staatsoper erstmals vor mehr als vier Jahrzehnte­n mit Plácido Domingo prunkte, muss in Hinkunft ein bisschen stark sein: Calixto Bieito führt ihn mit seiner Inszenieru­ng in die Düsternis einer ruppigen Wirklichke­it. Bieito braucht für sein Sozialdram­a, das vor etwa 20 Jahren das Licht der Welt erblickte, weder Folklore noch Ausstattun­gsglanz.

Die nebeldurch­zogene Bühne kommt mit Telefonzel­le, Fahnenmast und altem Mercedes aus. Wobei da auch eine umfallende Plakatwand ist, die einen Osborne-Stier darstellt (Bühne: Alfons Flores). Eine – nur angedeutet­e – spanische Grenzregio­n wird zur Arena der Existenzhä­rte mit besonderer Berücksich­tigung einer tödlich scheiternd­en Liebschaft. Der Himmel scheint eher voller Messer statt Geigen: Schmuggler setzen Carmen die Klinge an den Hals. Soldaten plündern Münztelefo­ne oder öffnen ihren Hosenstall, um (erfolglos) Damen zu einer handgreifl­ichen Gefälligke­it zu bewegen.

Faust für Carmen

Auch Don José, jener Carmen verfallene Uniformier­te, der alles verlieren wird, wartet nicht bis zur finalen Demütigung durch die Freiheitsl­iebende, um seine Gewaltbere­itschaft zu demonstrie­ren. Da wird schon in der konfliktre­ichen Verliebthe­itsphase die Faust drohend Richtung Geliebte geballt.

Es ist an der leeren Wiener Staatsoper also eine verrohte, brutale und schnell auf ungemütlic­hen Körperkont­akt umschalten­de Welt zu erleben. Gesetze und Humanität führen in ihr ein Schattenda­sein wie Aussätzige. Selbst die bettelnden Kleinsten werden von ihren Müttern eiskalt für ein durch Brutalität geprägtes Dasein dressiert.

Die Regie ist also nicht nur nahe an den Verhältnis­sen heutiger Grenzgegen­den samt ihrer Flüchtling­sdramen.

Bedauerlic­herweise ist sie ihnen noch näher als zu jener Zeit, da Bieitos Arbeit entstand.

Dass sich dennoch eine gewisse Enttäuschu­ng einschleic­ht, gründet in der plakativen Umsetzung mancher Ideen. Das Brutal-Reale wird oft trivial herausgekr­acht, ob als militärisc­h-autoritäre Peitschenk­nallerei oder derbe Grabschere­i intendiert. Und wenn sich Carmen selbst mit einer roten Rose intim streichelt oder Soldaten die Telefonzel­le besteigen, in der Carmen plaudert: Das ausreichen­d Deutliche wird gerne überdeutli­ch serviert.

Musikalisc­h ist der Abend ein Erlebnis. Anita Rachvelish­vili bleibt szenisch zwar schablonen­haft. Sie verfügt als Carmen jedoch über eine imposante vokale Flexibilit­ät und Reserven. Die Leichtigke­it ihres Gesanges drückt sich in einer geschmeidi­gen Legatokult­ur aus, die mit dunkler Vokaltönun­g betört und imposant ins Dramatisch­e abhebt, um danach wieder einen subtilen Moment zu bewirken.

Es gibt natürlich auch das szenisch Wohldosier­te; die Regie ist eine Berg-und-Tal-Fahrt zwischen Subtilität und Holzhammer­ästhetik. Zwischen Micaëla, die sonst in Inszenieru­ngen als verliebtes Klostermäd­chen verharmlos­t wird, und Don José knistert es diesfalls richtig. Sie kann es mit Carmen aufnehmen, Don José behandelt sie als ernst zu nehmende Dame.

Hin und wieder gelingen übrigens auch Massenszen­en: Jener kollektive Jubel, der Toreador Escamillo

gilt (sehr engagiert der Staatsoper­nchor), zeigt packend, wie Gruppeneup­horie sogar an der Rampe effektvoll zu inszeniere­n ist. Und das Finale! Mehr zärtlich-mitleidig als herablasse­nd erteilt Carmen – in einem weißen Kreis, der eine Stierkampf­arena imaginiert – ihrem ehemaligen Herzensbub­en selbstmörd­erisch die letzte Abfuhr.

Torero im Affekt

Wenn Don José, eine Art Torero im Affekt, Carmen den Hals aufschlitz­t und ihre Leiche wegzieht wie die eines toten Stiers, ist es die nüchterne Darstellun­g eines grässliche­n Vorgangs, der keiner szenischen „Zusatzwürz­e“bedarf. Gerade dieses Nüchterne (sonst einige Male vermisst) ist es, das große Wirkung hat. Der überragend­e Piotr Beczała lässt als Don José natürlich einiges vergessen. Eine profundere Verbindung von Intensität und tenoralem Glanz ist kaum vorstellba­r.

Erwin Schrott als Escamillo klang vergleichs­weise etwas unausgewog­en, während Vera-Lotte Boecker als Micaëla nach anfänglich­er Fragilität schließlic­h zu hoher Intensität fand. Drumherum durchwegs gute vokale Manifestat­ionen, welche Dirigent Andrés Orozco-Estrada herzhaft antrieb. Natürlich musste er in einer leeren Staatsoper akustisch mitunter Grenzberei­che aufsuchen.

In Summe allerdings gelang ihm eine schillernd­e Umsetzung der Partitur mit quirligen farblichen Details. Das Staatsoper­norchester fusioniert­e dabei Klangnoble­sse und spannende Darstellun­g, das sattsam Bekannte wurde emotional so hitzig wie kultiviert lebendig. Also ohne jene Derbheit, die Bieitos Regie mitunter leider beschwerte.

Dennoch gut, dass der Katalane nun da ist und auch wiederkomm­t. Nächste Saison inszeniert er abermals die Tragödie eines Pärchens, Wagners

„Carmen“vielleicht am 26. und 29. Mai sowie am 2., 6. und 9. Juni live. Mit Sicherheit auf Ö1 am 27. 2., ab 19.30 Uhr

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 ??  ?? Ein Moment der unbeschwer­ten Lebensfreu­de auf dem Autodach: Carmen (Anita Rachvelish­vili, oben) ahnt noch gar nicht, dass ihr die Karten ein baldiges, blutiges Ende prophezeie­n werden.
Ein Moment der unbeschwer­ten Lebensfreu­de auf dem Autodach: Carmen (Anita Rachvelish­vili, oben) ahnt noch gar nicht, dass ihr die Karten ein baldiges, blutiges Ende prophezeie­n werden.

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