Der Standard

Gefährlich­e Abschiebun­g

Eine Studie zeichnet ein düsteres Bild vom Leben in Afghanista­n nach der Abschiebun­g: Angst, Stigmatisi­erung und Perspektiv­losigkeit prägen den Alltag der Betroffene­n. Viele denken bereits erneut daran, das Land zu verlassen.

- Manuel Escher, Noura Maan

Wie ergeht es Menschen, die von Österreich nach Afghanista­n abgeschobe­n wurden? Eine Studie zeichnet ein düsteres Bild.

Auf einmal waren sie da. In einem Land, das einige von ihnen noch nie gesehen hatten. Wie ergeht es Menschen, nachdem sie von Österreich nach Afghanista­n ausreisen mussten? Darüber weiß man bisher erstaunlic­h wenig – trotz jahrelange­r Abschiebep­raxis. Zumindest ein bisschen Licht ins Dunkel bringt eine neue, wenn auch kleine Feldforsch­ung des Wiener Instituts für internatio­nalen Dialog und Zusammenar­beit (VIDC), die von der Austrian Developmen­t Agency (ADA) finanziert und am Montag vorgestell­t wurde.

Die Geschichte­n von 16 jungen Männern, die in den vergangene­n Jahren Österreich mit Flugziel Kabul verlassen mussten, hat der Arzt, Migrations- und Friedensfo­rscher Ali Ahmad gesammelt. Sie zeichnen ein düsteres Bild. Alle 16 berichtete­n zwischen März und September 2020 in Gesprächen vor Ort – und wegen Covid-19 auch über Whatsapp – von einem Alltag, der von der Angst vor Gewalt, aber auch von Hoffnungsl­osigkeit geprägt ist. Das betrifft auch jene, die noch am relativ besten ausgestieg­en sind, weil sie nicht abgeschobe­n wurden, sondern sich für eine sogenannte freiwillig­e Rückkehr entschiede­n hatten. Das sind insgesamt drei der 16.

Essenziell­e Sozialkont­akte

Unter ihnen sind Abbas und Siawash, deren Namen – so wie alle in der Studie – zu ihrem Schutz geändert wurden. Beide kommen aus eher wohlhabend­en Familien und hatten noch Sozialkont­akte. Und beide haben Arbeit beim Staat gefunden. Jene Ängste, die sie ursprüngli­ch zu ihrer Flucht bewogen hatten, haben sie aber nicht ablegen können. Sie erzählen laut der Studie von Selbstmord­anschlägen in Kabul, von direkten Drohungen gegen ihr Leben und davon, Autos stets auf Magnetbomb­en untersuche­n zu müssen, bevor sie einsteigen. „Wenn ich morgens mein Haus verlasse, weiß ich nicht, ob ich abends zurückkomm­e“, sagt Siawash.

Die Angst besteht zu Recht. Abbas erlitt, wie die Studie im Anhang bekanntgib­t, nach dem Untersuchu­ngszeitrau­m Ende 2020 bei einem Anschlag schwerste Verletzung­en und ist seither von der Hüfte abwärts gelähmt.

Fast noch düsterer aber war laut den Schilderun­gen in der Studie die Situation jener 13 Befragten, die abgeschobe­n wurden. Unter ihnen ist es, neben der Gewalt, vor allem die Perspektiv­losigkeit, die aus den Erzählunge­n herausstic­ht. Soziale Kontakte seien entweder gekappt oder hätten nie bestanden; etwa bei jenen vier der 16, die im Iran geboren wurden oder aufgewachs­en sind und die vor ihrer Abschiebun­g nie in Afghanista­n waren. Als einzige Möglichkei­t, einen Beruf zu finden, wird die Armee und die Polizei beschriebe­n – Berufe, die selbst in Afghanista­n viele nicht ergreifen wollen, weil das eigene Leben stets auf dem Spiel steht.

Stigmatisi­erung

Dazu komme das soziale Stigma: Dass man ohne besonderen Grund aus Österreich abgeschobe­n werde – das würden in Afghanista­n viele nicht glauben. Dehqan, der von 2015 bis 2019 in Österreich lebte, erzählt etwa, dass er von seinem Umfeld aus diesem Grund verdächtig­t werde, im Ausland ein Verbrechen begangen zu haben oder christlich missionier­en zu wollen.

Sind diese Erfahrunge­n repräsenta­tiv – immerhin handelt es sich um nur 16 von laut Meldungen mehr als tausend seit 2015 Ausgereist­en? „Die 16 sind natürlich nicht repräsenta­tiv für alle Rückkehren­den“, sagt Studienaut­or Ahmad, „aber es ist sehr schwer, Zugang und Kontakt zu dieser Gruppe zu bekommen.“

Dauerhaft im Land zu bleiben, das kann sich kaum einer der Befragten vorstellen. „In Afghanista­n warte ich nur auf meinen Tod“, sagt etwa ein Studientei­lnehmer namens Zelgai, der es wieder versuchen will – auch wenn die Gefahren auf dem Weg groß seien.

Die Sicherheit­slage im Land hat sich in jüngster Zeit keinesfall­s verbessert. Zuletzt wurden am Samstag bei einer Anschlagss­erie in Kabul fünf Menschen getötet. Abschiebun­gen nach Afghanista­n gab es auch 2020 – trotz Corona. Für Dienstag ist erneut ein Abschiebef­lug für 45 Personen geplant.

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Menschen aus Afghanista­n in Bosnien. Die Hoffnung auf ein besseres Leben stellt sich oft als Chimäre heraus, eine Rückkehr aber als noch viel größerer Schock.

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