Gefährliche Abschiebung
Eine Studie zeichnet ein düsteres Bild vom Leben in Afghanistan nach der Abschiebung: Angst, Stigmatisierung und Perspektivlosigkeit prägen den Alltag der Betroffenen. Viele denken bereits erneut daran, das Land zu verlassen.
Wie ergeht es Menschen, die von Österreich nach Afghanistan abgeschoben wurden? Eine Studie zeichnet ein düsteres Bild.
Auf einmal waren sie da. In einem Land, das einige von ihnen noch nie gesehen hatten. Wie ergeht es Menschen, nachdem sie von Österreich nach Afghanistan ausreisen mussten? Darüber weiß man bisher erstaunlich wenig – trotz jahrelanger Abschiebepraxis. Zumindest ein bisschen Licht ins Dunkel bringt eine neue, wenn auch kleine Feldforschung des Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC), die von der Austrian Development Agency (ADA) finanziert und am Montag vorgestellt wurde.
Die Geschichten von 16 jungen Männern, die in den vergangenen Jahren Österreich mit Flugziel Kabul verlassen mussten, hat der Arzt, Migrations- und Friedensforscher Ali Ahmad gesammelt. Sie zeichnen ein düsteres Bild. Alle 16 berichteten zwischen März und September 2020 in Gesprächen vor Ort – und wegen Covid-19 auch über Whatsapp – von einem Alltag, der von der Angst vor Gewalt, aber auch von Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Das betrifft auch jene, die noch am relativ besten ausgestiegen sind, weil sie nicht abgeschoben wurden, sondern sich für eine sogenannte freiwillige Rückkehr entschieden hatten. Das sind insgesamt drei der 16.
Essenzielle Sozialkontakte
Unter ihnen sind Abbas und Siawash, deren Namen – so wie alle in der Studie – zu ihrem Schutz geändert wurden. Beide kommen aus eher wohlhabenden Familien und hatten noch Sozialkontakte. Und beide haben Arbeit beim Staat gefunden. Jene Ängste, die sie ursprünglich zu ihrer Flucht bewogen hatten, haben sie aber nicht ablegen können. Sie erzählen laut der Studie von Selbstmordanschlägen in Kabul, von direkten Drohungen gegen ihr Leben und davon, Autos stets auf Magnetbomben untersuchen zu müssen, bevor sie einsteigen. „Wenn ich morgens mein Haus verlasse, weiß ich nicht, ob ich abends zurückkomme“, sagt Siawash.
Die Angst besteht zu Recht. Abbas erlitt, wie die Studie im Anhang bekanntgibt, nach dem Untersuchungszeitraum Ende 2020 bei einem Anschlag schwerste Verletzungen und ist seither von der Hüfte abwärts gelähmt.
Fast noch düsterer aber war laut den Schilderungen in der Studie die Situation jener 13 Befragten, die abgeschoben wurden. Unter ihnen ist es, neben der Gewalt, vor allem die Perspektivlosigkeit, die aus den Erzählungen heraussticht. Soziale Kontakte seien entweder gekappt oder hätten nie bestanden; etwa bei jenen vier der 16, die im Iran geboren wurden oder aufgewachsen sind und die vor ihrer Abschiebung nie in Afghanistan waren. Als einzige Möglichkeit, einen Beruf zu finden, wird die Armee und die Polizei beschrieben – Berufe, die selbst in Afghanistan viele nicht ergreifen wollen, weil das eigene Leben stets auf dem Spiel steht.
Stigmatisierung
Dazu komme das soziale Stigma: Dass man ohne besonderen Grund aus Österreich abgeschoben werde – das würden in Afghanistan viele nicht glauben. Dehqan, der von 2015 bis 2019 in Österreich lebte, erzählt etwa, dass er von seinem Umfeld aus diesem Grund verdächtigt werde, im Ausland ein Verbrechen begangen zu haben oder christlich missionieren zu wollen.
Sind diese Erfahrungen repräsentativ – immerhin handelt es sich um nur 16 von laut Meldungen mehr als tausend seit 2015 Ausgereisten? „Die 16 sind natürlich nicht repräsentativ für alle Rückkehrenden“, sagt Studienautor Ahmad, „aber es ist sehr schwer, Zugang und Kontakt zu dieser Gruppe zu bekommen.“
Dauerhaft im Land zu bleiben, das kann sich kaum einer der Befragten vorstellen. „In Afghanistan warte ich nur auf meinen Tod“, sagt etwa ein Studienteilnehmer namens Zelgai, der es wieder versuchen will – auch wenn die Gefahren auf dem Weg groß seien.
Die Sicherheitslage im Land hat sich in jüngster Zeit keinesfalls verbessert. Zuletzt wurden am Samstag bei einer Anschlagsserie in Kabul fünf Menschen getötet. Abschiebungen nach Afghanistan gab es auch 2020 – trotz Corona. Für Dienstag ist erneut ein Abschiebeflug für 45 Personen geplant.