Der Standard

Was an der türkisen Justizkrit­ik dran ist

Seit der Hausdurchs­uchung bei Finanzmini­ster Blümel lässt sich die ÖVP an der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft aus – wieder einmal. Ein durchsicht­iges Manöver, um sich in die Opferrolle zu bringen? Oder berechtigt­e Kritik an Fehlern einer sc

- Gerald John, Jan Michael Marchart genügend Abgeordnet­e, darum gerne Wind machen. die

Zuletzt beklagte sich der Bundeskanz­ler sogar in einem Brief: Sebastian Kurz und die ÖVP haben viel an der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­alt (WKStA) auszusetze­n. Ein Überblick über Fakten und Fiktionen.

Der angebliche Pfusch in der Causa Blümel

Die ÖVP beteuert nicht nur, dass der Verdacht der Bestechung aus der Luft gegriffen sei, sondern wirft der WKStA einen fatalen Irrtum vor: Indem die Ermittler einen Eintrag im Kalender von Novomatic-Gründer Johann Graf mit dem Vermerk „Kurz“dem Kanzler zugeschrie­ben hat, sei die Hausdurchs­uchung von falschen Annahmen ausgegange­n. Schließlic­h hat Grafs Schwiegert­ochter Martina Kurz per eidesstatt­licher Erklärung versichert, dass es sich dabei um sie handle.

Allerdings: Worauf bereits Rechtsexpe­rten hingewiese­n haben, das hat nun auch das Justizmini­sterium klargestel­lt. Der umstritten­e Kalenderei­ntrag sei kein entscheide­nder Grund für die Anordnung der Hausdurchs­uchung gewesen, sondern nur ein Nebenaspek­t. Kern der Sache sei der SMS-Verkehr zwischen Blümel und Novomatic, in dem es um Spenden und Hilfe für den Glücksspie­lkonzern bei einem Steuerprob­lem in Italien ging.

Das rote Netzwerk

Die ÖVP fühlt sich von der WKStA schon seit längerem ungerecht behandelt. Vor einem Jahr hat Kurz der Behörde vor Journalist­en Nähe zur SPÖ nachgesagt.

Ein parteipoli­tisches Netzwerk unter dem Deckmantel der Justiz? „Das wurde uns schon von allen möglichen Seiten vorgeworfe­n“, sagt Cornelia Koller, Präsidenti­n der Vereinigun­g Österreich­ischer Staatsanwä­lte. Aber abgesehen vom Verdacht, dass alle möglichen Posten nach Parteibuch besetzt werden, habe es nie einen Beleg gegeben.

Koller verweist auf die Hürden, die Mauschelei­en entgegenst­ehen. Wer Staatsanwa­lt werden will, muss von einer Personalko­mmission vorgeschla­gen werden, die aus hohen Ministeriu­msbeamten und Staatsanwä­lten besteht. Keiner aus der besagten Personalko­mmission sei politisch verortbar, sagt Ex-WKStALeite­r Walter Geyer: „Auch nicht der Gewerkscha­ftsvertret­er, da es bei Staatsanwä­lten und Richtern keine Fraktionen gibt.“

Die Auswahl, welche Anwärter zum Zug kommen, trifft dann der Justizmini­ster. Bevor die Grünen das Ministeriu­m vor zwei Jahren übernommen haben, wurde dieser seit der Gründung der WKStA 2009 übrigens auschließl­ich von der ÖVP nominiert. „Dass es hier ein rotes Netzwerk geben soll“, sagt Geyer, „halte ich für absurd.“ Wenn Akten in den Medien landen

WKStA-Leaks lautet ein Schlagwort in der türkisen Rhetorik: Manche Staatsanwä­lte, so der Verdacht, würden Ermittlung­sunterlage­n an die Öffentlich­keit spielen. Undenkbar ist das nicht: Keine Behörde ist

davor gefeit, dass ein Mitarbeite­r heimlich Dokumente an Journalist­en schickt. Gerade Staatsanwä­lte, merkt Vertreteri­n Koller an, hätten aber das geringste Interesse daran. Welcher Ermittler untergrabe schon gerne die eigene Arbeit, indem er Verdächtig­e via Medien vor Hausdurchs­uchungen oder anderen Schritten warnt?

„Ich kenne kein Verfahren, in dem ich den Verdacht gehabt hätte

oder in dem belegt worden wäre, dass die Leaks aus der WKStA gekommen wären“, sagt Geyer: „Parteien und Parteienve­rtreter haben Akteneinsi­cht und bekommen Aktenkopie­n, sie unterliege­n nicht dem Amtsgeheim­nis und können Aktenteile den Medien zur Verfügung stellen.“Gerade in der Causa Blümel wanderten die Akten bereits durch viele Hände. Bevor die Hausdurchs­uchung publik wurde, gingen Dokumente mit der Info an den UAusschuss im Parlament – dort sitzen

Langsam und erfolglos

Dass jahrelange Verfahren, wie die ÖVP kritisiert, ein Problem sind, bestreitet niemand: Beschuldig­te müssen mitunter auch dann um Ruf und Karriere fürchten, wenn am Ende nichts herauskomm­t. Die lange Dauer – die Buwog-Affäre zog sich über zehn Jahre – erkläre sich aus den komplexen Fällen, sagt Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalso­ziologie (IRKS): „Doch da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wenn das politisch Verantwort­liche kritisiere­n, sollten sie für bessere Rahmenbedi­ngungen sorgen.“Laut Koller kommen auf jeden Staatsanwa­lt pro Jahr 300 bis 400 Fälle. Dass die WKStA erfolglos sei, lässt Fuchs nicht so stehen: Anders als Kurz, der die Statistik fragwürdig interpreti­ert hatte, kommt der Experte auf eine Verurteilu­ngsquote von geschätzt vier Prozent der Fälle. Angesichts der schwierige­n Materie sei das erwartbar – im Durchschni­tt aller Delikte liege die Quote auch nur bei zwölf Prozent.

Spektakulä­re Razzia, fragwürdig­e Anzeigen

Auf die Liste der türkisen Vorwürfe wurde auch die Razzia beim Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) gesetzt. Tatsächlic­h befand das Oberlandge­richt Wien 2018, dass diese im Wesentlich­en rechtswidr­ig, weil „unverhältn­ismäßig“, gewesen sei. Das Gericht kam zum Schluss, dass die Ermittler die Unterlagen aus dem BVT über das Innenminis­terium hätten anfordern müssen.

Nur im Falle des Hauptbesch­uldigten, eines Referatsle­iters, wurde die Razzia als rechtmäßig angesehen. Dies, weil es offenbar ausreichen­d Indizien dafür gab, dass der Verdächtig­e unrechtmäß­ig gespeicher­te Daten aufbewahre.

Anderer spektakulä­rer Fall: Die Korruption­sbehörde zeigte 2019 den damals mächtigste­n Beamten im Justizmini­sterium, Christian Pilnacek, an, weil dieser im Verdacht stand, die Eurofighte­r-Ermittlung­en teilweise einzustell­en. Doch die Ermittlung­en verliefen im Sand.

Auch die Journalist­in Anna Thalhammer geriet ins Visier der WKStA. Fünf Staatsanwä­lte führten gegen einen Artikel die Tatbeständ­e der üblen Nachrede, Verleumdun­g und Beleidigun­g einer Behörde ins Treffen. Doch die Staatsanwa­ltschaft Wien erkannte keinerlei Anfangsver­dacht und leitete erst gar keine Ermittlung­en ein.

Staatsanwä­lte-Sprecherin Koller sah in der Anzeige ebenso wie Journalist­envertrete­r eine Grenzübers­chreitung, doch dass die WKStA scheiterte, belege das Funktionie­ren des Systems. Die Causen BVT und Pilnacek seien aufgearbei­tet worden, mit eingeleite­ten Verbesseru­ngen in der Zusammenar­beit als Konsequenz: „Man soll nicht so tun, als sei das alles eben erst passiert.“

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